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Kulturelle Nachhaltigkeit lernen und lehren. Группа авторов
Читать онлайн.Название Kulturelle Nachhaltigkeit lernen und lehren
Год выпуска 0
isbn 9783706561921
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия Pädagogik für Niederösterreich
Издательство Bookwire
Abbildung 2: Der Bürgermeister beteiligt sich schließlich am Protest der Kinder. (© Verlag Jungbrunnen Wien)
Die emotionale Entrüstung markiert deutlich den Übergang vom Reden zum Handeln und schafft die Grundlage für den Einsatz der Kinder für die Natur (Demonstration). Bei Lobe tritt die Auflehnung der Kinder in einer Verkettung mit anderen Themen (Umweltproblematik, Generationenkonflikt, Bildung eines Kollektivs etc.) auf, die fast eine logische Handlungskonsequenz auszulösen scheint und entscheidend zu der einfach wirkenden Erzählstruktur beiträgt. In diesem Sinn lässt sich Empörung als weit mehr als ein literarisches Motiv deuten, etwa als eine in der Literatur auftretende angewandte Kulturtechnik, die Rückschlüsse auf sozial- und kulturgeschichtliche Momente wie die literarische Produktion selbst zulässt. In diesem Zusammenhang sei auf den Band Empörung! Besichtigung einer Kulturtechnik (Millner, Oberreither & Straub 2015) verwiesen, der interessante sprach- und literaturwissenschaftliche Beiträge versammelt, allerdings keine Bezüge zur Kinderliteratur herstellt.
Die Entwicklung eines Modells, das die Inszenierung des kindlichen Widerstands als ein literarisches Narrativ mit einem mehrteiligen Handlungsmuster deutet, wäre mit Blick auf den Nachhaltigkeitsdiskurs der Kinderliteratur der 1970er-Jahre spannend. Wie Empörung im Kinderbuch beschrieben wird, ist bislang noch Gegenstand der Diskussion: Zu neueren Bilderbüchern finden sich Deutungsansätze, in denen die kindliche „Revolution“ zur literaturwissenschaftlichen Analysekategorie wird (vgl. Rinnerthaler 2019, 67). Diese Bezeichnung taucht in unterschiedlichen Zusammenhängen auf: Gerade mit Blick auf die Dichte der historischen Ereignisse ließe sich dieser Begriff mit dem Thema Ökologie verbinden. Auch der Historiker Joachim Radkau, der mit Die Ära der Ökologie (2011) ein vielbesprochenes Fachbuch vorgelegt hat, nennt die Ereignisse um 1970 eine „ökologische Revolution“ (Radkau 2011, 124). Solche historisch stark aufgeladenen Begriffe bergen freilich die Gefahr, bei der Analyse von Kinderbüchern Überinterpretationen zu evozieren. Gilt es in der Kinderliteratur ja nicht nur die literarästhetische Konstruktion zu erkennen, sondern vor allem didaktische und pädagogische Implikationen mitzudenken.
2. Zu den jugendlichen Protestbewegungen damals und heute
Inwiefern ist das wiederkehrende Moment des Protestes, das sich in Das Städtchen Drumherum in allgemeinem Einvernehmen auflöst, auf die heutige Zeit übertragbar? Der Diskurs um die „Jugend als Kraft politischer Erneuerung“ (Großegger 2017) scheint heute anders geführt zu werden, als noch vor einem halben Jahrhundert, gibt die wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Jugendkulturforschung Beate Großegger zu bedenken. Ein wesentlicher Grund dafür ist die geänderte Arbeitsmarktsituation, die auch die Jugend vor neue Herausforderungen stellt. Herrschte noch zu Beginn der 1970er-Jahre nahezu Vollbeschäftigung in den deutschsprachigen Ländern, sind die letzten beiden Jahrzehnte von „Krisen“ (Weltwirtschaft, Flüchtlinge, Corona etc.) geprägt. Wiederholt wurde der jungen Generation ein Rückzug vom Politischen hin zum Privaten, verbunden mit Trägheit und Egoismus attestiert. An die Populärkultur angelehnte Formulierungen wie „Neo-Biedermeier“ oder „Generation Me“ stehen sinnbildlich für die Generationen Y und Z. Aufrufe zu mehr politischem Engagement blieben ungehört. Die Post-Millennials seien angepasster als ihre (Groß-)Eltern und stärker von einem Krisenbewusstsein geprägt: Sie „reagieren nicht etwa mit Gestaltungswillen oder Protest. Sie suchen nicht nach neuen Wegen. Und sie experimentieren auch nicht mit Selbstkonzepten, die in Abgrenzung zu den Werten und Lebensphilosophien des Etablierten entstehen.“ (Großegger 2017)
Diese Einschätzung findet sich in zahlreichen Texten der angewandten Sozialforschung. Noch 2013 kamen die Autor*innen der 16. Shell Jugendstudie (2010) zu folgendem Ergebnis: Besonders im deutschsprachigen Raum äußere sich politische Partizipation bei Heranwachsenden selten durch Protest auf der Straße, sondern fände ihren Ausdruck vielmehr in Anpassung und Geduld, verbunden mit einem von Individualismus geprägten Pragmatismus (vgl. Hurrelmann, Albert & Quenzel 2013, 345). Dem gegenüber stehen rezente Ereignisse, wie die seit 2018 von Kindern und Jugendlichen mitinitiierten Proteste „Fridays for Future“ oder auch die 2020 durch den Tod von George Floyd (1973–2020) ausgelösten Demonstrationen „Black lives matter“. Sie relativieren die Bewertung einer vornehmlich auf das Private konzentrierten Jugend. Die Folgeuntersuchungen aus den Shell Jugendstudien aus 2015 und 2019 zeichnen dementsprechend ein positiveres Bild der vermeintlich träge gewordenen Jugendlichen. Gesamt gesehen steige das Interesse zur politischen Mitbestimmung:
Einer Jugend, für die der Aufenthalt in der digitalen Welt mittels Smartphone stark die Lebenswelt bestimmt, machen Umweltzerstörung und Klimawandel Angst. Es bleibt aber eine deutliche Vielfalt anerkennende und tolerante junge Generation. Einer Generation, bei der heute ein Drittel einen Migrationshintergrund oder nicht die deutsche Staatsbürgerschaft hat, macht dabei Ausländerfeindlichkeit deutlich mehr Angst als die Zuwanderung nach Deutschland. (Albert, Hurrelmann, Quenzel & Schneekloth 2019, 489f.)
Doch ist das sich hier zeigende Umweltbewusstsein, ähnlich wie in den 1970er-Jahren, klassenübergreifend? Jüngere, auf den deutschsprachigen Raum konzentrierte, empirische Studien zeigten zudem den Einfluss der (oberen) Mittelschicht, betont der Soziologe Bjorn Milbradt. Noch immer gelinge es nicht, Politikbewusstsein und sozioökologisches Interesse in allen sozialen Gesellschaftsklassen zu erwirken: „Aus der Sicht von Demokratieförderung und politischer Bildung stellt sich einmal mehr die Frage, wie eigentlich all jene für Politik und gesellschaftliches Engagement zu gewinnen sind, die an solche Bewegungen nicht anschließen können oder wollen.“ (Milbradt 2020, 4)
3. Erstaunliche Parallelen: Anzeichen für eine anhaltende Aktualität von Kinderbüchern aus den 1970er-Jahren?
Gerade hier zeigt sich die Bedeutung dieses mittlerweile in 16. Auflage (2015) vorliegenden Kinderbuchs, das ganz zu Beginn „des roten Jahrzehntes“ (Koenen 2001) steht und einen besonderen Platz in der österreichischen Kinderliteraturgeschichte der Zweiten Republik einnimmt. Fast ließe sich diese Erzählung auf viele Initiativen, die von kindlichen bzw. jugendlichen Akteur*innen angeführt wurden, übertragen. In Das Städtchen Drumherum spielen jedoch auch phantastische Elemente eine wichtige Rolle. So können die Kinder ihren Vater nicht von seinem Unrecht überzeugen. Erst durch das Eingreifen eines magisches Wesens, des Waldgeistes Frau Hullewulle, und vier aufeinander folgenden Traumszenen gewinnt dieser Einsicht: Es gelte den Lebensraum der Tiere zu schützen.
Träume sind wichtige Erzählbausteine der kinderliterarischen Phantastik, die, argumentiert der Literaturwissenschaftler Rüdiger Steinlein, vorwiegend als Narrativ im Sinne eines größeren Modells oder als Motiv auftreten. In Das Städtchen Drumherum nimmt der Traum deutlich letztere Funktion ein: „Der Traum als Motiv beruht auf der alten Überzeugung, dass Träume in bildhafter Verschlüsselung oder Verrätselung die Wahrheit – z.B. über die Zukunft des Träumers – aussagen.“ (Steinlein 2008, 72) Folglich unterstützt der Bürgermeister nun das Vorhaben der Kinder und stellt sich schützend vor den Wald. Auch das Miteinander der Generationen funktioniert wieder und der Bürgermeister wird sogar zum „Ehrenkind“ ernannt. Die Illustrationen verdeutlichen den Gesinnungswandel: Ein handgeflochtener Blumenkranz ersetzt den schwarzen Zylinder. Am Ende steht fast schon eine kleine Utopie: Die um den Wald herum erweiterte Stadt wird zum Vorbild für den internationalen Städtebau.
Abbildung 3: Ausschnitt des Covers: Der Bürgermeister als bedrohter Schmetterling. (© Verlag Jungbrunnen Wien)
Es ist bezeichnend für die 1970er-Jahre, Konzepte von Urbanität zu propagieren, deren Umsetzung lange Zeit fragwürdig schien. Das Mäandern zwischen magischen und realistischen Elementen findet sich ebenfalls in Mira Lobes Text. Gerade der Einsatz der phantastischen Figur betone die Fiktion. Für den Literaturwissenschaftler Ernst Seibert weist die Erzählung ein