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eines Gähnens imitiert, ist das ein absichtsvoll hervorgebrachtes sprachliches Zeichen. Echtes Gähnen hingegen ist ein Symptom für Müdigkeit, das durch Sauerstoffmangel ausgelöst wird. Und ein tropfender Wasserhahn ist Symptom einer defekten Dichtung, aber im Gegensatz zu einer Hupe am Auto kein auditives Zeichen. Das Tropfen des Wasserhahns will (sofern es sich um einen Defekt handelt) niemanden zu einer bestimmten Handlung bewegen, das Hupen hingegen schon.

      [bad img format]Die wesentliche Eigenschaft kommunikativ genutzter Zeichen besteht darin, dass wir sie in der Absicht nutzen, einem anderen Menschen etwas Bestimmtes zu erkennen zu geben. Sie dienen damit der direkten BeeinflussungBeeinflussung.

      Sprache erleichtert uns also das Kommunizieren und für sprachlich kodierte Kommunikation, die mit Absicht hervorgebracht wird, ist Sprache auch zwingend notwendig. Nur durch ein absichtsvoll hervorgebrachtes Augenrollen oder durch Ihre Körpersprache können Sie keine komplexen Sachverhalte ausdrücken. Dafür benötigen Sie Sprache.

      Diese Erkenntnisse und das Wissen über Sprache als komplexes Zeichensystem lassen Rückschlüsse auf den Prozess des Sprachwandels zu. Sprachwandel ist nämlich auf eine bestimmte Weise an kommunikative Absichten gekoppelt. Denn: Sprachliche Zeichen sind konventionelle Mittel zur Kommunikation. Und Kommunikation ist absichtsvolles Sprachhandeln. So gesehen ist der Sprachwandel eine Folge veränderten Sprachhandelns, was nicht heißen muss, dass diese Folge ebenfalls absichtsvoll entsteht.

      [bad img format]Das absichtsvolle Sprachhandeln mithilfe komplexer sprachlicher Zeichen führt unter bestimmten Umständen zu einem unabsichtlichen Sprachwandel. Dabei gilt: Sprachwandel ist immer die Folge von Sprachhandlungen, aber Sprachhandlungen haben nicht immer Sprachwandel zur Folge.

      Wir werden in Kapitel 3 noch näher auf diesen Zusammenhang eingehen. Zunächst möchte ich Ihnen zeigen, auf welche Weise ein so geordnetes und funktionales System wie die Sprache überhaupt entsteht und wie es zusammengehalten wird. Welche Akteure sind es, die Sprache zu dem machen, was sie ist?

      2.3 Ist Sprache das Ergebnis menschlicher Planung?

      Zu diesem Zeitpunkt wissen wir schon sehr viel darüber, was Sprache ist und was sie nicht ist. Wir haben gesehen, wozu wir über Sprache verfügen und haben eine Idee davon, wie wir mit Sprache umgehen – und dass dieser Umgang unter bestimmten Umständen, die wir in den folgenden Kapiteln noch näher ansehen müssen, zu Veränderungen der Sprache führen kann. Zum Abschluss dieses Kapitels über Sprache sollten wir uns nun Gedanken dazu machen, welche Kräfte es sind, die Sprache als System hervorgebracht haben und es stabil halten.

      Wir müssen zunächst festlegen, wer oder was eigentlich dafür sorgt, dass das komplexe System Sprache, so wie wir es gerade kennengelernt haben, stabil bleibt. Wer oder was formt die Sprache, so dass sie nicht auseinanderfällt? Und wieso ist dieses System dennoch offen für Veränderungen?

      Eine plausible Sichtweise und Begründung dafür ist die Erklärung über das Konzept der spontanen OrdnungOrdnungspontane (vgl. KELLER 2003: 30ff.). Dieses Konzept taugt dazu, die Genese und den Wandel von Sprache zu beschreiben, weil es die Frage beantwortet, wie komplexe kulturelle Phänomene und Strukturen, zu denen auch die Sprache zählt, überhaupt entstehen (in Abgrenzung zu der bereits anhand von Karlheinz beantworteten Frage, wie die Elemente dieses Systems, die sprachlichen ZeichenZeichensprachliches also, in die Welt gekommen sind bzw. sein könnten).

      [bad img format]Unter einer spontanen OrdnungOrdnungspontane versteht man das ungeplante Entstehen von Ordnung aus einem chaotischen Grundzustand.

      Um das verstehen zu können, muss man zunächst wissen, dass Sprache ebenso ein soziales Phänomen ist wie Recht, Geld, Marktwirtschaft oder Religion. All diese sozialen Phänomene entstehen dadurch, dass durch unsichtbare Prozesse aus menschlichen Handlungen sichtbare Strukturen entstehen. Ich möchte Ihnen das anhand der Marktwirtschaft verdeutlichen: Das Prinzip von Angebot und Nachfrage führt dazu, dass Sie mit Geld, das Sie zur Verfügung haben, Dinge kaufen können, die ein anderer in seinem Besitz hat. Nehmen wir an, Sie benötigen dringend eine warme Hose, weil der Winter vor der Tür steht und Sie nur eine kurze Hose besitzen. Sie gehen dann zu einem Freund, von dem Sie wissen, dass er zwei Hosen besitzt – eine, die er selbst trägt und eine, die er Ihnen verkaufen könnte. Nun ist es so, dass Ihr Freund zwar zwei Hosen hat, dafür aber keine Jacke – und auch kein Geld, um eine Jacke zu kaufen. Eine zweite Jacke bietet aber ein anderer Bekannter gegen Geld an, der wiederum … Sie verstehen das Prinzip? Ihr Freund braucht Geld, um sich eine Jacke kaufen zu können – Geld, das Sie besitzen. Der einfachste Weg wäre nun, dass Sie Ihrem Freund Ihr Geld geben, für das er Ihnen seine zweite Hose überlässt, während er mit dem Geld die Jacke kauft usw. Das ist einfacher Tauschhandel und so etwas wie eine basale marktwirtschaftliche Struktur. Komplexere marktwirtschaftliche Systeme bilden sich, wenn beispielsweise Ihr Freund auf die Idee käme, seine Zweithose zu behalten und stattdessen Hosen als Massenware zu produzieren. So könnte er dann nicht nur Ihnen, sondern auch noch vielen anderen Freunden Hosen verkaufen – und er würde stinkreich.

      Nun, was soll Ihnen das Beispiel verdeutlichen? Es zeigt, dass sich dann geordnete Systeme bilden, wenn eine Struktur erzeugt wird (Wert einer Hose in RelationRelationen zum Wert des Geldes), in der Menschen unabhängig voneinander zu deren Entstehung beitragen, weil sie alle mit dem gleichen Zweck oder mit demselben Ziel rationale Entscheidungen treffen. Kaufen und Verkaufen folgen dieser zweckorientierten Ordnung. Die Struktur, die dabei entsteht, bildet sich spontan – also ohne, dass Sie, Ihr Freund und alle anderen, die nach den Prinzipien der Marktwirtschaft handeln, diese Struktur hervorbringen oder aufrechterhalten wollen. Und doch bildet sie sich und ist stabiler, als wenn sich jemand diese Struktur ausgedacht hätte. Die Handlungszwecke erzeugen eine stabile Struktur, zumindest eine relativ stabile Ordnung. Wenn nämlich jemand auf die Idee kommt, mehr Hosen zu produzieren als nötig sind, um den Bedarf an Hosen zu decken, werden Hosen billiger und das System verändert sich – der Wert des Geldes steigt in Relation zum Wert einer Hose.

      Die Struktur, die ich Ihnen anhand des Beispiels gezeigt habe, zeichnet sich durch Wahlhandlungen aus:

      1 Jeder Beteiligte möchte möglichst warm angezogen sein.

      2 Jeder Beteiligte gibt das, was er im Überfluss hat, gegen Bezahlung ab.

      3 Jeder Beteiligte ist bereit, für Kleidung angemessen viel zu bezahlen.

      Nun funktioniert diese Struktur nur, wenn alle drei Handlungsziele zugleich verfolgt werden. Würde man sein Handeln lediglich und ausschließlich nach Prämisse 1 ausrichten, müsste nicht zwingend so etwas wie Marktwirtschaft entstehen. Es wäre auch möglich, dass ein asoziales System entstünde, in dem Diebstahl zu Kleidung verhilft. Ein solches System wiederum wäre eher instabil, der Zustand wäre chaotisch und eben nicht geordnet.

      [bad img format]Für soziale Phänomene wie Märkte oder Sprache gilt: Das „Verständnis der Erzeugungsweise von Strukturen [ist] konstitutiv für das Verständnis der Struktur selbst“ (KELLER 2003: 33).

      Inwieweit lässt sich das bisher Gesagte auf Sprache beziehen? Wie alle anderen spontanen OrdnungenOrdnungspontane ist auch die Sprache durch KomplexitätKomplexität und durch weit verzweigtes Wissen gekennzeichnet und ihr Sein ist ebenso von Einzelhandlungen abhängig wie bei anderen spontanen Ordnungen. Dabei ist die Sprache als komplexes System eine unbeabsichtigte Folge sprachlichen Handelns, das aufgrund biologischer Anlagen möglich ist: Das Sprachvermögen ist biologisch determiniert und damit die Voraussetzung für Sprachhandeln. Aber Sprachvermögen allein schafft noch keine komplexe Sprache.

      Wenn wir auf die Geschichte von Karlheinz zurückblicken, können wir feststellen, dass die (vermutete) Entstehung von Sprache eng zusammenhängt mit menschlichem Handeln und mit der Verfolgung von Einzelzielen – ebenso wie die Marktwirtschaft eng zusammenhängt mit rationalen HandlungsmaximenMaximeHandlungs-. Man könnte für spontane OrdnungenOrdnungspontane im Allgemeinen und für Sprache im Speziellen sagen:

      [bad img format]Spontane Ordnungen (und deren Veränderungen) sind zwar das Ergebnis menschlichen Handelns, sie sind aber nicht das Ergebnis einer menschlichen Planung.

      Behalten Sie diese Überlegungen zu spontanen OrdnungenOrdnungspontane

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