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(KELLER 2003: 52).

      [bad img format]BERNARD MANDEVILLE (1670—1733)

      war ein niederländischer Arzt und Sozialtheoretiker. In seinem Hauptwerk, der Bienenfabel, beschreibt er die Wirtschaft als Kreislaufsystem und stellt die provozierende These auf, dass nicht die Tugend, sondern das Laster die eigentliche Quelle des Gemeinwohls sei. Seine Argumentation folgt dabei folgendem Muster:

      1 Kaufleute verfolgen ihre eigenen Interessen.

      2 Kaufleute richten ihr Handeln nach dem optimalen Gewinn aus.

      3 Der optimale Gewinn führt zu kollektivem Wohlstand in der Gesellschaft.

      MANDEVILLE formuliert damit ein ParadoxonParadoxon, das auf dem menschlichen Wesen (1.), individuellen, kulturell bedingten HandlungsmaximenMaximeHandlungs- (2.) und kausalen Folgen von Einzelhandlungen (3.) basiert. Das nach ihm benannte Paradoxon basiert darauf, dass egoistisches Handeln zu positiven Effekten für die Allgemeinheit führt.

      Technischer Fortschritt, die Bildung neuer Jugend-Subkulturen, die Rechtschreibreform, neue Gesetze und Verordnungen und auch Veränderungen der Sprache sind Phänomene des Kulturwandels und sie beruhen auf denselben Prinzipien, die ich gerade skizziert habe, wobei man Faulheit treffender mit Eigeninteressen bezeichnen kann.

      [bad img format]Kulturwandel basiert auf Eigeninteressen und ist eine (positive oder negative) Folge der kollektiven Verwirklichung solcher Interessen. Das gilt auch für den Sprachwandel.

      In der modernen Industriegesellschaft ist ein offensichtlich entscheidender Antrieb für Kulturwandel der technologische Fortschritt. Auch auf die Sprache wirkt sich dieser Fortschritt aus, wenn es beispielsweise darum geht, neue Dinge zu benennen. Dennoch ist der technische FortschrittFortschritttechnischer für Sprachwandel weder hinreichend noch notwendig. Das wesentlichste Handlungsmotiv ist vielmehr das des Verstandenwerdens. Das beschriebene vorrangige Eigeninteresse eines Sprechers in einer Sprachgemeinschaft ist BeeinflussungBeeinflussung und Verständigung, wobei – ähnlich wie beim Erfinder des Autos – Faulheit eine Rolle spielen kann, aber nicht spielen muss:

      [bad img format]Sprachwandel entsteht häufig aus sprachökonomischen Gründen, folgt aber in jedem Fall kulturell bedingten HandlungsmaximenMaximeHandlungs- und kulturell zulässigen Handlungsmöglichkeiten.

      Kultureller Wandel, der auf HandlungsmaximenMaximeHandlungs- als Begebenheiten innerhalb der Kultur zurückgeht, wird als endogener KulturwandelKulturwandelendogener bezeichnet. Entsteht hingegen ein Wandlungsprozess durch die Begegnungen mit anderen Kulturen, aus denen Teile übernommen und zu einer neuen Form abgeändert werden, spricht man von induziertem Kulturwandel.

      Für Veränderungen kultureller und sozialer Entitäten gibt es verschiedene Mechanismen, von denen einige auch auf den Sprachwandel übertragbar sind. Diese Mechanismen basieren auf Einflussfaktoren, die auf den sozialen Wandel einwirken. Im Wesentlichen kann man als Einflussfaktoren auf den Kulturwandel die Prozesse Fortschritt, AdaptionAdaption (Anpassung an Umwelteinflüsse), DiffusionDiffusion und AkkulturationAkkulturation (Übernahme und Anpassung aus/an fremde/n Kulturen) sowie InventionInvention (Erfindung oder Einführung neuer Prinzipien, Werkzeuge oder Bräuche) identifizieren, wobei Fortschritt und Invention als endogene KulturwandelKulturwandelendogenerprozesse den induzierten Formen Adaption, Diffusion und Akkulturation gegenüberstehen (vgl. dtv-Atlas Ethnologie: 87ff.).

      Abb. 4

      Einflussfaktoren auf den Kulturwandel

      Nun ist es so, dass kultureller Wandel unterschiedlich rasch vonstattengeht. Es gibt Prozesse, die schneller ablaufen und oft innerhalb einer Generation abgeschlossen sind und solche, die erst über einen langen Zeitraum zu Effekten führen. Im Prinzip kann man zwischen motiviertem und unmotiviertem Kulturwandel unterscheiden, wobei motivierter Kulturwandel zu schnellen Veränderungen führt, die aber weniger stabil sind als unmotivierte Veränderungen, die auf TradierungTradierung beruhen und damit langsam, aber beständig ablaufen. Dieser Zusammenhang gilt auch und insbesondere für den Sprachwandel:

      [bad img format]Geplante Eingriffe in ein Sprachsystem (z.B. durch Orthografieregeln, Wortneuschöpfungen durch Werbung o.Ä.) sind oft nur von kurzer Dauer, wogegen sich langfristige Veränderungen über TradierungenTradierung ergeben. Tradierung führt als Prozess des Kulturwandels zu komplexen strukturellen Veränderungen (Prozess vs. Eingriff).

      3.2 Was ist Sprachwandel?

      Sprache und Sprachwandel hängen untrennbar miteinander zusammen. Ohne das eine ist das andere nicht denkbar. Weder gibt es Sprache ohne Sprachwandel noch gibt es Sprachwandel ohne Sprache. Das klingt banal und doch ist diese Wechselwirkung eine erste und wichtige Erkenntnis dieser Einführung. Man kann sagen: Das eine folgt unmittelbar aus dem anderen. Aber ist es nun die Sprache, die den Wandel bedingt oder ist es der Wandel, der die Sprache formt? Auf den ersten Blick ist das keine schwere Frage. Ohne etwas, das sich verändern könnte, gäbe es keine Veränderung. Es ist also plausibel anzunehmen, dass es zunächst die Sprache selbst ist, die die Bedingungen für ihren Wandel schafft. Und dennoch ist beides richtig: Einerseits haben Sprachen aufgrund ihres Wesens das Potenzial zur Veränderung. Und andererseits führt Sprachwandel – mit zeitlichem Abstand betrachtet – zu neuen Sprachen bzw. zu neuen Sprachzuständen.

      Sprachwandel findet jederzeit und vor allem auf allen Makro- und MikroebenenMikroebene der Sprache und dabei auch ebenenübergreifend statt. Solange Sprachen aktiv gesprochen werden, müssen sie sich den kommunikativen BedürfnissenBedürfnissekommunikative ihrer Sprecher anpassen können. Aus linguistischer Sicht können wir verschiedene Dimensionen auf Wandelphänomene hin analysieren, wobei die Analyse davon abhängt, welche SprachauffassungSprachauffassung wir als „richtig“ anlegen. Dazu hatten wir in Kapitel 1 bereits hinreichende Gedanken formuliert: Je nach Blickrichtung auf den Gegenstandsbereich Sprache lässt sich unterschiedlich erklären, was Sprachwandel ist und wodurch er entsteht.

      Um Sprachwandel also adäquat erklären zu können, müssen wir eine sprachhistorische Betrachtung anstellen, die vergleichend Sprachzustände zu unterschiedlichen Zeitpunkten darstellt, und gelangen darüber zu Hypothesen, worin die Unterschiede begründet sein könnten. Die „richtige“ SprachauffassungSprachauffassung hilft uns dabei. Eine systemlinguistische Analyse hilft zudem dabei, Familienähnlichkeiten zwischen Einzelsprachen erfassen zu können, wobei eine solche Betrachtungsweise eher theoretischer als analytischer Natur ist.

      Sprachwandel lässt sich nicht nur durch eine Festlegung des Sprachsystems und seiner systemimmanenten Prinzipien fassen. Vielmehr können wir in das System selbst hineinblicken und feststellen, dass auch auf den MikroebenenMikroebene der Sprache selbst Veränderungen beschreib- und erklärbar werden. Die nachfolgende Abbildung zeigt, welche Dimensionen insgesamt beim Sprachwandel miteinander verwoben sind, wobei wir in Kapitel 1 bereits die Dimension des Sprachsystems beleuchtet haben und uns in diesem und den beiden folgenden Kapiteln insbesondere sprachpragmatischen Aspekten des Sprachwandels widmen werden. Eine Betrachtung der Dimension Semantik erfolgt aufgrund der Besonderheiten des Bedeutungswandels im zweiten Teil dieser Einführung.

      Abb. 5

      Dimensionen des SprachwandelsDimensionendes Sprachwandels

      Sprachwandel als ein Sonderfall des soziokulturellen Wandels folgt denselben Prinzipien, wie wir sie im Abschnitt 2.1.1 kennengelernt haben. Die Einflussfaktoren, die für Kulturwandel im Allgemeinen gelten, bestimmen auch den Wandel von Sprachen.

      [bad img format]Sprachwandel ist ein prozessuales Phänomen, das seinen Ursprung beim Einzelnen nimmt und durch Verbreitung als Systemwandel mit zeitlichem Abstand beobachtbar und beschreibbar wird.

      Dabei gibt es für eine Betrachtung

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