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angemessen ist:

      [bad img format]Sprache ist nicht die Bedingung für Kommunikation, sie ist vielmehr eine evolutionäre Folge unserer kommunikativen Bemühungen.

      Menschliche Sprache unterscheidet sich von tierischen Lauten dadurch, dass Lautäußerungen bei Tieren eher Ausdruck innerer Ereignisse sind und nicht der Kommunikation in unserem Sinn entsprechen dürften. Während unsere Sprache den Charakter der ZeichenhaftigkeitZeichen-haftigkeit trägt – wir also mit sprachlichen ZeichenZeichensprachliches absichtsvoll kommunizieren, um andere Menschen in der von uns gewünschten Weise zu etwas zu bringen –, sind tierische Laute eher als SymptomeSymptom zu deuten. Die Bedeutung sprachlicher Zeichen ist im Gegensatz zu Symptomen, die natürlich hervorgebracht werden, konventionell, also durch Übereinkunft definiert. Sprachliche Zeichen müssen daher bewusst oder unbewusst erlernt werden.

      Auch bei uns Menschen gibt es zahlreiche SymptomeSymptom, wenn es darum geht, Krankheiten zu identifizieren. Eine laufende Nase etwa ist ein Symptom für einen Schnupfen. Symptome dienen aber nicht der Kommunikation. Sie werden weder absichtsvoll hervorgebracht noch sollen sie der BeeinflussungBeeinflussung dienen. „Symptome können ähnliche Effekte hervorrufen wie sprachliche ZeichenZeichensprachliches“ (KELLER 2003: 38), aber sie sind keine sprachlichen Zeichen.

      Sprache, wie wir sie haben, ist ein System von Zeichen, das uns zur absichtsvollen Kommunikation dient, und es ist sehr plausibel anzunehmen, dass die Fähigkeit zur Kommunikation eine Bedingung dafür war, dass Sprache sich überhaupt entwickeln konnte. Tierischen Lauten hingegen fehlt das Zeichenhafte, das unsere menschliche Sprache ausmacht. Tierische Kommunikation basiert auf SymptomenSymptom und selbst Tierbesitzer, die oftmals behaupten, ihr Dackel oder ihre Katze „spreche“ mit ihnen, werden einräumen müssen, dass ein Schwanzwedeln oder ein Fauchen eher ein Symptom für einen inneren Vorgang in ihrem Tier als ein absichtsvoll ausgesendetes Zeichen zum Zweck der BeeinflussungBeeinflussung ist. Dass dies dennoch oft anders wahrgenommen wird, liegt daran, dass viele Herrchen menschliche Kommunikation in den symptomischen Handlungen ihres Tieres spiegeln. Der Linguist HEINZ VATER schreibt dazu: „[Ein Hund] kann – nach einem Ausspruch von Bertrand Russel – nicht mitteilen, dass seine Eltern arm, aber ehrlich waren“ (VATER 1999: 17).

      Wenn wir also anerkennen, dass unsere menschliche Sprache a) ein komplexes Zeichensystem ist und b) dieses Zeichensystem auf absichtsvollem Gebrauch basiert, dann möchte man herausfinden, wie ein solches System, das zwischen SymptomenSymptom und SymbolenSymbol unterscheidet, entstanden ist. Wie ist aus einer tierischen Symptomsprache eine menschliche Symbolsprache, also ein komplexes System sprachlicher Zeichen geworden? Dazu gibt es in der Sprachphilosophie sehr viele kluge Ausführungen, die sich mit der Genese menschlicher Sprache beschäftigen. Viele davon sind lesenswert, aber sie sind oft sehr abstrakt. Die folgende Geschichte ist ein Märchen und soll auch als solches verstanden werden. Aber dieses Märchen enthält wichtige Gedanken darüber, welchen Nutzen die menschliche Sprache hat. Diese Aspekte sind zentral, wenn wir erklären möchten, auf welche Weise Sprachen entstanden sind und wie sie sich verändern können.3

       Exkurs: Karlheinz, der Affenmensch — oder: Wie sind wir überhaupt zur Sprache gekommen? 4

      Vor rund einer Million Jahren lebte in der Savanne Afrikas eine Horde Affenmenschen, also eine Gattung Lebewesen, die weder Mensch noch Affe war. Was diese Affenmenschen von den Menschen unterschied, war, dass sie keine Sprache hatten. Dennoch konnten sie sich untereinander verständigen, indem sie knurrten oder keiften, wenn sie verärgert waren oder wimmerten, wenn es ihnen schlecht ging. Diese Laute waren Ausdruck ihrer Gefühle. Wenn die Affenmenschen Angst hatten, dann schrien sie laut, auch um die anderen Familienmitglieder zu warnen.

      In der Horde lebte ein Affenmensch mit Namen Karlheinz. Karlheinz war ein eher schmächtiger Bursche und sein Rang in der Gruppe war gering. Dafür war Karlheinz ziemlich clever — und eigentlich immer hungrig.

      Jeden Abend, wenn die kleine Gruppe um ihr Feuer saß und die Beute des Tages verspeiste, war es Karlheinz, der stets als Letzter etwas zu fressen bekam. Die Lautesten und Stärksten in der Gruppe sicherten sich die leckersten Happen, so ging es tagein und tagaus. Karlheinz saß jedes Mal ein wenig abseits und wartete traurig darauf, die letzten Reste der Beute abzubekommen.

      Eines Abends, die Gruppe saß wieder am Futterplatz zusammen und verzehrte ihre Beute, erblickte Karlheinz einen Tiger im Gebüsch unweit des Platzes. Sofort stieß er einen lauten Angstschrei aus, woraufhin die restlichen Affenmenschen sogleich von ihrem Fressen abließen und das Weite suchten. Der Schrei, den Karlheinz ausgestoßen hatte, war ein SymptomSymptom der bloßen Angst. Wie versteinert blieb er an seinem Platz sitzen, unfähig, sich zu rühren. Da erschien aus dem Gebüsch nicht etwa ein gefährlicher Tiger, sondern ein harmloses kleines Schweinchen, das mehr Angst vor Karlheinz hatte als er vor ihm. Karlheinz hatte sich geirrt.

      Als Karlheinz nun sehr erleichtert sah, dass er jetzt der einzige am Futterplatz war, musste er grinsen. Das ganze schöne Fressen hatte er für sich allein, weit und breit war niemand zu sehen, der es ihm streitig machen konnte. Nachdem er sich den Bauch vollgeschlagen hatte, kam ihm eine zündende Idee: Warum sollte er das, was ihm versehentlich passiert war, nicht künftig willentlich tun?

      Als am nächsten Abend wieder einmal kein Platz für ihn an der Futterstelle frei war, packte ihn der Mut und er imitierte haargenau den Schrei des Vorabends und wieder flüchteten alle anderen Affenmenschen — Karlheinz konnte sich erneut in aller Seelenruhe vollfressen.

      Karlheinz fand Gefallen an seinem Trick und übertrieb es. Eines Tages wurde einer der anderen Affenmenschen misstrauisch. Statt zu fliehen, blieb er sitzen und als er sah, dass keine Gefahr drohte, hatte er die Täuschung durchschaut. Immer mehr Affenmenschen kamen dem Trick mit dem Schrei auf die Schliche und so verbreitete er sich rasend schnell. Jeder, der ihn kannte, wollte es selbst einmal ausprobieren. Natürlich ging das nicht lange gut. Als die stärkeren Affenmenschen dahinter kamen, war das Spiel vorbei — und Karlheinz musste wieder hungern und um Almosen betteln.

      Eines Tages geschah etwas, was man als den ersten tatsächlich kommunikativen Akt im menschlichen Sinne bezeichnen kann: Einer der Chefs der Truppe, der es nie nötig gehabt hatte, den Angstschrei zu imitieren, um an Nahrung zu kommen, verwendete den Schrei, als ihm einer der Habenichtse zu nahe kam — nicht aber, um ihn zu täuschen, sondern um ihm ganz direkt zu verstehen zu geben, er solle schleunigst verschwinden. Dabei musste er den Schrei nicht einmal sonderlich gut imitieren. Ganz im Gegenteil: Es sollte erkennbar sein, dass es sich nicht um einen Schrei der Angst handelt, sondern um ein willentlich und absichtsvoll hervorgebrachtes Imitat. Die Bedeutung dieses sehr rudimentären ersten menschlichen Wortes könnte man frei übersetzen mit: Hau bloß ab, sonst gibt es was mit der Keule auf die Mütze! Bei Fußballspielen u.ä. Veranstaltungen lässt sich diese sehr archaische menschliche Kommunikation noch heute bisweilen beobachten.

      Der Schrei war zu einem sprachlichen ZeichenZeichensprachliches geworden und die naturhafte Kommunikation hatte ihre Unschuld verloren. Der Schrei war nicht mehr länger Ausdruck, also ein SymptomSymptom von Angst, sondern zum Ausdruck eines Willens und damit zum Mittel einer kommunikativen Handlung geworden. Und so war es Karlheinz, der den Menschen über Umwege und aus Hunger die Sprache gebracht hat.

      Auch wenn es sich bei dieser Geschichte nur um ein Märchen handelt, das in einem wissenschaftlichen Sinn keinen Anspruch auf Korrektheit erhebt, können wir doch eines daraus lernen:

      [bad img format]Menschliche Kommunikation durch Sprache bedeutet, ein System konventioneller sprachlicher Zeichen mit einer bestimmten Syntax zu haben, mit dessen Hilfe man einem anderen Menschen zu erkennen geben kann, wozu man ihn bringen möchte.

      Ob nun Karlheinz tatsächlich der Erfinder des ersten sprachlichen ZeichensZeichensprachliches war oder nicht, spielt dabei keine Rolle – aber es ist eine schöne Vorstellung.

      Die Tatsache, dass wir auch ohne Sprache kommunikativ handeln können (z.B. durch Gesten oder durch unsere Kleidung), zeigt, dass Sprache nicht die Voraussetzung für menschliche Kommunikation ist, sondern dass menschliche Kommunikationsfähigkeit

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