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Sprachwandel - Bedeutungswandel. Sascha Bechmann
Читать онлайн.Название Sprachwandel - Bedeutungswandel
Год выпуска 0
isbn 9783846345368
Автор произведения Sascha Bechmann
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
2.2.3 Ist Sprache ein Werkzeug?
Wir haben bereits erkannt, dass Sprache kein Organismus ist. Dennoch kann man mit gutem Recht behaupten, dass es sich um ein OrganonOrganon, also um ein Werkzeug handelt.1 Der wesentlichste Unterschied zwischen den Auffassungen von Sprache als Organismus und von Sprache als Organon besteht darin, dass die Sprache im letzteren Falle nicht als eigenständige Entität, die es auch unabhängig vom Menschen geben könnte, sondern als ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Kultur angesehen wird. Aber auch durch den Organon-Begriff darf man sich nicht in die Irre führen lassen: Sprachen dienen uns zwar zu bestimmten Zwecken, deshalb sind sie keine unabhängigen Organismen. Sie sind Werkzeuge, aber auch nicht im Sinne eines Hammers oder einer Zange, denn solche Werkzeuge sind vom Menschen mit Absicht erschaffen worden. Für Sprachen gilt das nicht.
[bad img format]Sprache erhält ihren Charakter als Werkzeug über den Gebrauch, nicht durch Planung.
Wie jedes Werkzeug ist auch die Sprache funktional; das bedeutet, dass sie sich zu bestimmten Zwecken nutzen lässt. Der Werkzeugcharakter wird dann deutlich, wenn man hinterfragt, wozu Sprache eigentlich da ist, also welche Funktion Sprache erfüllt.
Wenn Menschen miteinander kommunizieren, dann werden nicht nur Informationen übertragen. Ganz im Gegenteil: Wir wollen mit jeder Botschaft viel mehr ausdrücken als das, was wir sagen. Das konnten wir bei Karlheinz, dem Affenmenschen, bereits erkennen, der seine Laute mit einer bestimmten Absicht hervorgebracht hat, wodurch das SymptomSymptom vom SymbolSymbol erst unterscheidbar gemacht wurde.
Ein naiver Sprachbegriff würde davon ausgehen, dass Sprache dazu da ist, die Welt, so wie sie ist, abzubilden. Kommunikation wäre dann der Austausch von Informationen über die Welt. Wenn das so wäre, dann wäre Kommunikation sehr langweilig und es würde weit weniger miteinander gesprochen, als es in der Realität der Fall ist. Überprüfen Sie das einmal an Ihrem eigenen Sprachhandeln: Warum sprechen Sie mit anderen Menschen? Sie werden feststellen, dass Sie, wenn Sie abends mit Freunden zusammensitzen, nicht konsequent über ein oder zwei Themen sprechen. Vielmehr springen Ihre Gespräche immer hin und her – mit verteilten Gesprächsanteilen. Nach einem solchen Abend nehmen Sie sicher auch einige neue Informationen mit nach Hause. Viel wichtiger aber ist es, dass Sie durch Sprache in einem sozialen GefügeGefügesoziales eingebunden waren. Sie haben sich darstellen können, Sie haben Ihre Meinung positionieren können, Sie haben als Ratgeber fungiert u.v.m. Sie haben durch Ihr Sprachhandeln auf Ihre Umwelt eingewirkt und Ihre Rolle im sozialen Gefüge u.U. gefestigt. Ihr Sprechen hat sicher etwas bewirkt und wenn Sie in diesem Gespräch beispielsweise Ihrem besten Freund versprochen haben, ihm beim Reparieren seines Fahrrades zu helfen, dann haben Sie sogar aktiv durch Sprechen gehandelt: Jemandem ein Versprechen zu geben, ist eine sprachliche und zugleich eine soziale Handlung. Die Lehre von solchen sprachlichen Handlungen nennt man in der Sprachwissenschaft Pragmatik. Die Pragmatik geht, grob gesagt, von folgender Prämisse aus:
[bad img format]Sprachliches Handeln ist immer auch außersprachliches Handeln — und damit ein Werkzeug zur sozialen Interaktion.
Jetzt, da wir wissen, dass Sprache eine Handlungsfunktion besitzt und nicht etwa zur Spiegelung der Welt dient, können wir erkennen, dass Sprachwandel nicht dadurch bestimmt ist, dass sich die Welt verändert.
[bad img format]Nicht der Wandel der Welt führt zu einem Wandel der Sprache, sondern Veränderungen in den HandlungsmaximenMaximeHandlungs- von Sprechern. Diese Handlungsmaximen können durch einen Wandel in der Welt bestimmt sein, dies ist aber weder notwendig noch hinreichend für Sprachwandel.
Auch WILHELM VON HUMBOLDT ist dieser Auffassung, wenn er schreibt, „daß die Sprachen nicht eigentlich Mittel sind, die schon erkannte Wahrheit darzustellen, sondern weit mehr, die vorher unerkannte zu entdecken. Ihre Verschiedenheit ist nicht eine von Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst“ (HUMBOLDT 1820/1963: 19f.).
Der Sprachpsychologe KARL BÜHLER hat ein OrganonOrganon-Modell entwickelt, das anschaulich zeigen kann, welche Funktion Sprache in der menschlichen Kommunikation erfüllt. In erster Linie ist BÜHLERs Modell ein linguistisches Modell für Kommunikation, denn die Sprache steht bei diesem Modell im Zentrum der Betrachtung. Die Idee BÜHLERs war es, das Sprachzeichen und die Sprache an sich in den Zusammenhang mit der konkreten Sprechhandlung zu setzen. Das Besondere daran: BÜHLER betrachtet Sprache als ein Gebilde der Handlung, erkennt also, dass Sprechen immer auch gleichzeitig Handeln bedeutet. Aus diesem Grund nennt er sein Kommunikationsmodell in Anlehnung an Platons Dialog „Kratylos“ das Organon-Modell.2Organon Die Sprache selbst ist für BÜHLER ein Werkzeug, mit dessen Hilfe man einem anderen Menschen etwas über die Dinge der Welt mitteilen kann.3
BÜHLER entwickelt sein Modell anhand des konkreten Schallphänomens, das entsteht, wenn wir sprachliche ZeichenZeichensprachliches hervorbringen. Das OrganonOrganon-Modell geht von einer wechselseitigen Beziehung zwischen Sender und Empfänger aus. Hinzukommt, dass es in diesem Modell eine Verbindung zu den materiellen Gegenständen selbst gibt. Es gibt somit eine RelationRelationen des Schallphänomens zum Sprecher (Sender), eine Relation des Schallphänomens zum Hörer (Empfänger) und eine Relation des Schallphänomens zu den Dingen oder Sachverhalten der Welt. Mit Sprache lassen sich in diesem Modell also Dinge und Sachverhalte darstellen. Und nun kommt der Clou: Das Schallphänomen ist für den Sprecher Ausdruck seines Erlebens und seiner Empfindungen, für die Gegenstände und Sachverhalte in der Welt eine symbolhafte Darstellung und für den Hörer ein Signal oder ein Appell, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten (und wenn es nur das Zuhören ist). Ausdruck, Darstellung und Appell sind somit die drei Funktionen, die sich für BÜHLER in jedem konkreten Sprechereignis zeigen. Das Modell selbst lässt sich wie folgt schematisch darstellen:
Das OrganonOrganon-Modell (nach BÜHLER)
Die Sprache wird hier als ein Mittel, Werkzeug oder Instrument gesehen, durch das der Mensch mit seinen Mitmenschen kommuniziert, durch das er sie beeinflusst oder manipuliert. Diesen Tätigkeitscharakter finden wir schon bei HUMBOLDT, wenn er feststellt:
Sie selbst [die Sprache] ist kein Werk (Ergon), sondern eine Tätigkeit (Energeia). […] Sie ist nämlich die sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den artikulierten Laut zum Ausdruck des Gedankens fähig zu machen. Unmittelbar und streng genommen, ist dies die Definition des jedesmaligen Sprechens; aber im wahren und wesentlichen Sinne kann man auch nur gleichsam die Totalität dieses Sprechens als die Sprache ansehen. (HUMBOLDT 1836/1963: 418)
Halten wir also für den Augenblick zusammenfassend fest:
[bad img format]Sprache ist Mittel der BeeinflussungBeeinflussung anderer Menschen mittels sprachlicher SymboleSymbol.
Sprache ist also geknüpft an strategische HandlungsmaximenMaximeHandlungs-, die wiederum soziokulturell determiniert und damit dynamisch sind.
[bad img format]Sprachwandel ist somit ein Spezialfall soziokulturellen Wandels.
Dass Sprache Handeln ist und dass Handeln wiederum ein sozial bestimmtes Phänomen ist, welches bestimmten HandlungsmaximenMaximeHandlungs- verpflichtet und damit zweckgerichtet ist, wird auch anhand der im vorherigen Abschnitt besprochenen Unterscheidung zwischen SymptomenSymptom und SymbolenSymbol evident: Es ist ein gravierender Unterschied, ob jemand absichtsvoll ein Wort äußert oder ob er durch ein reflektorisches Husten Laute hervorbringt. Das Wort ist ein sprachliches ZeichenZeichensprachliches, das Husten nicht. Dasselbe gilt auch für nonverbale Zeichen: Wenn jemand zum Ausdruck seiner Verärgerung das Gesicht verzieht, dann kommuniziert er auf diese Weise und gibt seinem Gegenüber zu verstehen, dass er wütend ist (und eine bestimmte Reaktion erwartet). Das Verziehen des Gesichts ist ein kommunikatives,