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geplant und auf rationaler Grundlage kalkuliert werden – d. h. auf der Grundlage von Theorie, auch wenn dies nur im Sinne von technischer Rationalität als Abwägung von geeigneten Mitteln für die gewählten Ziele geschieht.

      ­Nietzsche glaubte darin eine eigene Form von Lust zu erkennen, die in der Theorie begründet wurde und nur in ihr offen steht, und welche sich von der des Künstlers an einem entscheidenden Punkt unterscheidet:

      

„Wenn nämlich der Künstler bei jeder Enthüllung der Wahrheit immer nur mit verzückten Blicken an dem hängen bleibt, was auch jetzt, nach der Enthüllung, noch Hülle bleibt, geniesst und befriedigt sich der theoretische Mensch an der abgeworfenen Hülle und hat sein höchstes Lustziel in dem Prozess einer immer glücklichen, durch eigene Kraft gelingenden Enthüllung. Es gäbe keine Wissenschaft, wenn ihr nur um jene eine nackte Göttin und um nichts Anderes zu tun wäre.“(GT III-1, 94)

      Damit wird der Prozess der Wissenschaft als ihre eigentliche Grundlage aufgefasst – man könnte auch sagen: ihr Tun und nicht ihr Ergebnis. So weit könnte man dies allerdings noch innerhalb der auch in der Wissenschaftstheorie bekannten Unterscheidung zwischen Genesis und Geltung zu verstehen suchen, also zwischen dem Auffindungszusammenhang und dem Begründungszusammenhang wissenschaftlicher Theorien.

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      Aber ­Nietzsches Behauptung geht doch wesentlich weiter. Er spricht geradezu vom „Grundgeheimnis der Wissenschaft“, das darin liege, dass es in ihr mehr um das „Suchen der Wahrheit“ als um diese selbst gehe (GT III-1, 95). Die Vorstellung von einer von ihrem Entstehungszusammenhang völlig unabhängigen Beziehung der Wissenschaft zu einer Welt an sich gilt ihm als eine „tiefsinnige Wahnvorstellung“ – als

      

„jener unerschütterliche Glaube, dass das Denken, an dem Leitfaden der Kausalität, bis in die tiefsten Abgründe des Seins reiche, und dass das Denken das Sein nicht nur zu erkennen, sondern sogar zu korrigieren imstande sei. Dieser erhabene metaphysische Wahn ist als Instinkt der Wissenschaft beigegeben und führt sie immer und immer wieder zu ihren Grenzen, an denen sie in Kunst umschlagen muss: auf welche es eigentlich, bei diesem Mechanismus, abgesehn ist.“ (GT III-1, 95)

      Wir könnten an dieser Stelle den von ­Nietzsche hergestellten Zusammenhang zwischen der Wissensform der Wissenschaft und der Kunst – und damit der Ästhetik – darin sehen, dass dieses Wissen auf einem ‚Glauben‘ (der aus anderer und gerade aus der wissenschaftlichen Perspektive auch als ‚Wahn‘ bezeichnet werden kann) bzw. auf einem ‚Instinkt‘ beruht. Jener ‚Glaube‘, auf dem die Wissenschaft beruht, führt sie demnach in den Bereich der ‚Kunst‘, wenn ihre spezifische Perspektive (also die des theoretischen Menschen) als ganze betrachtet wird. Wenn ­Nietzsche hinzufügt, dass die Wissenschaft einen ‚Mechanismus‘ darstelle, der von sich aus zur Kunst führe („auf welche es eigentlich … abgesehen ist“)‚ so bezieht er sich auf Grenzen der Wissenschaft, die ihr selbst immanent sind. Man könnte diese Grenzen vor allem in ihrer Selbstauffassung sehen – die Wissenschaft kann sich nicht selbst wissenschaftlich auffassen.

      Deshalb kommt die Wissenschaft in ihrer Selbstreflexion notwendig auf das zurück, wovon sie sich in ihrem historischen Anfang bei Sokrates/Platon gerade radikal abgrenzen wollte – auf den ‚Mythos‘, man könnte auch sagen: auf das Erzählen von Geschichten. Die „Bestimmung“ der Wissenschaft ist es demnach,

      

„das Dasein als begreiflich und damit als gerechtfertigt erscheinen zu machen: wozu freilich, wenn die Gründe nicht reichen, schliesslich auch der Mythus dienen muss, den ich sogar als notwendige Konsequenz, ja als Absicht der Wissenschaft … bezeichnete.“ (GT III-1, 95)

      Hier wird der ‚Mythos‘ – also die erzählte Geschichte – deshalb zur ‚Konsequenz‘ der Wissenschaft, weil das Begründen in der Wissenschaft ‚endlich‘ ist, d. h. Grenzen hat. Der ‚Umschlag‘ in Kunst ist also kein Vorgang innerhalb der Wissenschaft, sondern

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      an ihren Grenzen, d. h. dort, wo ihr die Gründe ausgehen, und dort, wo sie grundsätzlich auf sich selbst reflektieren soll. Wenn sich die Wissenschaft dann als Mythos erweist, so heißt das demnach nicht, dass ­Nietzsche sie insgesamt als ein zweifelhaftes Unternehmen von geringer Qualität auffasst, das man besser auflösen sollte, sondern es geht um den Weg zu einer Reflexion auf die Grundlagen der Wissenschaft und zu ihrem angemessenen und besseren Selbstverständnis.

      ­Nietzsches Kritik bezieht sich also auf das Verständnis des Status von Wissenschaft, d. h. der in ihr ausgearbeiteten Wissensform als solcher. Man könnte pointiert sogar sagen: kritisiert wird nicht die Wissenschaft, sondern ihr falsches Selbstverständnis, das sich etwa im Glauben an die Kausalität als einer Allmacht des Seins in den Händen der Menschen dokumentiert. Man sieht auch an dieser Stelle, wie ­Nietzsche auf der Grundlage der Kantischen Philosophie steht – Kant hatte die Reflexion auf Kausalität als einen der Begriffe des Verstandes unternommen, mit deren Hilfe wir aus den bloßen Anschauungen eine Welt von Objekten ‚konstruieren‘, von der wir uns als Subjekte unterscheiden können. Wir können Kausalität also nicht im Sein selbst finden, sondern sie nur als eine der Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung nachweisen, die selbst mit den Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung identisch sind. Schon auf dieser Kantischen Grundlage müsste eine Auffassung von Kausalität als Eigenschaft des Seins selbst, welche vom Wissenschaftler nur in Aussagen beschrieben und abgeschildert werden muss, ein Selbstmissverständnis des Wissensstatus der Wissenschaft darstellen. ­Nietzsche nimmt diese Einsicht auf, wenn er die Vorstellung von Kausalität als einer Eigenschaft des Seins selbst als ‚Wahn‘, ‚Glauben‘ und doch auch als ‚Instinkt‘ der Wissenschaft bezeichnet, an deren Grenzen sie deshalb selbst als Mythos, d. h. als erzählte Geschichte erscheint.

      Man kann deshalb auch sagen, dass die Wissensform der Wissenschaft als „Welttendenz“ (GT III-1, 96) ‚endlich‘ ist, weil sie einen Anfang hat, der zum einen durch einen bestimmten geschichtlichen Ort und eine entsprechende Zeit charakterisiert ist – für ­Nietzsche also im Griechenland der Zeit von Sokrates (dem „Mystagogen der Wissenschaft“ (GT III-1, 95)) und von Platon. Zum anderen ist dieser Anfang aber auch ein sachlicher, d. h. die Begründungsverfahren der Wissenschaft sind nicht insofern ‚unendlich‘, als sie sich durch die und aus der Wirklichkeit an sich dem Menschen aufgedrängt haben, die sich nur auf diese Weise beim Menschen melden könnte (was sie aus irgendeinem Grunde möchte). Der gedankliche Ansatz beim ‚theoretischen‘, d. h. grundsätzlich logisch begründenden und argumentierenden Menschen ist nach dieser Auffassung alles andere als selbstverständlich. Nach ­Nietzsche handelt es sich vielmehr um eine ‚Erfindung‘, deren Anfang er bei Sokrates/Platon sieht. Und erst mit dieser Erfindung geschah es, dass

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„erst ein gemeinsames Netz des Gedankens über den gesamten Erdball, ja mit Ausblicken über die Gesetzlichkeit eines ganzen Sonnensystems, gespannt wurde; wer dies alles, samt der erstaunlich hohen Wissenspyramide der Gegenwart, sich vergegenwärtigt, der kann sich nicht entbrechen, in ­Sokrates den einen Wendepunkt und Wirbel der sogenannten Weltgeschichte zu sehen.“ (GT III-1, 96)

      Wir haben mittlerweile gesehen, dass ­Nietzsches Erörterungen über die Geburt der Tragödie es eigentlich nur am Rande mit einer speziellen literarischen Form zu tun haben. Es geht um den Ursprung der artikulierten Sprache, um die Möglichkeit, über die Welt in einer bestimmenden Sprache sprechen zu können, um das Individuieren im Sinne desjenigen Artikulierens, das unserem Weltzugang zugrunde liegt, und vor allem geht es um die Wissensform der Wissenschaft, deren Bedeutung heute in allen Lebensbereichen immer noch wächst, und damit geht es auch um die Technik, die auf der Grundlage dieser Wissensform entstanden ist. Wenn Thema von

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