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      angehört, die nicht den Regeln der logisch-sprachlichen Dimension entspricht, weshalb sie dann untergeht, wenn jemand sie in solche Regeln zu zwingen versucht.

      Dass man sich über Beethoven nicht unterhalten kann, dürfte für die meisten Menschen noch einleuchtend sein – obwohl man natürlich eine Beethoven-Aufführung als Anlass für eine Konversation nehmen kann, auch wenn man darin nichts über die Musik selbst sagen wird im Sinne eines Gegenstandes, der in der Sprache beschrieben wird. Weniger selbstverständlich ist aber, dass ­Nietzsche an dieser Stelle auch Shakespeare anführt als einen Autor, der einen ‚ästhetischen Zuhörer‘ mit einer ‚ästhetischen Tätigkeit‘ verlangt. Gerade Shakespeares Werk hat die psychologischen und quasi-philosophischen Interpreten angezogen, die seine Stücke als Ausdruck entsprechender Inhalte gedeutet haben – also solcher Inhalte, die eigentlich auch in einer nicht literarischen Form zum Ausdruck hätten kommen können. Dass damit etwas nicht stimmen kann, weiß jeder, der jemals ein Shakespeare-Werk gelesen hat, ohne sich den Verstand vorher mit psychologistischen Interpretamenten verdorben zu haben. Der Grund dafür ist nach ­Nietzsche, dass diese Werke zumindest in einem gewissen Ausmaß etwas von der musikalischen bzw. lyrischen Qualität der griechischen Tragödie enthalten und entsprechend nur von ihrer immanenten Musikalität her gelesen und angemessen aufgefasst werden können. Dass es von schlechtem Geschmack zeugt, sich über Shakespeare unterhalten zu wollen, soll also sagen, dass eine Reduzierung dieses Werkes auf psychologistische oder quasi-philosophische Themen und Aussagen nicht den innersten bzw. genuinen Gehalt erreicht, der nur für den ‚ästhetischen Zuhörer‘ zugänglich wird, genau so wie dies bei Beethovens Musik der Fall ist.

      Das Thema Richard Wagner nimmt in ­Nietzsches Werken einen relativ großen Raum ein. Dessen philosophische Bedeutung entspricht diesen Relationen jedoch nicht. Deshalb soll schon an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass ­Nietzsches Auffassung sich später fundamental gewandelt hat, bis Wagner ihm als ein Komponist unter anderen erschien, dem gegenüber Bizet und dessen ‚Carmen‘ stets vorzuziehen sei, von dem ­Nietzsche dann sagte: „Diese Musik scheint mir vollkommen. Sie kommt leicht, biegsam, mit Höflichkeit daher. Sie ist liebenswürdig, sie schwitzt nicht. ‚Das Gute ist leicht, alles Göttliche läuft auf zarten Füssen‘: erster Satz meiner Aesthetik. Diese Musik ist böse, raffiniert, fatalistisch: sie bleibt dabei populär – sie hat das Raffinement einer Rasse, nicht eines Einzelnen. Sie ist reich. Sie ist präzis.“ (FW VI-3, 7) Über Wagner hieß es dann in dem für ­Nietzsches spätere Werke typischen Tonfall: „Ist Wagner überhaupt ein Mensch? Ist er nicht eher eine Krankheit? Er macht Alles krank, woran er rührt, – er hat die Musik krank gemacht“ (FW VI-3, 15).

      Das Bemerkenswerte an dieser Veränderung des Urteils liegt vor allem darin, dass ­Nietzsche an Wagners Musik nun eben das kritisiert, dessen Abwesenheit zuvor gerade

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      der Grund für sein überschwängliches Lob war. Wagners Musikdrama sollte die Wieder­geburt der Tragödie einleiten und damit eine Art von kultureller Revolution mit Auswirkung auf unsere Auffassung von Wissen und Wissenschaft darstellen können, weil sie den ‚Geist der Musik‘ nicht für eine Illustrierung des logisch-sprachlich Ausdrückbaren aufzugeben bereit war. Der spätere Vorwurf lautete jedoch, gerade bei Wagner finde man dieses Aufgeben in einem extremen Ausmaß: „Wagner war nicht Musiker von Instinkt. Dies bewies er damit, dass er alle Gesetzlichkeit und, bestimmter geredet, allen Stil in der Musik preisgab, um aus ihr zu machen, was er nötig hatte, eine Theater-Rhetorik, ein Mittel des Ausdrucks, der Gebärden-Verstärkung, der Suggestion, des Psychologisch-Pittoresken … Immer vorausgesetzt, dass man zuerst gelten lässt, Musik dürfe unter Umständen nicht Musik, sondern Sprache, sondern Werkzeug, sondern ancilla dramaturgica sein.“ (FW VI-3, 24) Die Kritik lautete also, gerade Wagner habe die Musik verraten, indem er von ihr forderte, etwas zu bedeuten: „Tatsächlich hat er sein ganzes Leben Einen Satz wiederholt: dass seine Musik nicht nur Musik bedeute! Sondern mehr! Sondern unendlich viel mehr!… ‚Nicht nur Musik‘ – so redet kein Musiker.“ (FW VI-3, 29)

      Damit ist aber auch gesagt, dass ­Nietzsche an seinem ursprünglichen Anspruch festhielt, den er in der ‚Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik‘ aufgestellt hatte, auch wenn er ihn bei Wagner nicht mehr finden konnte. Er hat allerdings nicht behauptet, bei Bizet das gefunden zu haben, was die griechische Tragödie in seinem frühen Denken bedeutet hatte. Dennoch hat die Verwandlung seines Musikgeschmacks auch etwas mit seiner Philosophie zu tun. Das lässt sich schon aus dem Satz ersehen, mit dem er seine Neigung zu Bizets Musik begründete (s. o.): „Das Gute ist leicht, alles Göttliche läuft auf zarten Füßen: erster Satz meiner Ästhetik.“ (FW VI-3, 7) Wir werden gerade in ‚Also sprach Zarathustra‘ sehen, dass und wie dieser Satz im Mittelpunkt nicht nur von ­Nietzsches Ästhetik, sondern auch seines Denkens stehen wird.

      Es liegt nahe, dass eine solche Orientierung an dem, was ‚leicht‘ ist, nicht gerade Wagners Musik als ästhetischen Leuchtturm heranziehen wird. Aber der Grund dafür liegt nicht darin, dass man diese Musik gewöhnlich als ‚schwer‘ bezeichnet, sondern diese ‚Schwere‘ hat für ­Nietzsche einen besonderen Grund, der wiederum auf das Thema zurückführt, das er im Frühwerk unter dem Titel eines Zusammenhangs zwischen Apollo, Dionysos, Sokrates/Platon und der ‚Tragödie‘ behandelte. Wir können daraus einen ersten Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass sich jene ‚positive‘ Philosophie, zu der sich bei ­Nietzsche nur einige Ansätze finden lassen, auf jeden Fall von einer Kunst abgrenzen muss, die sich auf ‚Literatur‘ stützt in dem Sinn, dass sie eine Kommentierung in logisch-sprachlicher Form nötig hat. Gegen Wagner lautete der

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      späte Einwand grundsätzlich: „Wagner hatte Literatur nötig, um alle Welt zu überreden, seine Musik ernst zu nehmen, tief zu nehmen, ‚weil sie Unendliches bedeute‘; er war zeitlebens der Kommentator der ‚Idee‘.“ (FW VI-3, 30) Wenn wir dies einer Ästhetik gegenüberstellen, in der alles Gute ‚leicht‘ sein soll, so kann es darin offenbar nicht um etwas gehen, das in logisch-sprachlicher Form ausdrückbar wäre.

      Die Kritik an Wagner weist deshalb auch schon voraus auf ­Nietzsches Philosophie des ‚Leibes‘, die man nicht mit einer naturwissenschaftlichen Erklärung von Denken und Geist aus neuronalen Funktionen verwechseln sollte. ­Nietzsche wird hier von ‚Physiologie‘ sprechen und keineswegs die gleichnamige Naturwissenschaft meinen – was schon deshalb nicht möglich ist, weil er die Kritik am Wissen in der Form der Wissenschaft, die wir in der ‚Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik‘ finden, auch später nicht aufgegeben hat. Es ist in gewissem Sinne gerade der ‚Leib‘ bzw. dessen Physiologie, die sich gegen Wagners Musik wenden: „Meine Einwände gegen die Musik Wagner‘s sind physiologische Einwände: wozu dieselben erst noch unter ästhetische Formeln verkleiden? Ästhetik ist ja nichts als eine angewandte Physiologie.“ (­Nietzsche contra Wagner, VI-3, 416) Es sei nochmals betont, weil Missverständnisse hier sehr nahe liegen: ­Nietzsche behauptet an dieser Stelle keineswegs, Ästhetik sei ein Spezialfall einer angewandten speziellen Wissenschaft – in seiner Philosophie geht es an zentraler Stelle vielmehr gerade um eine Reflexion auf das Wissen, das wir alle als Wissenschaft kennen und in der Regel schätzen gelernt haben, was nicht ausschließt, dass man nach dessen Herkunft, Geltungsstatus und Reichweite fragen sollte.

      Man könnte nun darauf verweisen wollen, dass ­Nietzsche damit nur (a) eine Theo­rie über die griechische Tragödie und (b) eine Theorie über die Bedeutung des Apollinischen und Dionysischen in der Kunst vorgelegt bzw. beabsichtigt habe. Wir hatten jedoch schon am Anfang betont, dass es hier letztlich um die Form des Wissens geht, die wir heute noch in der Wissenschaft vorfinden. Darüber hinaus entwickelt ­Nietzsche jedoch auch eine bestimmte und nicht-triviale Auffassung vom Entstehen und der Bedeutung dessen, was wir heute noch als Philosophieren bezeichnen, und er behauptet, dass die Entstehung dieses Philosophierens im Wesentlichen auch schon die Entstehung der Wissensform der Wissenschaft war. Dieser Prozess ist nach ­Nietzsche gleichzeitig das Vergehen der Tragödie in der Form, die ihr Äschylos und Sophokles gegeben hatten, und darin entsteht ein neuer Gegensatz, der nicht mehr als das Dionysische vs. das

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