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die demgegenüber ‚bessere‘ Schau der Ideen zumindest auf Erden nur in der nicht artikulierbaren Form der Liebe oder der Erfahrung des Schönen erreicht werden kann. Der dialektische Philosoph sucht im Dialog nach einer begrifflichen Einteilung des Seienden, d. h. er artikuliert es – und ‚articulus‘ hieß ‚Gelenk‘ und davon abgeleitet in der Rede ein ‚Glied‘ als Teil, Abschnitt, und davon stammt ‚articulatim‘ als ‚gliederweise‘ und deshalb ‚deutlich verständlich‘. Darin bewahrt er aber ein Moment von ‚Poesie‘ auf, weil er diese Einteilung in einem Prozess gewinnt, der zwischen Menschen und ihren nicht von vornherein rein rationalen Vorstellungen über die richtige Begrifflichkeit für die Dinge der Welt geschieht.

      Die logische Natur der sokratisch-platonischen Philosophie nimmt sich durch die Dialogform demnach zumindest in einem gewissen Ausmaß zurück. Nach ­Nietzsche erscheint in diesem Sichzurücknehmen wiederum das ‚Poetische‘, das selbst auf das Dionysische zurückverweist, d. h. auf den Prozess des individuierenden Gestaltens statt auf das Ergebnis der festgewordenen Gestalten und Begriffe. Vom platonischen Dialog gilt nach ­Nietzsche also, dass er „durch Mischung aller vorhandenen Stile und Formen erzeugt, zwischen Erzählung, Lyrik, Drama, zwischen Prosa und Poesie in der Mitte schwebt und damit auch das strenge ältere Gesetz der einheitlichen sprachlichen Form durchbrochen hat.“ (GT III-1, (GT III-1, 89)

      Damit wird ­Nietzsches Einschätzung der Veränderung des Denkens durch die sokra­tisch-platonische Philosophie aber nicht grundsätzlich beeinflusst. Sokrates bleibt doch auch in der Dialogform der „dämonische Sokrates“ (GT III-1, 90), mit dessen logisch-begrifflichem Denken der philosophische Gedanke die Kunst überwächst. In der Tragödie zeigt sich dies etwa darin, dass der Held nun seine Handlungen „durch Grund und Gegengrund“ – also mithilfe der Logik und des auf ihr beruhenden Argumentierens – zu verteidigen beginnt, wodurch ein „optimistisches“ Element in diese Kunstform eindringt, von welcher sie schließlich zerstört werden musste (GT III-1, 90). ­Nietzsche unterscheidet in diesem Zusammenhang eine ‚pessimistische‘ von einer ‚optimistischen‘ Weltbetrachtung, deren erstere der klassischen Tragödie und ihrer Darstellung des Dionysischen zugehört, während die letztere einen wesentlichen Zug der mit Sokrates/Platon beginnenden Philosophie und Wissensform darstellt. Wir sollten diese Begriffe jedoch nicht mit der heute üblichen psychologischen Bedeutung aufladen,

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      sondern diese Unterscheidung und ihre Bedeutung auf den Grund im Verhältnis von Dionysischem und Apollinischem bzw. dann Sokratisch-Platonischem zurückführen.

      Zur pessimistischen Weltbetrachtung gehört nach ­Nietzsche (a) „die Grunderkenntnis von der Einheit alles Vorhandenen“, (b) „die Betrachtung der Individuation als des Urgrundes des Uebels“, (c) „die Kunst als die freudige Hoffnung, dass der Bann der Individuation zu zerbrechen sei, als die Ahnung einer wiederhergestellten Einheit.“ (GT III-1, 69) Man könnte ohne allzu große Vereinfachung sagen, dass ­Nietzsche als ‚pessimistisch‘ die in der Tragödie dargestellte Erkenntnis von der individuierenden Gestaltung als Prozess und Geschehen und nicht von einer in der Welt und an sich vorhandenen Wirklichkeit versteht. Als im moderneren Sinne ‚pessimistisch‘ könnte man darin wohl vor allem die Auffassung von der individuierten Gestalt (auch des Menschen) als Gestaltung in der apollinischen Artikulation erkennen, also nicht als eine Wirklichkeit, die der Welt an sich zugehört. Das ‚Pessimistische‘ ist also nicht das ‚Dionysische‘, sondern die in der Tragödie geschehende apollinische Darstellung des Dionysischen, die in sich die Begrenztheit kennt, weil sie ihren Ursprung als ein Gestalten und Bilden zeigt, so dass das Gestaltete und Gebildete nicht als etwas von Natur aus und notwendig Vorhandenes zur Geltung kommt.

      Als eine ‚optimistische‘ Weltbetrachtung bezeichnet ­Nietzsche nun entsprechend die mit der platonischen Philosophie beginnende Ersetzung der apollinischen durch eine sokratisch-platonische Darstellung des Dionysischen. Wir hatten schon darauf hingewiesen, dass diese sich vor allem dadurch auszeichnet, dass das individuierende Gestalten selbst nicht mehr zur Erscheinung kommt, die sich vielmehr auf die individuierten Gestalten beschränkt. Das ‚Optimistische‘ darin ist vor allem der damit verbundene Glaube, diese Gestalten seien als solche – und ohne ihre Herkunft aus der individuierenden Gestaltung als einer Leistung – der Garant für die universale Verständlichkeit und Beherrschbarkeit der Welt. Das Bilden verblasst hinter dem Gebildeten und das Gestalten hinter dem Gestalteten, so dass nur noch die isolierten Bilder und Gestalten ohne ihre Herkunft übrig bleiben. Sokrates/Platon ist deshalb das

      

„Urbild des theoretischen Optimisten, der in dem bezeichneten Glauben an die Ergründlichkeit der Natur der Dinge dem Wissen und der Erkenntnis die Kraft einer Universalmedizin beilegt und im Irrtum das Uebel an sich begreift. In jene Gründe einzudringen und die wahre Erkenntnis vom Schein und vom Irrtum zu sondern, dünkte dem sokratischen Menschen der edelste, selbst der einzige wahrhaft menschliche Beruf zu sein: so wie jener Mechanismus der Begriffe, Urteile und Schlüsse von Sokrates ab als höchste Betätigung und bewunderungswürdigste Gabe der Natur über alle anderen Fähigkeiten geschätzt wurde.“ (GT III-1, 96 –97)

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      An anderer Stelle ist von dem „ans Licht gekommenen Glauben an die Ergründlichkeit der Natur und an die Universalheilkraft des Wissens“ die Rede (GT III-1, 107). Allerdings wird darin die Herkunft des ganzen Mechanismus selbst nicht beachtet, d. h. das Logische ist nach ­Nietzsche zu einer solchen Reflexion auf sich und seinen Status nicht fähig.

      Der Begriff von einer ‚Universalmedizin‘ weist darüber hinaus noch auf einen Aspekt im ‚Optimismus‘ der mit Sokrates/Platon in die Welt gekommenen Wissensform, den wir konkret in der Verwendung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Technik antreffen können. Die undionysische ‚Heiterkeit‘ des theoretischen Menschen zeigt sich auch darin,

      

„dass sie an Stelle eines metaphysischen Trostes eine irdische Konsonanz, ja einen eigenen deus ex machina setzt, nämlich den Gott der Maschinen und Schmelztiegel, d. h. die im Dienste des höheren Egoismus erkannten und verwendeten Kräfte der Naturgeister, dass sie an eine Korrektur der Welt durch das Wissen, an ein durch die Wissenschaft geleitetes Leben glaubt und auch wirklich im Stande ist, den einzelnen Menschen in einen allerengsten Kreis von lösbaren Aufgaben zu bannen, innerhalb dessen er heiter zum Leben sagt: ‚Ich will dich: du bist wert erkannt zu werden.‘“ (GT III-1, 111)

      ­Nietzsches Philosophie ist deshalb ebenso eine Philosophie der Technik wie sie eine Philosophie der theoretischen Wissensform ist. Eine solche Technikphilosophie ist aber ebenso wie die des Wissens letztlich eine Philosophie der Kunst – also eine ästhetische Philosophie, weil sie auf den ‚künstlerischen‘ Ursprung des Individuierens von Begriffen, Erkenntnissen und Wissensformen reflektiert.

      Nichtsdestoweniger ist dieser Optimismus doch auch nach ­Nietzsche nicht unendlich, und seine Grenzen sind gleichbedeutend mit denen der Wissenschaft bzw. denen des Glaubens an die Wissensform, die wir auch heute noch als Wissenschaft bezeichnen. Gerade an diesen Grenzen sieht ­Nietzsche die Wiedergeburt des Tragischen und der tragischen Kunst – d. h. der Kunst, in deren Gestalten sich das Gestaltetsein selbst noch zur Erscheinung bringen kann, weshalb sie dionysisch und apollinisch zugleich sein muss. ­Nietzsche beschreibt diese Grenzen des platonisch-wissenschaftlichen Optimismus so:

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„Nun aber eilt die Wissenschaft, von ihrem kräftigen Wahne angespornt, unaufhaltsam bis zu ihren Grenzen, an denen ihr im Wesen der Logik verborgener Optimismus scheitert. Denn die Peripherie des Kreises der Wissenschaft hat unendlich viele Punkte, und während noch gar nicht abzusehen ist, wie jemals der Kreis völlig ausgemessen werden könnte, so trifft doch der edle und begabte Mensch, noch vor der Mitte seines Daseins und unvermeidlich, auf solche Grenzpunkte der Peripherie, wo er in das Unaufhellbare starrt. Wenn er hier zu seinem Schrecken

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