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Stelle46 in der letzten Ausgabe des Commentars von Clavius zur »Sphaera« des Sacrobosco. Dort spricht am Schlusse eines 75-jährigen Lebens derselbe Mann seine Zweifel an der Wahrheit des ptolemäischen Systems aus, der während dieses ganzen Lebens jenen Standpunkt vertreten und ihn nachdrücklich verteidigt hatte. Galilei stand damals mit den römischen Jesuiten auf bestem Fuße; das gute Verhältnis mag wohl eben in Clavius, einem hochverdienten und für seine Wissenschaft wahrhaft begeisterten Manne, eine wesentliche Stütze gefunden haben. Unglücklicherweise starb Clavius schon im folgenden Jahre (am 6. Februar 1612), er hätte viel dazu beitragen können, um in der Folge auf die Entschließungen der Kirche mäßigend einzuwirken.

      Ob Galilei rückhaltslos seine innersten Überzeugungen in Rom offenbarte oder nicht: Bei seinen Freunden und Feinden stand es fest, dass er vollüberzeugter Kopernikaner sei. Da die Zahl sowohl seiner prinzipiellen Gegner als der persönlichen, deren Neid durch die ihm widerfahrenen Ehren wachgerufen war, sich stetig mehrte, so begann nun bald ein Intrigenspiel, das den fürchterlichen Mann verderben sollte, der die versteinerte Wissenschaft zu neuem Leben zu erwärmen, der tote und lebende Autoritäten von ihrem Piedestal zu stürzen drohte. Wissenschaftlich ihm beizukommen war schwer, man musste also den Kampf auf ein anderes Terrain hinüberspielen, auf das Gebiet des Glaubens. Nicht als ob die kopernikanische Lehre jetzt zum ersten Male an dem Maßstabe der Heiligen Schrift gemessen worden wäre. So sehr auch Kopernikus von vornherein in der Widmung seines Werks sich gegen das Hereinziehen der Bibel verwahrt, so hatte doch schon Luther den Narren Kopernikus verspottet, der die Welt auf den Kopf stellen wollte und im Widerspruch zu der bekannten biblischen Erzählung im Buche Josua, die Sonne ruhen, die Erde sich bewegen ließ. Einer der ersten Anhänger des Kopernikus,J o a c h i mR h ä t i c u s(eigentlich Georg Joachim) hatte in einer eigenen Schrift Kopernikus und Bibel in Einklang zu bringen versucht, Tycho de Brahe hatte in seinem Briefwechsel mitC h r i s t o p hR o t h m a n n ,dem Hofastronomen des Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen-Kassel, auf den Widerspruch mit der Heiligen Schrift hingewiesen, Kepler bemühte sich des Öfteren die Bibel im kopernikanischen Sinne zu interpretieren: Kurzum die üble Gewohnheit, die Bibel in den Streit auch über andere Materien als über Glaubenswahrheiten hineinzuziehen, war zu jener Zeit allenthalben im Schwange. Dabei war zweifelsohne die herrschende Anschauung, dass es wissenschaftlich nicht fair sei so zu verfahren: etwa wie man heutzutage es missbilligt, in politischen Kämpfen die Ansicht und Person des regierenden Fürsten als Kampfesmittel zu verwenden. Die Verehrung und Rücksicht der Wissenschaft für die Bibel sollte darin ihren Ausdruck finden, dass man unabhängig von ihr die Wahrheit erforschte und nachträglich die Heilige Schrift so auslegte – und das war die Aufgabe der Theologen –, dass sie mit dem anderweitig für wahr Erkannten übereinstimmte. So schwer das oft auch möglich war, ein ultimum refugium blieb stets, von dem man allerdings nicht gerne Gebrauch machte; man sagte, die Bibel bequeme sich in ihrer Ausdrucksweise dem Verständnis der großen Menge an. Niemals hat Galilei, und schwerlich je ein anderer Kopernikaner, die Bibel als Beweismittel für die Lehre der Erdbewegung anführen wollen. Es ist darum einer der sinnlosesten, nichtsdestoweniger häufig gegen Galilei ausgesprochenen Vorwürfe, dass er nachmals nicht als schlechter Astronom, sondern als schlechter Theologe verurteilt worden sei. Anzunehmen, dass ihn gar Feindseligkeit gegen die Kirche beeinflusst hätte, wie es etwa bei Giordano Bruno der Fall war, ist völlig ausgeschlossen. Er war ihr gegenüber voll kindlicher, echt katholischer Fügsamkeit, die festhält an einer von frühester Jugend unauslöschlich eingeprägten Ehrfurcht vor allem, was mit der Kirche zusammenhängt, einer Ehrfurcht, die vielleicht etwas Äußerliches, Gewohnheitsmäßiges hatte, die aber ganz und gar mit ihm verwachsen, nicht künstlich gemacht war. Bis zur genannten Zeit hatte er sich über das Verhältnis der kopernikanischen Lehre zur Heiligen Schrift überhaupt nicht geäußert. Umso auffallender, dass während seines römischen Aufenthaltes seine Name zum ersten Male in den Akten der Inquisition erscheint. Es ist unbekannt, ob eine Denunziation eines seiner persönlichen Feinde vorlag, oder ob die Inquisition aus eigener Initiative dem gefährlichen Neuerer ihre Aufmerksamkeit schenkte. Denn gefährlich waren in gewissem Sinne die Lehren Galileis doch, seine Bekämpfung der Autorität des Aristoteles machte jede andere Autorität erzittern; der Heide Aristoteles und die katholische Kirche hatten insofern solidarische Interessen. Man forschte damals, ob Galilei in den InquisitionsprozessC e s a r eC r e m o n i n i s ,eines seiner ehemaligen paduanischen Kollegen, verwickelt gewesen sei. Cremonini galt damals als eine Leuchte der Peripatetiker, äußerte aber bedenkliche Ansichten bei seiner Interpretation der aristotelischen Schriften über die Seele, und stand im Geruche, atheistische Anschauungen zu verbreiten. Das persönliche Verhältnis zwischen ihm und Galilei war nicht unfreundlich gewesen, wissenschaftlich aber waren sie Antipoden. Gehörte doch Cremonini zu denen, die sich zeitlebens weigerten einen Blick durch das Fernrohr zu werfen. Gegen ihn polemisiert Galilei mehrmals im Dialog, teils mit, teils ohne Nennung seines Namens.

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