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      Oh, wenn es ein Mann ge­we­sen wäre, der an­de­re da! Aber so! so! Er war wie ge­bannt von die­ser Schänd­lich­keit. Un­be­weg­lich, be­sin­nungs­los stand er da, als wenn er plötz­lich einen teu­ren Leich­nam ge­schän­det vor sich ge­se­hen hät­te, als wenn er ein un­na­tür­li­ches Ver­bre­chen, eine ent­setz­li­che him­mel­schrei­en­de Ent­wei­chung ent­deck­te.

      Da fiel ihm ganz un­will­kür­lich der klei­ne Fisch ein, des­sen Ein­ge­wei­de er hat­te her­aus­reis­sen se­hen … Aber Ma­de­lei­ne mur­mel­te ge­ra­de »Pau­li­ne!« mit dem­sel­ben lei­den­schaft­li­chen Tone wie sie sonst »Paul« zu ihm sag­te, und er wur­de von so tie­fem Schmerz er­grif­fen, dass er aus Lei­bes­kräf­ten da­von­lief.

      Er rann­te an ver­schie­de­ne Bäu­me, stürz­te über eine Wur­zel, raff­te sich wie­der auf und stand plötz­lich am Flus­se, vor dem le­ben­den Arm. Der brau­sen­de Strom bil­de­te hier große Wir­bel, in de­nen sich das tan­zen­de Licht des Mon­des spie­gel­te. Das hohe Ufer über­rag­te an die­ser Stel­le das Was­ser wie eine Mau­er; ein dunk­ler Strei­fen un­ter­halb des­sel­ben be­zeich­ne­te die Stel­le, wo sich im tie­fen Schat­ten das Stau­was­ser des Flus­ses bil­de­te.

      Am and­ren Ufer er­ho­ben sich in vol­ler Klar­heit die Land­häu­ser von Crois­sy.

      Paul sah dies al­les wie im Trau­me, wie eine Erin­ne­rung die hin­ter ihm lag. Er dach­te an nichts, hat­te für nichts mehr Ver­ständ­nis, und alle Din­ge, so­gar sein ei­ge­nes Da­sein wa­ren für ihn wie im Ne­bel gehüllt; fern­lie­gend, ver­ges­sen, ver­nich­tet.

      Da lag der Fluss! Be­griff er, was er tat? Woll­te er ster­ben? Er war när­risch ge­wor­den. Noch ein­mal in­des­sen wand­te er sich nach dem In­nern der In­sel zu­rück, und in die ru­hi­ge Nacht­luft hin­ein, in der nur hin und wie­der die Töne der ent­fern­ten Mu­sik er­klan­gen, ließ er mit ver­zweif­lungs­vol­ler, gel­len­der, über­mensch­li­cher Stim­me einen furcht­ba­ren Schrei er­schal­len: »Ma­de­lei­ne!«

      Sein herz­zer­reis­sen­der Ruf drang durch die schwei­gen­de Nacht weit hin­aus.

      Dann sprang er mit ei­nem mäch­ti­gen Satz, wie sinn­los, in den Fluss. Das Was­ser sprüh­te hoch auf, dann schloss es sich wie­der und an der Stel­le, wo er ver­schwun­den war, bil­de­te sich eine An­zahl klei­ner Krei­se, die ihre schim­mern­den Um­ris­se all­mäh­lich bis zum an­de­ren Ufer aus­dehn­ten.

      Die bei­den Mäd­chen hat­ten den Schrei ver­nom­men. »Das ist Paul«, sag­te Ma­de­lei­ne auf­sprin­gend, Ein Ver­dacht stieg in ihr auf. »Er hat sich er­tränkt«, fuhr sie fort. Sie sprang nach dem Flus­se, wo­hin ihr die di­cke Pau­li­ne folg­te.

      Ein großer von zwei Män­nern be­setz­ter Kahn fuhr auf dem Was­ser hin und her. Der eine von ih­nen führ­te die Ru­der, wäh­rend der an­de­re eine lan­ge Stan­ge ins Was­ser senk­te, als su­che er dort et­was.

      »Was ma­chen Sie da?« schrie Pau­li­ne. »Was gib­t’s?«

      »Ein Mann ist ins Was­ser ge­sprun­gen«, rief eine frem­de Stim­me zu­rück.

      Ängst­lich folg­ten die bei­den Mäd­chen dicht an­ein­an­der ge­drückt, den Be­we­gun­gen des Kah­nes. Von wei­tem hör­te man im­mer noch die Mu­sik aus dem »Frosch­teich« die im Tak­te die Be­we­gun­gen der düstren Fi­scher zu be­glei­ten schi­en; lau­ter mur­mel­te der Fluss, als wol­le er die Freu­de ver­kün­den, ein neu­es Op­fer zu ber­gen.

      Das Su­chen dau­er­te eine Ewig­keit; Ma­de­lei­ne zit­ter­te in ban­ger Er­war­tung. End­lich nach Ver­lauf von min­des­tens ei­ner hal­b­en Stun­de rief ei­ner der Män­ner: »Ich hab’ ihn.« Und lang­sam, ganz lang­sam zog er sei­ne lan­ge Ha­ken­stan­ge in die Höhe. Eine dunkle schwe­re Mas­se er­schi­en an der Ober­flä­che; der zwei­te Schif­fer ließ die Ru­der sin­ken und alle bei­de zo­gen keu­chend un­ter dem leb­lo­sen Ge­wicht, die­sel­be mit ver­ein­ten Kräf­ten in ihr Boot.

      Dann fuh­ren sie an Land und such­ten einen hel­len tiefer lie­gen­den Lan­dungs­platz. In dem Au­gen­blick als sie aus­stie­gen, ka­men auch die bei­den Mäd­chen her­bei.

      Als Ma­de­lei­ne ihn er­blick­te, wich sie schau­dernd zu­rück. In dem fah­len Mond­licht schi­en er be­reits grün, denn sei­ne Au­gen, Nase, Mund und Klei­der trief­ten schon von Schlamm. Sei­ne krampf­haft ver­krall­ten Hän­de wa­ren schreck­lich an­zu­se­hen. Al­les an ihm war mit ei­ner Art grün­lich­schwar­zer Feuch­tig­keit ge­tränkt. Das Ge­sicht war auf­ge­quol­len und von sei­nen straff her­ab­hän­gen­den Haa­ren lief un­auf­hör­lich ein Rinn­sal schmut­zi­gen Was­sers her­un­ter.

      Die bei­den Män­ner be­schau­ten ihn auf­merk­sam. »Kennst Du ihn?« frag­te der eine.

      »Ja, ich däch­te, dass ich die­ses Ge­sicht schon ge­se­hen hät­te«; sag­te be­däch­tig der an­de­re, der Fähr­mann von Crois­sy. »Aber Du weißt schon, wie das ist; man er­kennt sie so schwer.«

      »Aber es ist ja Herr Paul!« rief er dann plötz­lich.

      »Wer ist das, Herr Paul?« frag­te sein Ge­fähr­te.

      »Aber Herr Paul Baron, der Sohn des Se­na­tors, der Klei­ne, der im­mer so ver­liebt war.«

      »Na, der hat nun auf­ge­hört, zu gir­ren«, äus­ser­te der an­de­re phi­lo­so­phisch. »Scha­de trotz­dem, zu­mal wenn man reich ist.«

      Ma­de­lei­ne war nie­der­ge­sun­ken und schluchz­te laut. Pau­li­ne nä­her­te sich dem leb­lo­sen Kör­per und frag­te:

      »Ist er si­cher tot? Ganz si­cher?«

      »Oh, ganz ge­wiss, nach so lan­ger Zeit,« sag­ten bei­de Män­ner ach­sel­zu­ckend.

      »Er wohn­te bei Gril­lons, nicht wahr?« frag­te der eine von ih­nen.

      »Ja,« ant­wor­te­te der an­de­re, »dort müs­sen wir ihn hin­schaf­fen, das wird eine schö­ne Über­ra­schung ge­ben!«

      Sie be­stie­gen ihr Schiff und fuh­ren in­fol­ge der hef­ti­gen Strö­mung nur lang­sam vor­wärts; lan­ge Zeit, als man von dem Plat­ze, wo die bei­den Mäd­chen ste­hen ge­blie­ben wa­ren, sie schon nicht mehr se­hen konn­te, hör­te man im­mer noch ihre takt­mäs­si­gen Ru­der­schlä­ge im Was­ser.

      Dann nahm Pau­li­ne die arme Ma­de­lei­ne, die ganz auf­ge­löst war, in ihre Arme, strei­chel­te ihre Wan­gen und küss­te sie in­nig.

      »Was willst Du noch wei­ter?« trös­te­te sie die­sel­be. »Es war doch nicht Dei­ne Schuld, nicht wahr? Man kann doch die Men­schen nicht mit Ge­walt an ih­ren Tor­hei­ten hin­dern. Er hat es nicht an­ders ge­wollt; umso schlim­mer also für ihn!«

      Dann hob sie die Wei­nen­de auf und re­de­te ihr zu: »Komm mit nach Hau­se, Schatz, und schlaf bei uns; Du kannst zu Gril­lons heu­te Abend un­mög­lich zu­rück­keh­ren.«

      »Wir wer­den Dich schon zu trös­ten wis­sen,« schloss Pau­li­ne mit ei­nem lan­gen zärt­li­chen Kus­se.

      Ma­de­lei­ne er­hob sich, und ihr lau­tes Schluch­zen erstarb all­mäh­lich in stil­len sanf­ten Trä­nen. Sie leg­te den Kopf auf Pau­li­nens Schul­ter, als habe sie hier eine viel in­ni­ge­re, si­che­re, ver­trau­te­re und ver­trau­en­de­re Lie­be ge­fun­den und ent­fern­te sich lang­sam mit

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