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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн.Название Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962817695
Автор произведения Guy de Maupassant
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Paul atmete erleichtert auf, als er die dicke Pauline und ihre Gefährtin nicht hier fand.
Der Tanz bestand darin, dass sich die Paare gegenüber bewegten, die tollsten Sprünge machten und mit ihren Fussspitzen womöglich unter der Nase ihres Gegenübers herumfuhren. Die »Damen,« deren Glieder aus den Gelenken gelöst zu sein schienen, hatten ihre Kleider hochgehoben und zeigten ihre Unterröcke. Ihre Beine wirbelten sie mit überraschender Leichtigkeit um den Kopf; sie wiegten ihren Leib, wackelten mit den Hüften, und schüttelten die Brust, wobei sie sich so lebhaft um sich selbst drehten, dass sie schliesslich in Schweiß gebadet waren.
Die »Herren« hockten sich wie die Kröten mit zweifelhaften Gebärden nieder, verdrehten unter scheusslichen Grimassen ihren Körper, schlugen ein Rad über der Hand oder suchten die Komik in übertrieben steifer Haltung und einer lächerlichen Grandezza.
Eine dicke Kellnerin und zwei Kellner sorgten für die Wünsche der Gäste.
Merkwürdig in der Tat hob sich von der friedlichen Stille der Nacht unter dem ruhigen Sternenhimmel dieses Schiffskaffee ab, das, nur mit einem Dache versehen, durch keine Schranke von der Aussenwelt getrennt, diesem zügellosen Tanze als Stätte diente.
Plötzlich schien sich der alte Mont-Valerien da unten zu erhellen, als ob in seinem Rücken eine Feuersbrunst entstanden wäre. Diese Helligkeit wurde immer grösser und schärfer, drang höher zum Himmel hinauf und beschrieb mit ihrem fahlen weißlichen Schimmer einen großen Lichtkreis. Dann zeigte sich etwas Rotes, wurde grösser und brennend wie geschmolzenes Metall, bis es die Gestalt einer Kugel annahm, die von der Erde emporstieg. Es war der Mond, der sich alsbald vom Horizont ablöste, um langsam seine Himmelsbahn zu wandeln. Je weiter er aufstieg, umso mehr schwand sein purpurner Schimmer, und sein Licht wurde gelber; es war ein lichtes auffallendes Gelb. Auf der zurückgelegten Bahn waren die Sterne verloschen.
Paul sah ihm lange zu und hatte, in seiner Betrachtung verloren, seine Gefährtin ganz vergessen. Als er sich umsah, war sie verschwunden.
Vergeblich suchte er nach ihr, indem er sein unstätes Auge ängstlich über alle Tische schweifen ließ, und auch wohl diesen oder jenen nach ihr fragte. Niemand hatte sie indessen gesehen.
So irrte er voll quälender Unruhe umher, als ihm einer der Kellner sagte:
»Sie suchen Madame Madeleine, nicht wahr? Soeben ist sie mit Madame Pauline fortgegangen.« Und in demselben Augenblick sah er auch am anderen Ende des Café den Matrosen und die beiden hübschen Mädchen, welche sich alle drei umfasst hielten und ihn flüsternd betrachteten.
Er verstand und stürzte wie ein Rasender auf die Insel hinaus.
Zuerst lief er auf Chatou zu; aber vor der Wiese mässigte er seine Schritte. Dann begann er wie traumverloren durch das dichte Gebüsch zu streifen, indem er hin und wieder stehen blieb, um zu horchen.
Überall liessen ringsum die Unken ihren kurzen klagenden Ruf erschallen.
Von Bougival her ertönte der einförmige Gesang irgend eines fremden Vogels nur schwach bei der Entfernung vernehmbar. Auf dem weiten Rasen verbreitete der Mond sein mildes Licht, sodass er wie mit Watte bedeckt schien. Dieses Licht drang durch das Blätterwerk, versilberte das Laub der Pappeln, und vergoldete die flüsternden Wipfel der großen Bäume. Die berauschende Poesie dieses Sommerabends packte Paul trotz seines Sträubens, sie milderte seine törichte Furcht und trieb ihr Spiel mit seinem Herzen, indem sie in seinem sanften und sinnenden Gemüte das ideale Verlangen nach Liebe und leidenschaftlicher Erwiderung im Busen einer angebeteten und treuen Geliebten bis zur Raserei steigerte.
Seine wild und stürmisch hervorbrechenden Tränen zwangen ihn, stehen zu bleiben.
Als der Anfall vorüber war, ging er weiter. Plötzlich durchdrang es ihn wie ein Messerstich: Man küsste sich da hinten im Gebüsch. Er lief hin, und sah ein Liebespärchen, welches durch seine Annäherung aus einer langen innigen Umarmung aufgescheucht, sich schleunigst entfernte.
Er wagte nicht, nach Madeleine zu rufen, denn er wusste nur zu gut, dass sie ihm nicht antworten würde; und zugleich hatte er eine schreckliche Angst davor, sie plötzlich zu entdecken.
Die Töne der Quadrille mit den schrillen Piston-Solos, das falsche Gequieke der Klarinette, die kreischende Stimme der Violine zerrissen sein Herz und steigerten sein Elend. Die wilde lärmende Musik klang bald stärker bald schwächer durch die Räume, je nachdem ein Windstoss sie herübertrug oder nicht.
Plötzlich fragte er sich, ob »sie« vielleicht zurückgekehrt wäre? Ja, sie war jedenfalls zurückgekommen! Warum sollte sie auch nicht? Er hatte ohne Grund den Kopf verloren, hatte sich ganz sinnlos von seinem Schrecken fortreissen lassen, und ohne Überlegung einem haltlosen Verdachte Raum gegeben.
Und von jener seltsamen Ruhe ergriffen, die zuweilen der grössten Verzweiflung folgt, kehrte er zum Balle zurück.
Mit einem Blick durchflog er den Saal; sie war nicht dort. Er machte einen Gang um die Tische und sah sich plötzlich aufs Neue den drei Weibern gegenüber. Er mochte jedenfalls eine sehr verzweifelte komische Miene haben, denn alle drei brachen gleichzeitig in lautes Lachen aus.
Er stürzte davon und begann wiederum atemlos die Gebüsche der Insel zu durchforschen. Dann horchte er aufs Neue – er lauschte lange, denn seine Ohren sausten; und schliesslich glaubte er etwas weiter ein leichtes durchdringendes Lachen zu hören, welches er nur zu gut kannte. Ganz leise schob er sich vorwärts, vorsichtig die Zweige auseinanderbiegend; sein Herz schlug so heftig, dass er kaum noch atmen konnte.
Zwei Stimmen murmelten Worte, die er noch nicht verstehen konnte. Dann schwiegen sie.
Da ergriff ihn ein mächtiger Drang zu fliehen, nichts zu sehen und nichts zu erfahren, sich für immer von dieser törichten verzehrenden Leidenschaft loszureissen. Er wollte nach Chatou gehen, den Zug nach Paris besteigen und niemals zu ihr zurückkehren, sie niemals wiedersehen. Aber nun ergriff ihn wieder die Einbildungskraft und er stellte sich im Geiste vor, wie sie am Morgen in ihrem weichen warmen Bette erwachend sich zärtlich an ihn schmiegen und ihn umarmen