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wie­der an sich zu zie­hen such­te, dach­te sie nicht dar­an, ihn ab­zu­weh­ren.

      Plötz­lich schwieg die Nach­ti­gall. Von fern rief eine Stim­me »Hen­ri­et­te.«

      »Ant­wor­ten Sie nicht,« flüs­ter­te er »sonst ver­scheu­chen Sie den Vo­gel.«

      Es fiel ihr nicht ein, dem Rufe zu ant­wor­ten. So blie­ben sie eine Wei­le ganz still. Ma­da­me Du­four muss­te sich ir­gend­wo hin­ge­setzt ha­ben; von Zeit zu Zeit hör­te man dun­kel einen lei­sen Schrei, den die di­cke Frau ohne Zwei­fel in­fol­ge zu großer Zu­dring­lich­keit ih­res Beglei­ters aus­stiess.

      Das jun­ge Mäd­chen wein­te im­mer noch in dem un­kla­ren Dran­ge ih­rer Ge­füh­le und von der na­tür­li­chen Sinn­lich­keit ge­kit­zelt, die die­ser Ort und ihre Lage er­we­cken muss­te. Hen­ri’s Haupt ruh­te auf ih­rer Schul­ter und plötz­lich küss­te er stür­misch ihre Lip­pen. Ei­nen Au­gen­blick fühl­te sie in­stinkt­mäs­sig den Drang der Ab­wehr und beug­te sich hin­ten­über; aber ihre Lage war nun noch un­güns­ti­ger. Hen­ri wuss­te sei­nen Vor­teil dar­aus zu zie­hen und press­te sei­ne Lip­pen, so sehr sie sich auch sträub­te, mit sanf­ter Ge­walt auf die ih­ri­gen. Eine wahn­sin­ni­ge Lie­bes­glut durch­drang ih­ren gan­zen Kör­per, sie zog Hen­ri stür­misch an sich, gab ihm sei­ne Küs­se dop­pelt zu­rück und ihr letz­ter Wi­der­stand ent­floh in ei­nem tie­fen lang­at­mi­gen Seuf­zer.

      Rings­um war al­les still; der Vo­gel hob wie­der an zu sin­gen. Erst schmet­ter­te er drei Töne in die Luft, die wie ein Ju­bel­ton der Lie­be klan­gen, dann be­gann er nach ei­ner kur­z­en Pau­se mit schmel­zen­der Stim­me sei­ne zar­ten Me­lo­di­en.

      Durch die Blät­ter ging das lei­se Flüs­tern ei­nes Wind­hau­ches und aus dem Ge­büsch dran­gen zwei tie­fe Seuf­zer, die sich mit dem Ge­sang der Nach­ti­gall und dem sanf­ten Rau­schen des Lau­bes ver­schmol­zen.

      Der Vo­gel schi­en jetzt lie­bes­trun­ken zu wer­den; sein Ge­sang wur­de im­mer schwel­len­der wie eine zu­neh­men­de Feu­ers­brunst, und die Lei­den­schaft, die aus ihm her­aus­klang, fand ihr Echo in den stür­mi­schen Küs­sen, die im Ge­bü­sche un­ter ihm aus­ge­tauscht wur­den. Sch­liess­lich tob­te er or­dent­lich in den schmel­zends­ten Tö­nen sei­ner Keh­le; er schi­en von Lie­bes­ohn­macht, von me­lo­di­schen Krämp­fen be­fal­len.

      Hin und wie­der ruh­te er et­was aus, in­dem er nur zwei oder drei lei­se Töne von sich gab, die mit ei­nem schril­len Laut ab­bra­chen. Oder er nahm auch einen tol­len An­lauf mit schmat­zen­den Tö­nen, mit ei­gen­tüm­li­chen Ka­den­zen, die wie ra­sen­der Lie­bes­ge­sang klan­gen, und de­nen dann plötz­lich ei­ni­ge lau­te Tri­um­ph­ru­fe folg­ten.

      Nun aber schwieg er, denn er ver­nahm un­ter sich ein Seuf­zen, so tief und schmerz­lich, dass es wie das Ab­schied­neh­men ei­ner See­le klang; im­mer an­hal­ten­der stie­gen die­se Seuf­zer zu dem lau­schen­den Vo­gel em­por, bis sie sich schliess­lich in ein krampf­haf­tes Schluch­zen ver­wan­del­ten.

      *

      Sie wa­ren bei­de sehr bleich, als sie ihre grü­ne Ru­he­stät­te ver­lies­sen. Der blaue Him­mel schi­en ih­nen be­wölkt, das grel­le Licht der Son­ne ver­dun­kelt; sie emp­fan­den eine Art Grau­en bei der Stil­le und Ein­sam­keit, die rings­um herrsch­te. Flüch­ti­gen Schrit­tes eil­ten sie ne­ben­ein­an­der fort, ohne zu spre­chen, ohne sich an­ein­an­der zu schmie­gen; sie schie­nen viel­mehr un­ver­söhn­li­che Fein­de ge­wor­den zu sein. Es war, als ob bei ih­nen ein ge­gen­sei­ti­ger kör­per­li­cher Ekel und geis­ti­ger Wi­der­wil­le ent­stan­den wäre.

      »Mama, Mama!« rief Hen­ri­et­te von Zeit zu Zeit. Un­ter ei­nem Ge­büsch ent­stand eine Be­we­gung; Hen­ri glaub­te einen wei­ßen Rock zu be­mer­ken, der has­tig über ein run­des Bein her­ab­ge­streift wur­de. Bald dar­auf zeig­te sich auf der an­de­ren Sei­te die di­cke Dame, noch et­was rot und ver­le­gen, wäh­rend ihre Au­gen glänz­ten und ihre Brust wog­te; sie hielt sich auf­fal­lend nah an ih­ren Beglei­ter. Die­ser schi­en wun­der­ba­re Din­ge er­lebt zu ha­ben, denn über sein Ant­litz zuck­te es fort­wäh­rend wie von müh­sam un­ter­drück­tem La­chen.

      Ma­da­me Du­four hat­te mit zärt­li­cher Ge­bär­de sei­nen Arm ge­nom­men und so ging man zu den Boo­ten zu­rück; Hen­ri mit sei­ner jun­gen Ge­fähr­tin vor­aus, die stumm ne­ben ihm her­schritt. Wäh­rend des Ge­hens glaub­te Hen­ri plötz­lich hin­ter sich das Geräusch ei­nes schmat­zen­den Kus­ses zu ver­neh­men.

      Man kam schliess­lich wie­der in Be­z­ons an, wo Herr Du­four, ziem­lich er­nüch­tert, sich be­reits zu lang­wei­len be­gann. Der jun­ge Mensch mit dem Flachs­haar nahm ge­ra­de noch einen Im­biss in der Wirt­schaft. Der Wa­gen stand be­reits an­ge­spannt im Hofe, und die Groß­mut­ter, die schon auf­ge­stie­gen war, äus­ser­te leb­haft ihre Furcht da­vor, bei der Un­si­cher­heit der Pa­ri­ser Um­ge­bung un­ter­wegs von der Dun­kel­heit über­rascht zu wer­den.

      Man schüt­tel­te sich die Hän­de und die Fa­mi­lie Du­four fuhr ab.

      »Auf Wie­der­sehn!« rie­fen die bei­den Boots­leu­te. Ein Seuf­zer und eine Trä­ne bil­de­ten die Ant­wort.

      *

      Zwei Mo­na­te spä­ter, als Hen­ri zu­fäl­lig durch die Rue des Mar­tyrs kam, las er über ei­ner Türe: »Du­four, Krä­mer.«

      Er trat ein.

      Die di­cke Dame sass hin­ter dem La­den­tisch. Sie er­kann­te ihn so­fort wie­der und Hen­ri be­müh­te sich, ihr al­ler­lei Lie­bens­wür­dig­kei­ten zu sa­gen.

      »Und Fräu­lein Hen­ri­et­te, wie geht es ihr?« frag­te er dann.

      »Dan­ke, sehr gut, sie ist ver­hei­ra­tet.«

      »Ah! …«

      »Und mit wem?« fuhr er fort, müh­sam sei­ne Be­we­gung un­ter­drückend.

      »Nun, mit dem jun­gen Mann, wis­sen Sie, der uns da­mals be­glei­te­te; er über­nimmt spä­ter das Ge­schäft.«

      »Ah, jetzt ver­ste­he ich.«

      Als er fort­ging fühl­te er un­will­kür­lich eine ge­wis­se Trau­rig­keit. Ma­da­me Du­four rief ihn zu­rück.

      »Wie geht es Ihrem Freun­de?« frag­te sie.

      »Dan­ke, recht gut.«

      »Grüs­sen Sie ihn von uns; aber nicht ver­ges­sen! Und er möch­te uns doch mal be­su­chen, wenn er vor­bei käme …«

      »Es wür­de mich be­son­ders freu­en, sa­gen Sie ihm das« füg­te sie hin­zu.

      »Wer­de nicht ver­feh­len. Adieu!« ent­geg­ne­te Hen­ri.

      »Nein, nicht Adieu! Auf bal­di­ges Wie­der­se­hen!«

      *

      Ei­nes Sonn­ta­ges im nächs­ten Jah­re, als es wie­der ein­mal sehr heiss war, tra­ten Hen­ri alle die un­ver­ge­ss­li­chen Ein­zeln­hei­ten die­ses Aben­teu­ers plötz­lich wie­der so deut­lich und be­geh­rens­wert vor die See­le, dass er, wie von ei­ner dunklen Ah­nung ge­trie­ben, al­lein nach dem al­ten Ver­steck im Ge­hölz ru­der­te.

      Er prall­te beim Ein­tritt er­staunt zu­rück. Sie war da, sie sass mit trau­ri­ger Mie­ne im Gra­se,

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