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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн.Название Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962817695
Автор произведения Guy de Maupassant
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
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Im Frühling
Wenn die ersten schönen Tage erscheinen, wo die erwachende Erde sich in neues Grün kleidet, wo blumige Düfte unsere Sinne umschmeicheln und uns sozusagen bis zum Herzen dringen, dann ergreift uns ein dunkles Sehnen nach unnennbarem Glücke, ein Verlangen, hinauszustürmen aufs gerade Wohl, und Abenteuer zu suchen, mit einem Wort: Frühlingsluft zu schlürfen.
Nachdem der harte Winter des verflossenen Jahres verflogen, ergriff mich eines Tages im Mai dieses Sehnen nach Wonne und Behagen, wie ein trunkener Taumel, wie das Überquellen eines gärenden Saftes.
Als ich am Morgen erwacht war, sah ich durch mein Fenster, wie über den Dächern der Nachbarhäuser den blauen Himmel im Glanze des Sonnenlichtes lachte. Die Kanarienvögel auf dem Fensterbrett trillerten ihr Liedchen, in allen Stuben und Kammern sangen die Dienstmädchen, ein fröhliches Gewimmel drang von der Strasse her zu mir herauf, und ich ging hinaus, ohne ein bestimmtes Ziel, festliche Stimmung im Herzen.
Überall, wohin das Auge blickte, traf man vergnügte Gesichter; ein Hauch innerer Glückseligkeit wehte in dem warmen Schimmer des wiederkehrenden Frühlings. Man hätte glauben sollen, eine Wolke von entfesselter Liebe sei über der Stadt gelagert; und die jungen Mädchen, welche zierlichen Schrittes in ihren Morgenkostümen an mir vorüberschritten und in deren Augen verborgene Liebesglut schimmerte, setzten mein Herz ganz in Flammen.
Ohne recht zu wissen, wie und warum, war ich schliesslich an’s Ufer der Seine gelangt. Dampfboote glitten auf der Fahrt nach Suresnes vorüber und ihr Anblick erweckte plötzlich in mir das unwiderstehliche Verlangen, mich einmal nach Herzenslust im Walde zu ergehen.
Das Verdeck der »Mouche« wimmelte von Passagieren; denn der erste Sonnenstrahl lockt einen unweigerlich aus dem Hause und alles, was Leben hat, flutet heute auf den Dampfschiffen ab und zu unter behaglichem Geplauder mit dem Nachbarn oder der Nachbarin.
Ich hatte eine Nachbarin, eine kleine Arbeiterin ohne Zweifel, ganz mit dem echten Pariser Chik; ihr niedliches Köpfchen wies eine Fülle von blondem an den Schläfen gelockten Haar auf. Diese Haare, die wie frisiertes Licht aussahen, fielen über die Ohren auf den Nacken herab, und tanzten im Winde; weiter unten wurden sie so fein wie ein Flaum, so leicht, so blond, dass man sie kaum noch sah. Aber zugleich spürte man ein unbezwingliches Verlangen eine Flut von Küssen darauf zu pressen.
Unter meinem brennenden Blicke wandte sie mir unbewusst ihr Gesicht zu, senkte aber sofort ihre Augen, während um ihre Mundwinkel sich eine leichte Falte, wie ein halbentstehendes Lächeln, legte. Dabei entdeckte ich auch auf ihrer Oberlippe diesen duftigen weichen Flaum, den das Sonnenlicht ein wenig vergoldete.
Ruhig und schwer wälzte sich der Strom dahin. Ein warmer Frieden lag in der Luft und stille Lebenslust zitterte durch die Atmosphäre. Meine Nachbarin schlug die Augen wieder auf und diesesmal, als ich sie wieder beharrlich anstarrte, lächelte sie ganz entschieden. Sie sah reizend aus bei diesem Augenaufschlag, und in ihrem flüchtigen Blicke entdeckte ich tausend bis dahin mir fremde Dinge. Ich sah dort unbekannte Tiefen, den ganzen Reiz der Liebe, die ganze Poesie unserer Träume, das ganze Glück, nach dem wir unaufhörlich suchen. Ich fühlte ein unsinniges Verlangen die Arme zu öffnen, sie irgendwohin zu entführen, um ihr die süssen Töne der Liebe ins Ohr zu flüstern.
Im Begriff den Mund zu öffnen und sie anzureden, fühlte ich plötzlich einen leichten Schlag auf meine Schulter. Überrascht und unwillig sah ich auf und bemerkte vor mir einen Mann von gewöhnlichem Aussehen, weder jung noch alt, der mich mit melancholischem Blick betrachtete.
»Ich möchte ihnen etwas sagen,« bemerkte er.
»Es ist sehr wichtig,« fügte er hinzu, da er mir die Ungeduld am Gesichte ablesen mochte.
Ich stand auf und folgte ihm an’s andere Ende des Schiffes.
»Mein Herr!« begann er wieder, »wenn der Winter mit seinen Frösten, mit Regen und Schnee, sich naht, so sagt Ihnen täglich der Arzt: »Halten Sie sich die Füsse recht warm; hüten Sie sich vor Erkältungen, vor Schnupfen, Husten und Lungenentzündung.« Nun gut; Sie treffen allerhand Vorsichtsmassregeln, Sie tragen Flanell, dicke Überzieher, warme Schuhe und anderes mehr; aber trotzdem bringen Sie mindestens zwei Monate der Zeit im Bette zu. Aber wenn der Frühling mit neuen Blüten und Blättern, mit seinen warmen und weichen Winden, mit jenem Duft der wiedererwachenden Natur sich naht, der Ihr Herz in Flammen setzt und sie ohne eine bestimmte Ursache zu zärtlichen Regungen treibt, dann sagt Ihnen niemand: »Freund, hüte Dich vor der Liebe! Sie lauert überall verborgen, sie hockt in allen Winkeln. Alle ihre Pfeile sind gespitzt, ihre Waffen geschärft, ihre List bereit. Hüte Dich vor der Liebe! … Ja hüte Dich vor ihr! Sie ist gefährlicher als Schnupfen, Husten oder Rheumatismus! Sie kennt kein Erbarmen und treibt Dich zu den grössten und unwiderruflichsten Tollheiten.« Ja, mein Herr, ich sage, die Regierung sollte jedes Jahr in großen Lettern die Worte anschlagen lassen: »Achtung vor dem Frühling! Bürger Frankreichs! Hütet Euch vor der Liebe!« ebenso gut wie man an die Haustüren schreibt: »Achtung! Frisch angestrichen!« Da nun die Regierung so etwas nicht macht, so trete ich an ihre Stelle und sage Ihnen: »Hüten Sie sich vor der Liebe! sie ist im Begriff Sie anzustecken, und ich habe die Pflicht, Sie zu warnen, so gut, wie man in Russland jemanden warnt, der im Begriff ist, sich die Nase zu erfrieren.«
Ich stand ganz erstaunt vor diesem sonderbaren Kauz und sagte schliesslich mit abwehrender Miene:
»Sie scheinen sich eigentlich in Dinge zu mischen, mein Herr, die Sie garnichts angehen.«
Er machte eine ungeduldige Bewegung.
»Ach, mein Herr! mein lieber Herr!« sagte er »wenn ich bemerke, dass ein Mann sich in eine ihm fremde Gefahr stürzen wollte, sollte ich ihn dann umkommen lassen? Ich bitte Sie, hören Sie meine eigene Geschichte, und Sie werden begreifen, warum ich so zu Ihnen zu sprechen wage.«
»Es war voriges Jahres zur nämlichen Zeit. Ich musste Ihnen zunächst sagen, dass ich Beamter im Marine-Ministerium bin, wo unsere Chefs die Kommissare, allen Ernstes ihre Stellung so auffassen, dass sie uns als Lasttiere behandeln. – Ja, wenn alle Chefs aus dem Zivilstande wären. – Doch weiter: Ich konnte von meinem Büro aus einen kleinen Streifen des blauen Himmels wahrnehmen, und es packte mich die Lust, mitten unter meinen staubigen Aktenbündel umherzutanzen.
Mein