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gut, ich habe es ver­stan­den und wer­de es den Le­sern auch ver­ständ­lich ma­chen. Mei­ne Frau bat mich noch, Sie zu fra­gen, ob der Ge­ne­ral Bel­lon­cle nach Oran ge­schickt wür­de. Nach dem, was Sie mir eben er­klärt ha­ben, neh­me ich wohl an, dass es nicht der Fall ist.«

      Der Staats­mann er­wi­der­te:

      »Nein.«

      Dann sprach man über die be­vor­ste­hen­de Er­öff­nung der Kam­mer. Lar­oche-Ma­thieu be­gann nun zu re­den; er woll­te die Wir­kung der Phra­sen aus­pro­bie­ren, die er sich vor­be­rei­tet hat­te, um sie in we­ni­gen Stun­den vor sei­nen Kol­le­gen aus­zu­streu­en. Er schwang da­bei die rech­te Hand, in der er bald die Ga­bel, bald das Mes­ser, bald ein Stück­chen Brot hielt. Er wand­te sich da­bei an die un­sicht­ba­re Ver­samm­lung und ent­lud sei­ne süß­lich-flie­ßen­de Be­red­sam­keit des hüb­schen wohl­fri­sier­ten Man­nes. Sein win­zi­ger hoch­ge­dreh­ter Schnurr­bart en­de­te mit zwei Spit­zen, und sein Haar, das in der Mit­te ge­schei­telt und reich­lich mit Bril­lan­ti­ne ein­ge­fet­tet war, um­gab sei­ne Schlä­fen so, dass er wie ein Pro­vinz­geck aus­sah. Trotz sei­ner Ju­gend war er et­was zu dick, et­was auf­ge­schwemmt und die Wes­te spann­te sich über sei­nem Bäuch­lein. Der Pri­vat­se­kre­tär aß und trank ru­hig wei­ter, denn er war of­fen­bar an sol­che Re­de­er­güs­se ge­wöhnt. Du Roy je­doch, dem der Neid auf den er­run­ge­nen Er­folg am Her­zen nag­te, dach­te da­bei: »Du al­tes Ka­mel, was für Dumm­köp­fe sind doch die­se Po­li­ti­ker!«

      Sein ei­ge­ner Wert kam ihm im Ver­gleich zu der ge­schwät­zi­gen Wich­tig­tue­rei des Mi­nis­ters umso mehr zum Be­wusst­sein, und er sag­te sich: »Wenn ich nur 100000 Fran­cs bar hät­te, um mich in mei­ner schö­nen Hei­mat als De­pu­tier­ten auf­stel­len zu las­sen! O Gott! Wie wür­de ich mei­ne wa­cke­ren, pfif­fi­gen und schwer­fäl­li­gen Nor­man­nen her­ein­le­gen, und was für ein Staats­mann wür­de ich wer­den, im Ver­gleich zu die­sen kurz­sich­ti­gen Schwät­zern!«

      Herr Lar­oche-Ma­thieu re­de­te bis zum Kaf­fee. Dann sah er, dass es spät wur­de, er klin­gel­te, ließ sein Coupé vor­fah­ren und reich­te dem Jour­na­lis­ten die Hand:

      »Al­les recht ver­stan­den, mein lie­ber Freund?«

      »Voll­kom­men, ver­ehr­ter Mi­nis­ter. Sie kön­nen sich auf mich ver­las­sen.«

      Du Roy ging lang­sam auf die Re­dak­ti­on, um sei­nen Ar­ti­kel auf­zu­set­zen, denn er hat­te sonst bis vier Uhr nichts zu tun. Um vier soll­te er sich in der Rue Con­stan­ti­no­ple mit Ma­da­me de Ma­rel­le tref­fen, mit der er re­gel­mä­ßig, zwei­mal wö­chent­lich, Mon­tags und Frei­tags, zu­sam­men war.

      Doch als er auf die Re­dak­ti­on kam, über­reich­te man ihm eine ge­schlos­se­ne De­pe­sche. Sie war von Frau Wal­ter und lau­te­te:

      »Ich muss dich un­be­dingt heu­te spre­chen. Es ist et­was sehr Wich­ti­ges. Er­war­te mich um zwei Uhr in der Rue Con­stan­ti­no­ple. Ich kann dir einen großen Dienst er­wei­sen

       Dei­ne Freun­din bis zum Tode,

       Vir­gi­nie.«

      Er schimpf­te: »Don­ner­wet­ter, die­ses kleb­ri­ge Weib.« Und in ei­nem An­fall schlech­ter Lau­ne ver­ließ er so­fort die Re­dak­ti­on; denn er war zu auf­ge­regt, um wei­ter­zu­ar­bei­ten.

      Seit sechs Wo­chen ver­such­te er ver­ge­bens, mit ihr zu bre­chen. Doch sie klam­mer­te sich mit zä­her An­häng­lich­keit an ihn.

      Gleich nach ih­rem Fehl­tritt hat­te sie furcht­ba­re Ge­wis­sens­bis­se ge­habt und bei den drei auf­ein­an­der­fol­gen­den Zu­sam­men­künf­ten ihn mit Vor­wür­fen bit­ters­ter Art über­schüt­tet. Ihm wur­den die­se Sze­nen lang­wei­lig, denn er war die­ser über­rei­fen und dra­ma­ti­schen Frau sehr schnell über­drüs­sig ge­wor­den; er zog sich ein­fach zu­rück und hoff­te, dass die­ses Aben­teu­er auf die­se Wei­se so ohne wei­te­res ein Ende fin­den wür­de. Nun aber hing sie sich an ihn und stürz­te sich wie wahn­sin­nig in die­se Lie­be, wie man sich in einen Fluss stürzt, mit ei­nem Stein am Hal­se. Aus Schwä­che, Gut­mü­tig­keit und Rück­sicht hat­te er sich wie­der mit ihr ein­ge­las­sen. Und nun um­gab sie ihn mit ei­ner zü­gel­lo­sen er­mü­den­den Lei­den­schaft und ver­folg­te ihn mit ih­ren Zärt­lich­kei­ten. Sie woll­te ihn je­den Tag se­hen, be­stell­te ihn alle Au­gen­bli­cke durch Te­le­gram­me zu flüch­ti­gen Be­geg­nun­gen an Stra­ßen­e­cken, Wa­ren­häu­sern, öf­fent­li­chen An­la­gen. Im­mer wie­der sag­te sie ihm die­sel­ben Phra­sen, dass sie ihn an­be­te und ver­göt­te­re und ver­ließ ihn als­dann mit dem Schwur, dass sie se­lig sei, ihn ge­se­hen zu ha­ben.

      Sie er­wies sich ganz an­ders, als er je ge­träumt hät­te, und ver­such­te ihn mit kind­li­chen Zärt­lich­kei­ten und Lieb­ko­sun­gen zu ver­füh­ren, die in ih­rem Al­ter lä­cher­lich wirk­ten. Da sie bis da­hin voll­stän­dig an­stän­dig ge­blie­ben war, in­ner­lich keusch, je­dem Ge­fühl ver­schlos­sen, und ei­gent­lich nichts von Lei­den­schaft und sinn­li­cher Lie­be kann­te, so schi­en bei die­ser ver­nünf­ti­gen Frau bei ih­ren vier­zig Jah­ren ein blas­ser Herbst ei­nem küh­len Som­mer zu fol­gen. Nun ent­stand bei ihr durch die­ses Aben­teu­er eine Art von zwei­tem wel­kem Früh­ling mit klei­nen, ver­küm­mer­ten Knos­pen, eine selt­sa­me Nach­blü­te von Mäd­chen­lie­be, eine ver­spä­te­te glü­hen­de und doch nai­ve Lei­den­schaft mit un­er­war­te­ten Ge­fühls­aus­brü­chen ei­nes sech­zehn­jäh­ri­gen Mäd­chens, ge­schwät­zi­gen Lieb­ko­sun­gen und al­tern­den Zärt­lich­kei­ten, die nie jung ge­we­sen wa­ren. Sie schrieb zehn Brie­fe am Tage, al­ber­ne und ver­rück­te Brie­fe in ei­nem ver­wor­re­nen, poe­ti­schen, lä­cher­li­chen Stil mit dras­ti­schen Aus­drücken vol­ler Tier- und Vo­gel­na­men.

      So­bald sie al­lein wa­ren, um­arm­te sie ihn mit schwer­fäl­li­ger Zärt­lich­keit, wie ein großes Kind, ver­zog die Lip­pen in ko­mi­scher Wei­se und sprang um ihn her­um, wo­bei ihr schwe­rer und vol­ler Bu­sen un­ter dem Stoff ih­res Klei­des hin und her wog­te.

      Er war ge­ra­de­zu ver­zwei­felt, wenn sie ihn »Mein Mäu­schen«, »Mein Hünd­chen«, »Mein Kätz­chen«, »Mein Schätz­chen«, »Mein Vö­gel­chen«, »Mein Herz­chen« nann­te und, wenn sie sich hin­gab, im­mer wie­der eine kin­disch-scham­haf­te Ko­mö­die spiel­te, mit ängst­li­chen Be­we­gun­gen, die sie für gra­zi­ös und ver­füh­re­risch hielt, mit al­ler­lei Kin­de­rei­en ei­ner ver­zo­ge­nen Pen­si­ons­schü­le­rin.

      Sie frag­te: »Wem ge­hört die­ses Münd­chen?«, und wenn er nicht so­fort mit »Mir« ant­wor­te­te, dann quäl­te sie ihn, bis er ganz ner­vös und blass wur­de. Sie muss­te doch füh­len, so schi­en es ihm, dass zur Lie­be et­was Takt, Ge­wandt­heit, Vor­sicht und ent­spre­chen­des Be­neh­men ge­hört, dass sie, die sie sich ihm als Fa­mi­li­en­mut­ter und rei­fe Welt­da­me hin­ge­ge­ben hat­te, es mit Wür­de und ei­ner ge­wis­sen Zu­rück­hal­tung tun müss­te, viel­leicht mit Trä­nen; aber mit den Trä­nen ei­ner Dido und nicht ei­ner Ju­li­et­ta.

      Sie wie­der­hol­te ihm im­mer­fort:

      »Wie ich dich lie­be, mein Klei­ner, liebst du mich auch so sehr, mein Kind­chen?«

      Er konn­te es nicht mehr hö­ren, wie sie ihn »mein Klei­ner« oder »mein Kind­chen« nann­te, ohne dass er Lust ver­spür­te, sie »mei­ne Alte« an­zu­re­den.

      Sie

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