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am Spring­brun­nen auf und ab und sah noch­mals nach der Uhr auf dem Kirch­turm, die im Ver­gleich zu sei­ner zwei Mi­nu­ten vor­ging. Er dach­te, dass es wohl drin­nen an­ge­neh­mer sein wür­de und ging hin­ein.

      Die küh­le Kel­ler­luft des stei­ner­nen Ge­wöl­bes um­fing ihn. Er at­me­te sie mit Be­ha­gen ein und ging dann durch das Kir­chen­schiff, um die Ört­lich­keit zu über­se­hen. Aus der Tie­fe des mäch­ti­gen Bau­werks tön­te ein an­de­rer re­gel­mä­ßi­ger Schritt her­über; bald hielt er inne, bald hall­te er wie­der laut auf den Stein­flie­sen. Er such­te neu­gie­rig nach die­sem Spa­zier­gän­ger. Es war ein di­cker, kahl­köp­fi­ger Herr, der mit der Nase in der Luft und den Hut hin­ter dem Rücken her­um­ging. Hier und da knie­te eine alte Frau, das Ge­sicht in die Hän­de ver­gra­ben. Ein Ge­fühl der Ein­sam­keit, des Ver­las­sen­seins und der Ruhe er­füll­te sei­nen Geist, und das Licht, das durch die far­bi­gen Schei­ben fiel, tat den Au­gen wohl. Du Roy fand es hier drin­nen »recht be­hag­lich«. Er ging wie­der an die Tür und sah aber­mals nach der Uhr. Es war erst ein vier­tel nach drei. Er setz­te sich am Haup­tein­gang und be­dau­er­te sehr, dass er hier kei­ne Zi­ga­ret­te rau­chen dür­fe. Vom an­de­ren Ende der Kir­che, in der Nähe des Chors, er­tön­ten nach wie vor die lang­sa­men, schal­len­den Schrit­te des di­cken Herrn. Je­mand kam her­ein. Du Roy dreh­te sich has­tig um. Es war eine arme, ein­fa­che Frau im Woll­rock; gleich beim ers­ten Stuhl fiel sie auf die Knie und ver­harr­te hier mit ge­fal­te­ten Hän­den, den Blick gen Him­mel er­ho­ben, die See­le im Ge­bet ver­sun­ken.

      Du Roy be­ob­ach­te­te sie; es in­ter­es­sier­te ihn, wel­cher Kum­mer, wel­cher Schmerz oder wel­che Verzweif­lung die­se arme See­le in die Kir­che ge­trie­ben hat­te. Tiefs­tes Elend sah man ihr an. Vi­el­leicht hat­te sie einen Mann, der sie halb­tot prü­gel­te oder ein ster­ben­des Kind?

      »Ar­mes We­sen,« dach­te er, »es gibt so vie­le, die lei­den müs­sen!« Und er zürn­te ge­gen die er­bar­mungs­lo­se Na­tur. Dann über­leg­te er sich, dass die­se arm­se­li­gen Leu­te we­nigs­tens dar­an glaub­ten, dass dort oben ein Auge über sie wa­che und dass im Him­mel ihr ir­di­scher Le­bens­wan­del mit der Bilanz von Soll und Ha­ben ver­bucht sei. — Dort oben. — Wo denn ei­gent­lich?

      In der Stil­le der Kir­che ver­sank Du Roy in welt­um­span­nen­de Träu­me­rei­en. Er be­gann in Ge­dan­ken die gan­ze Schöp­fung zu um­fas­sen und er mur­mel­te ganz lei­se vor sich hin: »Wie das al­les ei­gent­lich dumm ist.« Das Rau­schen ei­nes Klei­des ließ ihn hoch­fah­ren.

      Sie war es.

      Er stand auf und ging schnell auf sie zu. Sie reich­te ihm nicht die Hand und sag­te nur ganz lei­se:

      »Ich habe nur ein paar Au­gen­bli­cke Zeit. Ich muss gleich wie­der nach Hau­se. Kni­en Sie ne­ben mir nie­der, da­mit wir nicht auf­fal­len.« Sie durch­schritt das Kir­chen­schiff und such­te, wie je­mand, der das Haus ge­nau kann­te, nach ei­nem pas­sen­den un­ge­stör­ten Platz. Ihr Ge­sicht war mit ei­nem dich­ten Schlei­er be­deckt und sie ging mit ge­dämpf­ten, kaum hör­ba­ren Schrit­ten. Als sie den Chor er­reicht hat­ten, dreh­te sie sich um und sprach mit ei­ner ge­heim­nis­vol­len, kaum hör­ba­ren Stim­me, wie man in der Kir­che zu spre­chen pflegt:

      »Es ist bes­ser an der Sei­te; hier kann man zu leicht ge­se­hen wer­den.«

      Sie ver­beug­te sich tief vor dem Ta­ber­na­kel des Haupt­al­tars und bog: dann nach rechts ein und ging wie­der in der Rich­tung nach dem Ein­gan­ge zu­rück. Plötz­lich schi­en sie einen Ent­schluss zu fas­sen, nahm einen Bet­stuhl und knie­te nie­der. Ge­or­ges nahm den da­ne­ben­ste­hen­den und so knie­ten sie un­be­weg­lich in der Hal­tung von Be­ten­den.

      »Ich dan­ke Ih­nen, dan­ke,« flüs­ter­te er, »ich lie­be Sie über al­les. Ich möch­te Ih­nen das im­mer­fort sa­gen, Ih­nen er­zäh­len, wie bei mir die Lie­be zu Ih­nen be­gon­nen, wie ich beim ers­ten Mal, als ich Sie sah, von Ihrem Reiz und Ih­rer An­mut be­zau­bert wur­de … Wol­len Sie mir ein­mal er­lau­ben, Ih­nen mein gan­zes Herz aus­zu­schüt­ten, Ih­nen all das zu er­klä­ren.«

      Sie hör­te zu, an­schei­nend tief in Ge­dan­ken ver­sun­ken, als hät­te sie über­haupt nichts ver­nom­men.

      »Ich bin wahn­sin­nig, dass ich Sie so mit mir spre­chen las­se, wahn­sin­nig, dass ich ge­kom­men bin, wahn­sin­nig, dass zu tun, was ich tue; Sie glau­ben zu las­sen, dass die­ses Aben­teu­er ir­gend­ei­ne Fort­set­zung fin­den könn­te. Ver­ges­sen Sie, es muss sein, und spre­chen Sie nie da­von.«

      Sie war­te­te. Er such­te nach ei­ner über­zeu­gen­den lei­den­schaft­li­chen Ant­wort, da er je­doch sei­ne Wor­te durch Lieb­ko­sun­gen nicht ver­stär­ken konn­te, fühl­te er sich wie ge­lähmt.

      »Ich er­war­te nichts,« fuhr er fort, »ich er­hof­fe nichts. Ich lie­be Sie. Sie kön­nen tun, was Sie wol­len, ich wer­de es Ih­nen im­mer wie­der sa­gen, so lei­den­schaft­lich und so ein­dring­lich, dass Sie schließ­lich dar­an glau­ben wer­den. Ich wer­de mei­ne Lie­be und Zärt­lich­keit in Sie ein­drin­gen las­sen, Wort für Wort, Stun­de für Stun­de, Tag für Tag, bis sie Sie schließ­lich er­grei­fen, Sie mil­de stim­men und zu­letzt auch Sie zu mir sa­gen müs­sen: ›Ich lie­be Sie.’«

      Er fühl­te, wie ihre Schul­ter ihn zit­ternd be­rühr­te und wie ihre Brust beb­te, dann flüs­ter­te sie has­tig:

      »Auch ich lie­be Sie.«

      »O mein Gott!«

      Sie fuhr mit be­ben­der Stim­me fort:

      »Durf­te ich Ih­nen das sa­gen? Ich füh­le mich schul­dig und ver­ach­tungs­wert … ich … die ich zwei Töch­ter habe … aber ich kann nicht mehr … ich kann nicht … Ich hät­te nie ge­glaubt … ich hät­te nie ge­dacht … es war eben stär­ker als ich … Hö­ren Sie … Hö­ren Sie doch … Ich habe nie je­man­den ge­liebt … nur Sie al­lein … ich schwö­re es Ih­nen, ich lie­be Sie seit ei­nem Jahr heim­lich im In­nern mei­nes Her­zens. Oh, was habe ich ge­lit­ten, ja, was habe ich mit mir kämp­fen müs­sen … Ich kann nicht mehr, ich lie­be Sie.«

      Sie wein­te in ihre Hän­de, die sie über ih­rem Ge­sicht ge­fal­tet hat­te; ihr gan­zer Kör­per zit­ter­te, er­schüt­tert von der lei­den­schaft­li­chen Er­re­gung.

      Ge­or­ges flüs­ter­te:

      »Ge­ben Sie mir Ihre Hand, dass ich sie be­rüh­re, dass ich sie an mich drücke.«

      Lang­sam zog sie ihre Hand von ih­rem Ge­sicht. Er sah, dass ihre Wan­gen ganz feucht vom Wei­nen wa­ren. Ein Trop­fen hing noch am Ran­de der Wim­pern, be­reit, her­un­ter zu rol­len.

      Er er­griff ihre Hand und press­te sie.

      »Oh, ich möch­te die­se Trä­nen küs­sen.«

      Sie sprach mit dump­fer und ge­bro­che­ner Stim­me, so­dass es fast wie ein Seuf­zer klang:

      »Miss­brau­chen Sie nicht mei­ne Schwä­che … ich habe den Kopf ver­lo­ren.«

      Er hat­te Lust, zu lä­cheln. Wie konn­te er sie an die­sem Ort miss­brau­chen. Er press­te ihre Hand an sein Herz und sag­te: »Füh­len Sie es klop­fen?«

      Denn er war am Ende sei­ner lei­den­schaft­li­chen Re­dens­ar­ten und er wuss­te nicht mehr, was er sa­gen soll­te.

      Doch seit ei­ni­gen Au­gen­bli­cken kam der re­gel­mä­ßi­ge Schritt des di­cken Herrn im­mer nä­her. Er war die Al­tä­re ent­lang

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