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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн.Название Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962817695
Автор произведения Guy de Maupassant
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
»Wo werde ich Sie morgen sehen?« fragte er.
Sie antwortete nicht. Sie schien leblos; sie schien ganz wie ein versteinerter Ausdruck vom Gebet.
Er fuhr fort:
»Wollen Sie, dass wir uns im Parc Monceau treffen?«
Sie nahm ihre Hände vom Gesicht und wandte es ihm zu, es war tränenüberströmt, bleich und entstellt vor Schmerz. Sie sagte mit abgerissener Stimme:
»Lassen Sie mich … lassen Sie mich jetzt … gehen Sie … gehen Sie fort, nur fünf Minuten … ich leide so sehr in Ihrer Nähe … ich halte es nicht mehr aus … gehen Sie … lassen Sie mich beten … allein … fünf Minuten. Ich kann nicht … lassen Sie mich Gott um Vergebung anflehen … Er soll mir vergeben … Er soll mich retten … Lassen Sie mich … fünf Minuten lang.«
Der Ausdruck ihres Gesichtes war dermaßen verstört und schmerzerfüllt, dass er ohne ein Wort zu sagen aufstand; dann versetzte er nach einem kurzen Zaudern:
»Ich komme nach einer Weile wieder.«
Sie machte mit dem Kopf ein Zeichen, als wollte sie sagen: »Ja, nach einer Weile.« Und er ging zum Chor hinunter.
Nun versuchte sie zu beten, mit übermenschlicher Anstrengung wollte sie Gott anrufen und flehte mit zitterndem Körper und verzweifelter Seele um Erbarmen. Sie schloss wütend die Augen, um ihn nicht zu sehen, ihn, der sie eben verlassen hatte. Sie verscheuchte ihn aus ihren Gedanken, sie wehrte sich gegen ihn, doch an Stelle der himmlischen Erscheinung, die sie mit schwerem Herzen und gebrochener Seele erflehte, kam ihr der gekräuselte Schnurrbart des jungen Mannes nicht aus dem Sinne.
Seit einem Jahr kämpfte sie Tag für Tag und Abend für Abend gegen die immer zunehmende Leidenschaft, gegen dieses Bild, das sich in ihre Träume drängte, ihre Sinne quälte und ihr die Ruhe raubte. Sie fühlte sich gefangen wie ein wildes Tier in einem Netz, geknebelt und wehrlos diesem Manne ausgeliefert, der sie bezwungen und erobert hatte, einzig und allein durch seinen Schnurrbart und die Farbe seiner Augen.
Und jetzt in der Kirche in Gottes Nähe, fühlte sie sich noch schwächer, noch verlassener als bei sich zu Hause. Sie konnte nicht mehr beten, sie musste immerfort an ihn denken. Sie litt bereits darunter, dass er fort war, und doch kämpfte sie verzweifelt. Sie wehrte sich und rief mit der ganzen Kraft ihrer Seele um Hilfe. Sie wäre lieber gestorben, als so zu fallen, sie, die sie noch nie einen Fehltritt begangen hatte. Sie murmelte wirre, flehende Gebete, aber sie hörte nur auf Georges Schritte, die in den fernen Gewölben immer leiser und leiser wurden. Sie begriff, dass es nun mit ihrer Kraft zu Ende und dass jeder Widerstand vergeblich sei. — Trotzdem wollte sie nicht nachgeben. Sie zitterte am ganzen Leibe und fühlte sich so schwach und zusammengebrochen, dass sie gleich umfallen, auf dem Boden sich herumwälzen und heftige und schrille Schreie ausstoßen würde. Da hörte sie rasche Schritte herannahen. Sie wandte den Kopf, es war ein Priester. Sie stand auf, lief mit gefalteten Händen auf ihn zu und stammelte:
»Oh, retten Sie mich! Retten Sie mich!«
Er blieb überrascht stehen:
»Was wünschen Sie, Madame?«
»Ich will, dass Sie mich retten; haben Sie Erbarmen mit mir. Wenn Sie mir nicht zu Hilfe kommen, bin ich verloren!«
Er sah sie an, und dachte, ob sie vielleicht wahnsinnig wäre.
»Was kann ich für Sie tun?« fragte er.
Es war ein junger, hochgewachsener, etwas dicker Geistlicher, mit vollen, etwas schlaffen Backen, die, trotzdem sie sauber rasiert waren, einen gräulichen Schimmer hatten; es war ein schöner Stadtvikar, aus einem reichen Stadtviertel, der an wohlhabende Sünderinnen gewöhnt war.
»Hören Sie meine Beichte,« sagte sie, »und geben Sie mir einen Rat, helfen Sie mir und sagen Sie, was ich tun soll.«
»Ich höre die Beichte alle Sonnabende von drei bis sechs«, erwiderte er.
Aber sie fasste ihn am Arm und wiederholte:
»Nein, nein! nein! Sofort, sofort! Es muss sein! Er ist hier in dieser Kirche! Er erwartet mich!«
»Wer erwartet Sie denn?« fragte der Priester.
»Ein Mann, der mich verderben will, der mich verführen wird, wenn Sie mich nicht retten … Ich kann nicht mehr vor ihm fliehen … ich bin zu schwach … so schwach … so schwach …«
Sie warf sich vor ihm auf die Knie und schluchzte:
»Erbarmen Sie sich meiner, mein Vater! Retten Sie mich, im Namen Gottes, retten Sie mich!«
Sie hielt ihn an seinem schwarzen Priesterrock fest, damit er nicht fort konnte und er blickte unruhig nach allen Seiten, ob nicht irgendein übelwollendes oder zu frommes Auge die Frau zu seinen Füßen sehen konnte. Da er schließlich einsah, dass er sie nicht los würde, sagte er:
»Stehen Sie auf, ich habe zum Glück den Schlüssel zum Beichtstuhl bei mir.«
Er wühlte in seiner Tasche und zog einen Ring mit einer Menge Schlüssel daran heraus. Er suchte einen davon heraus und ging mit schnellem Schritt zu einer kleinen Holzhütte, in welcher die Frommen ihre Seelen von allen Sünden entlasten. Er trat durch die Mitteltür herein und schloss hinter sich ab, während Frau Walter sich in dem schmalen Seitenteil niederwarf und leidenschaftlich und inbrünstig stammelte:
»Segnen Sie mich, mein Vater, denn ich habe gesündigt.«
Du Roy hatte einen Gang um den Chor gemacht und schritt nun das linke Seitenschiff hinunter. Er war gerade in der Mitte, als er dem dicken, kahlköpfigen Herrn begegnete, der immer noch im langsamen, gemessenen Schritt auf und ab wanderte. »Was mag dieser Sonderling hier zu suchen haben?« fragte sich der junge Mann. Auch der Herr hatte seinen Schritt verlangsamt und blickte George:; an, mit dem sichtlichen Wunsch, mit ihm ein Gespräch anzufangen. Als er ganz nahe war, grüßte er und fragte sehr höflich:
»Ich bitte sehr um Verzeihung, aber könnten Sie mir vielleicht sagen, wann ist diese Kirche erbaut worden?«
»Wahrhaftig,« antwortete Du Roy, »ich weiß das leider nicht. Ich glaube so vor etwa zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren. Übrigens bin ich zum ersten Male hier.«
»Ich auch. Ich habe sie noch nie gesehen.«
Nun fuhr der Journalist neugierig fort:
»Sie scheinen sie sehr sorgfältig zu besichtigten.«
Der andere erwiderte bedächtig:
»Nein, ich besichtige sie