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Zantner ging auf und ab, auf und ab und stöhnte leise vor sich hin, und rastlos begleitete ihn die hohe Gestalt seines Kindes, und er vermochte die Augen nicht zu heben bis hinauf zu dem friedlichen Antlitze. ›Ruth, Ruth!‹

      Dann wankte er an sein Pult, legte den Zettel mitten auf die Platte und beschwerte ihn mit dem grünen Glasblocke. Dann tastete er an dem Büchergestelle herum – er, der sonst jedes Buch zu stockfinsterer Nachtzeit fand, er tastete und tastete.

      »Seneca an Gallio über ein glückliches Leben« – er stieß das Büchlein zurück. »Seneca über die Gemütsruhe« – er stieß es zurück. »Platon, Euthyphron« – er stieß das Buch zurück und tastete und tastete, und endlich hatte er's gefunden.

      ›Gieb mir Trost, du Inbegriff von allen andern!‹ murmelten seine bebenden Lippen, und er schlug das Buch auf, das von selber auseinander fiel:

      »Die Gesetze des Gewissens, die wir der Natur zuschreiben, entstehen aus der Gewohnheit.«

      ›Ganz recht, aber das giebt mir doch keinen Trost. Gieb mir Trost, Montaigne, Trost!‹

      »Die gemeinen Vorstellungen, die in unsrer Umgebung Geltung haben, vom Vater überkommen, sie erscheinen uns als die allgemeinen und natürlichen: was sich nicht um die Gewohnheit dreht, steht für uns außerhalb der Vernunft; Gott weiß, wie unvernünftig das bisweilen ist.«

      ›Gieb mir Trost, Montaigne, Trost!‹ schrie der Zantner und blätterte in dem Buche und las: »Ergreift mich eine kummervolle Vorstellung, so finde ich es kürzer, sie mit einer andern zu vertauschen, als geradewegs zu unterdrücken. Kann ich ihr keine entgegengesetzte unterschieben, so hilft es schon etwas, wenn es nur eine andre ist. Kann ich den Verlust nicht bekämpfen, so suche ich ihm zu entwischen, und in der Flucht wende ich alle List an, rette mich ins Gewoge andrer Zerstreuungen und Gedanken, wo er meine Spur verliert und mir nicht folgen kann.«

      »Trost! Das ist doch kein Trost!«

      Und er blätterte mit zitternden Fingern und las: »Nach innen aus dem Gedränge muß der Weise die Seele ziehen, um ihr die Unabhängigkeit und Kraft zu einer freien Beurteilung der Dinge zu verleihen.«

      ›Trost! Das ist ja doch kein Trost! Ich – ich – und immer ich – wie kann ich meine Seele aus dem Gedränge bringen? Ich kann mich nicht beim Schopfe packen und in die Höhe reißen.‹ – Dann schrie er: ›Und du sagst es ja selbst mit Lächeln – que sais-je? – Que sais-je?‹ Und er warf das Buch in die Mitte der Stube, daß es offen liegen blieb. ›Montaigne, mir versagt dein Trost,‹ stöhnte er und raufte seine Haare. ›Que sais-je?‹ stöhnte er. ›Es hat mich vergiftet, dein Que sais-je? du lächelnder Philosoph.‹

      Angstvoll glitten seine Blicke über die sauberen Einbände seiner alten Freunde: ›Gebt mir Trost!‹

      Da sah er ein großes Buch und schloß die Augen und griff danach, wandte sich, warf's auf das Pult, daß der Glasblock polternd auf die Dielen sprang, schlug es auf mit geschlossenen Augen, drückte den Finger auf eine Stelle, öffnete gierig die Lider und las: »Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!« Und abermals warf er die Blätter um: »Lasset euch nicht mit mancherlei und fremden Lehren umtreiben; denn es ist ein köstliches Ding, daß das Herz fest werde, welches geschiehet durch Gnade.« Und zum drittenmal warf er die Blätter um und las: »Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie und sprach: Wahrlich, ich sage euch, es sei denn, daß ihr umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.«

      Der Zantner schloß das Buch und starrte lange vor sich hin.

      Dann aber geriet er in einen großen Zorn, raufte sich die Haare, lief hin und her in seinem Gemache und knirschte: ›Trost!‹ Da fielen seine Blicke auf das Buch, das er in die Mitte des Gemaches geworfen hatte: ›Du! du!‹ Er sprang darauf und zerstampfte es mit seinen kotigen Absätzen. ›Du! Gieb mir Trost, jetzt brauch' ich Trost – wo ist dein Trost?‹

      Und das Buch fiel auseinander, und die Fetzen hingen an schwachen Schnüren, und einer von den hölzernen Deckeln zerbrach. Unablässig stampften die Füße auf den schmutzstarrenden Blättern, und er keuchte: ›Der Herr – von – Zant – der seine Seele – aus allem Gezänke erhebt – in – die – krystallklaren Höhen – des Aethers – – Montaigne, gieb – ihm – doch Trost – dem armen – Sklaven! Trost –!‹

      Vom Hofe tönte das fröhliche Geplärre der spielenden Kinder, und an der Stubenthüre wäre ein leises Pochen zu vernehmen gewesen. Der Zantner vernahm es nicht.

      Da öffnete sich die Thüre, und das verwitterte, bartlose Gesicht des Dechanten schob sich lächelnd herein.

      »Ich störe Euch doch nicht? Alles wie ausgestorben in Euerm Hause, Herr. Nur die unschuldigen Kindlein im Hofe –«

      Er trat vollends herein und schloß geräuschlos die Thüre.

      »Endlich in Euerm Sanktuarium!« flüsterte er und ließ die Blicke neugierig über die Bücher schweifen. »Eine gewaltige Bibliothek – hätte das nie vermutet – aber freilich – –!«

      Der Zantner faßte sich, stieß das Buch zur Seite und rückte heftig atmend einen Lehnstuhl, verbeugte sich kurz und lud mit einer Handbewegung den Gast zum Sitzen ein.

      »Und was hat Euch dieses Buch gethan?« fragte der andre und ließ die stechenden Augen auf dem zerfetzten Montaigne ruhen.

      Der Zantner schwieg.

      Der Dechant aber hob die schmale Rechte, schwenkte sie anmutsvoll und lächelte: »Ich habe nichts gesehen, Herr von Zant, ich habe die Bücher nicht gesehen; die Ihr verborgen habt wider das kurfürstliche Mandat, ich weiß nichts, als das eine, daß Ihr Euch täglich befestigt. – Befestigt,« sagte er mit Nachdruck und ließ sich in den Stuhl sinken.

      »Vielleicht noch eine Partie Schach gefällig vor dem Essen, Herr von Zant?«

      Schwerfällig ging der Zantner an den Schrank, öffnete die knarrende Thüre und holte mit zitternden Händen Brett und Figuren.

      Leichte Schrittlein kamen die Wendeltreppe herauf, ein Füßlein stieß an die Thüre, ein Aermlein tastete sich empor, und ein Händlein zog mit Anstrengung die Klinke herab. Das Kleinste stand auf der Schwelle und blickte suchend in der Stube umher.

      »Komm!« lockte der Dechant.

      Aber das Kind wandte sich und stapfte die Stiege hinunter, ging an alle Thüren und suchte und suchte.

      Und so that es noch viele Tage, suchte treppauf, treppab in allen Stuben und Kammern, suchte und suchte.

      Rache.

       Inhaltsverzeichnis

      Es war ein bitterkalter Oktobermorgen. Tiefblauer Himmel lugte in den engen Hof der Herberge zur Krone, in den Kobern grunzten die Schweine, und am Pumpbrunnen, hart neben der stinkenden Dungstätte, wuschen zwei Mägde.

      Hansjörg Portner trat auf die Holzgalerie und beugte sich über die dunkelgebräunte Brüstung: »Holla, bringe mir eine von euch flugs einen Krug voll Wasser!«

      Die Mägde blickten hinauf, und die Schwarze stieß die Rote an.

      »Flugs!« wiederholte Portner und ging sporenklirrend zurück in seine Kammer.

      »Wer ist denn der?« fragte die Schwarze flüsternd und trocknete eilig die Hände an der schmutzigen Schürze. »Ein Herrischer, das kenn' ich doch gleich!«

      »Der?« sagte die Rote und machte ein verächtliches Gesicht. »Den wirst noch öfter sehen z'Amberg, wart nur, den Hochnäsigen. Das reitet allfort ab und zu im Land. Der? Wegen dem? Der schaut unserein' nit mit einem Aug' an, und unsereiner wär' doch auch zum Anschauen. Und der hat's not! – Lumpenvolk. Was wird er denn sein, der?! Einer, bei dem sich's reimt Edelleut' – Bettelleut', sagt der Herr Schreiber. Ein Ausgeschaffter, ein Emegierter, nennt's der Herr Schreiber. I du mein – mit

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