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jawohl, mein Kind, im finsteren Thal,« sagte die alte Frau mit Nachdruck. »Jetzt hab' ich auf einmal gar keine Angst mehr um dich. Ist merkwürdig, oft hör' ich und oft hör' ich nicht. Aber das mit dem Stab und Stecken, das weiß ich ganz gut – ganz gut.«

      »Er mit seinen Pferden aus Happurg, Ahne!«

      »Ganz gut weiß ich's, das vom Stab und Stecken, und ist mir auch gar nicht mehr Angst um dich. Aber freilich, Ruth, es könnt' ein schweres Wetter kommen über dich –!«

      »Sieht nicht aus danach, Ahnfrau.«

      »Freilich, Ruth, es könnt' ein Wetter kommen; gewiß, Ruth, es wird ein Wetter kommen, nicht eines nur, sondern viele Wetter. Hängt immer der Himmel voll von Wettern, Ruth, wenn wir's auch nicht sehen, in dieser bösen Zeit.«

      Ruth barg das Haupt im Schoße der alten Frau. Diese aber legte die Hände auf ihren Scheitel und murmelte schluchzend unverständliche Worte.

      »Laß mich aufstehen, Ruth! So –!«

      Sie humpelte an ihre Truhe, hob den Deckel und sagte: »So dumm hat's mir neulich geträumt, es sei auf einmal einer durchs Fenster hereingestiegen, hab' mir den Kragen umgedreht und aus dem Kasten da drinnen eure Sparbüchsen gestohlen.«

      Sie kramte in der Tiefe, schnaufte heftig und zog einen großen Topf heraus. »Da hab' ich mir nun beim Aufwachen vorgenommen: ›Die sieben Spartöpfe giebst du fortan dem Zantner zum Aufbewahren; wär' ja doch schade, wenn dir einer den Kragen umdrehte von wegen des Mammons.‹ Und wie's halt so geht mit guten Vorsätzen, von einem Tag zum andern hab' ich's dann wieder aufgeschoben.«

      Sie humpelte auf ihre Enkelin zu.

      »That immer so gerne einen Batzen hineinlegen in den Topf. Aber alles Ding hat seine Zeit, und so denk' ich mir, die Ruth ist nun alt genug und kann wohl auch den Schatz selber aufbewahren. Da, Ruth!« Und sie flüsterte: »Ich wollt', es wäre mehr. Aber dreißig Thaler können's leicht sein.«

      »Na, Ruth, was hast du denn? Laß doch das Geflenne! Ist ja nicht der Rede wert, der Spaziergang nach Ursensollen. Geh nur und grüß mir auch die Erckenprechtshäuserin! Geh nur! Ich will dir auch nachsehen aus dem –« die Greisin wandte sich ab und vollendete mit gebrochener Stimme – »Fensterlein.«

      *

      Die Sonne neigte sich gegen die Hügel, und einsam kauerte die Ahnfrau in ihrem Stuhle und las.

      Da kamen leichte Schrittlein die Wendeltreppe herauf, ein Füßlein stieß an die Thüre, ein Aermlein tastete sich empor, und ein Händlein drückte mit Anstrengung die Klinke herab. »Ahne, wo ist denn die Ruth?« fragte die Kleinste und blickte suchend im Stüblein umher.

      »Komm, Gutlein!« lockte die Greisin. »Komm, die liebe Ruth ist vorhin dahinunter gegangen, hinein zwischen die Felder.«

      »Kommt die Ruth bald?« fragte das Kind und rührte sich nicht vom Flecke.

      »Geh zu mir her, Gutlein, Lieblein!« sagte die alte Frau, stand mühsam auf und schleppte sich an die Truhe.

      »Ich will Ruth warten,« beharrte das Kind und wandte sich.

      »Komm, Gutlein, da, da komm doch, ich will dir Zuckerstücklein geben, Lieblein, Gutlein!«

      »Ich will Ruth warten,« sagte das Kind ernsthaft und ging hinaus.

      »Komm, Gutlein!« lockte die Greisin.

      Das Kind aber stapfte unbeirrt die Treppe hinunter, ging trippelnd über den Hof, stellte sich unter das offene Thor und spähte den Fahrweg entlang, hinab ins Thal.

      *

      Im Birschgewande kam der Zantner abends aus dem Walde auf den kahlen Berggrat, trat vor den Graben und pfiff. Langsam senkte sich die Brücke herüber.

      An den Buckelquadern des Bergfrieds lehnte ein barfüßiger Bub': »Ein Kompliment vom Herrn Dechant, und wenn's dem gnädigen Herrn recht wär', so käm' er heut abend auf ein Stündlein geritten.«

      Der Zantner machte ein finsteres Gesicht, sagte, es sei ihm recht, und schritt weiter.

      Im inneren Hofe spielten etliche seiner Kinder mit den Kindern der Burgleute. Sein Siebenjähriger hatte ein weißes Hemd übergezogen, ein rotes Tuch an einem Stänglein befestigt und ordnete die Prozession.

      »Ich will die Fahne tragen,« sagte der Bub' des Thorhüters.

      »Nein, ich trage sie,« antwortete der Herrensohn.

      »Du bist ja doch der Dechant, der trägt doch die Fahne nicht.«

      »Ich bin der Dechant, und die Fahne trage ich auch,« entschied der Kleine.

      Das Gesicht des Zantners ward noch finsterer, und rasch ging er in die offene Hausthüre, ehe ihn die Kinder gesehen hatten.

      An der Küche blieb er stehen: »Ruth, dein alter Vater ist müde und hungrig, Ruth!«

      Alles war stille. Da stieß er die Thüre auf – die Küche war leer, und auf dem Herde brannte kein Feuer.

      »Ruth!«

      Hinter der Stiege rührte sich etwas. Von einem Fasse erhob sich eine dunkle Gestalt.

      »Na, was ist denn los? Alles wie ausgestorben!« sagte der Zantner. »Du bist's, Annelies?«

      Die alte Magd kam hervor, ging mit schwankenden Schritten heran, schlug die Hände vors Gesicht und heulte laut auf.

      »So sprich doch!« befahl der Zantner. »Ist denn mein Haus verhext?«

      Die Kinder im Hofe hatten sich zum Zuge geordnet und hielten den Umgang und plärrten, wie man's sie gelehrt hatte. Die Stiege herunter aber kam das Weib des Zantners.

      »Wilhelm – da!«

      Mit zwei Sätzen stand der Zantner vor ihr und nahm den Zettel.

      Ihre Augen waren mächtig groß, und sie wandte keinen Blick von seinem Antlitz.

      Der Zantner las, und seine Hand zitterte heftig.

      Fassungslos hob er die Augen zu seinem Weibe.

      »Gieb mir Trost, Wilhelm!« sagte sie heiser, und ihr Gesicht war erdfahl, und ihre herabhängende Unterlippe zitterte, und ihre Augen wandten sich nicht von den seinigen.

      Der Zantner biß die Zähne zusammen und stotterte etwas. Im Hofe, weit weg, plärrten die Kinder.

      »Gieb mir Trost!« wiederholte das Weib.

      »Komm!« bat er, umschlang ihre zarte Gestalt und versuchte, sie mit sich ins obere Stockwerk zu ziehen. Aber sie stemmte sich mit den schwachen Armen gegen seine Brust und sagte zum drittenmal, heiser wie vorher und dumpf: »Gieb mir Trost!«

      »Trost?« murmelte er, indes die Kinder nahe an die offene Thüre kamen und mit Plärren vorüberzogen, daß es in dem gewölbten Hausflur hallte und gellte. »Trost?« wiederholte der Zantner, löste die Arme von seinem Weibe und wankte die Stiege hinauf. –

      Wie war's doch so friedlich in seinem Heiligtum: Da standen die hohen Gestelle an den Wänden, und Rücken an Rücken sahen seine guten Freunde hernieder, und die Abendsonne warf ihre goldenen Strahlen in die Stube.

      Wie ein Träumender ging der Zantner ziellos auf und ab, nahm die Büchse von der Achsel und lehnte sie an das Pult, nahm den Rucksack vom Rücken und hing ihn an einen Fensterreiber, nahm die Büchse und legte sie auf den Tisch, nahm den Rucksack und warf ihn auf die Dielen. Dann zog er den zerknitterten Zettel aus der Tasche und glättete ihn am Fenster, daß sich die Bleifassung in einem scharfen Halbkreise abdrückte, und las und las.

      Dann ging er wieder auf und ab; doch er war nicht allein in dem friedlichen Turmgemache. Neben ihm ging die hohe Gestalt seines Kindes, und es war ihm, als müsse er aufschauen und könne doch nicht aufschauen und den Kopf hochheben; und sein Kind war so groß, so groß, und in seinen Ohren klang und summte es: ›Ich beug' mich nicht und geh' auch nicht nach Amberg; denn was sollt' ich viel über solche hohe Religionssachen disputieren und solche Hoheiten Gottes ergründen

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