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mich.«

      »Fürchten, Kind? Ich will dir hinüberhelfen über deine Furcht, meine Ruth!« flüsterte der Zantner. »Glaubst du, die ewige Gottheit, die diesen armen Stern geschaffen hat, verändere sich, wenn die blöden Menschen sagen: hierher stelle dich zum Gebete oder hierher oder hierher?«

      »Die Gottheit nicht, aber doch wir, Herr Vater,« stammelte Ruth und trat zurück. »Herr Vater, so wollt Ihr auch, daß ich von meinem Glauben abtrete?«

      »Ich will dir das Wesen der Gottheit und den Unverstand der Menschen künden, meine Ruth.«

      »Und was soll ich in meiner Schwachheit viel über solche Religionssachen disputieren, Red' und Antwort geben und solche Hoheiten Gottes ergründen können, Herr Vater?«

      »Du sollst frei werden, mein Kind.«

      »Frei, Herr Vater?«

      »Du sollst das Wesen der Gottheit ahnen, die hoch über unserm Erdenleide wohnt in ungezählten Sternenfernen.«

      »Ihr irrt, Herr Vater,« antwortete Ruth mit bebendem Munde. »Mein Gott und Heiland ist mir so nahe, daß ich's gar nicht sagen kann. Das von den ungezählten Sternenfernen verstehe ich nicht. Und was hülfe mir auch ein Gott, der so weit von mir wohnte?«

      »So wirst du niemals frei werden.«

      »Aber ich will ja nicht frei werden, Herr Vater!« schrie sie mit thränenerstickter Stimme. »Ach, in allem beuge ich mich vor Euch. Aber das, was Ihr mir sagen wollt, Herr Vater, das dürfte wohl eher zu meiner Verzweiflung als zu meiner Befreiung führen.«

      »Ich will dich beten lehren aus freiem Herzen, Ruth.«

      »Beten, Herr Vater?« Sie hielt inne und sah den kleinen, grauen Mann flehend an. »Ach, Ihr habt ja auch in guten Zeiten niemals gebetet mit uns, Herr Vater!«

      Der Landsasse war allein inmitten seiner Bücher und schritt rastlos auf und nieder, bis die Sterne verblichen und das Frührot erglühte.

      *

      Etliche Tage waren vergangen.

      Die Sonne stand hoch am Himmel, und auf den Feldern unter dem Zant schnitten sie das Korn.

      »Ahnfrau, Katechismus abhören!« sagte der zwölfjährige Zantner auf der Schwelle des Stübleins.

      »Ei der Tausend, bist du über Nacht ein Bauernbub geworden?« fragte die Greisin.

      »Ahnfrau, bitte schön, wollet mir den Katechismus abhören!« sagte der Knabe verlegen und schloß die Thüre hinter sich.

      »So ist's recht, junger Edelmann!« lächelte sie und nahm das Buch. Der Knabe rückte einen Schemel herbei und setzte sich zu Füßen der Greisin.

      »Was verbietet das erste Gebot?« fragte diese, hielt das Buch weit ab von den Augen und studierte die Zeilen.

      Der Knabe faltete die Hände: »Es verbietet und verdammet Abgötterei, Zauber und Wahrsagekunst, Aberglauben und allerlei Gottlosigkeit.«

      »Und was fordert es?«

      »Hingegen fordert es, daß wir an einen einigen Gott glauben, ihn verehren und anrufen.«

      »Noch mehr, Hans?«

      »Das auf der nächsten Seite auch noch, Ahnfrau.«

      Die Greisin wandte das Blatt und las: »Darf man wohl die Heiligen verehren und anrufen?«

      »Ja freilich,« begann der Knabe.

      »Nicht wahr ist's,« unterbrach ihn die alte Frau ärgerlich.

      »Ja freilich,« wiederholte der Knabe; »nicht zwar auf eben jene Weise wie Gott, sondern in einem weit geringeren Maße, nämlich als liebste Freunde Gottes und unsre Fürbitter bei ihm.«

      »Nicht wahr ist's,« murrte die alte Frau.

      »Aber, Ahne, verzeiht, hier ist's doch ganz deutlich gedruckt!« Und er stand auf, der Großmutter die Stelle zu zeigen.

      »Nicht wahr ist's,« murrte die alte Frau zum drittenmal.

      »Und der Herr Dechant hat's uns doch auch ganz genau erklärt, Ahnfrau –?«

      Da ging ein listiges Lächeln über das runzelige Gesicht; sie klappte das Buch zu, streichelte den blonden Enkelsohn und drückte ihn sachte auf den Schemel. Dann beugte sie sich vor und flüsterte ihm geheimnisvoll ins Ohr: »Hab' ich dich schon einmal angelogen, Hans?«

      Der Knabe schüttelte heftig das Haupt.

      »Nun hör auf mich!« flüsterte die Greisin, und ihre Augen funkelten. »Das ist jetzt eine böse, geschwinde Zeit, und wenn der Dechant die Heiligen unsre Fürbitter nennt, und wenn's auch in solchen Büchern gedruckt ist, so schweig du nur fein stille und denke dir, das gilt fürs Volk, fürs unvernünftige. Und wenn du's etwa selber aufsagen mußt, sag's ruhig auf und denke dir dabei, das gilt fürs Volk, fürs unvernünftige; mein, des Hans von und auf Zant Fürbitter ist der Herr Christus allein, und ich, der Hans von und auf Zant, brauche die Heiligen samt und sonders nicht.«

      »Ich, der Haus von und auf Zant brauche die Heiligen samt und sonders nicht,« murmelte der Knabe.

      »Die sind nur fürs unvernünftige Volk,« wiederholte die Greisin mit Nachdruck.

      »Die sind nur fürs unvernünftige Volk, ich aber bin ein Edelmann,« sagte der Knabe.

      »Wir brauchen sie nicht. Aber schnaufen darf man nicht von solcher Wissenschaft in dieser bösen, geschwinden Zeit,« warnte die Greisin.

      »Wir Zantner brauchen die Heiligen nicht, aber wir dürfen nicht schnaufen davon,« sagte der Knabe mit großer Wichtigkeit.

      »Hast du mir sonst noch etwas aufzusagen, Hans?«

      »Nein, Ahnfrau.«

      »Dann geh – und merke dir's, nicht schnaufen von deinem Geheimnis!«

      »Nicht schnaufen, Ahnfrau!« –

      »Verzeih mir's Gott, aber ich – ich kann mir nicht anders helfen,« flüsterte Frau Barbara von Breuning, als ihr Enkelkind hocherhobenen Hauptes mit seinem Geheimnis aus der Thüre ging.

      »Du, Ruth?«

      »Ich, Ahnfrau.«

      »Und was willst du denn?«

      »Ich – ich gehe nach Ursensollen, Ahnfrau.«

      Die alte Frau sah scharf herüber. »Und was ist daran Besonderes?«

      »Ich – ich möchte von Euch Abschied nehmen, Ahnfrau.«

      »Abschied nehmen? Seit wann ist's denn Brauch, daß man vor einem Nachmittagsbesuche Abschied nimmt voneinander?«

      Ruth sank vor der Ahnfrau in die Kniee und küßte die schmalen, mageren Hände: »Ich kann nicht anders.«

      »Da hör' ich nu rein gar nichts,« murmelte diese und kämpfte mit dem Weinen und schnitt ein grimmiges Gesicht. »Ist's wohl schön Wetter draußen, was?«

      »Ein strahlend schöner Tag,« sagte Ruth.

      »Könnt' schöner sein, hast recht, Kind. 's ist nimmermehr schön, hier ist's nicht schön, und ich denk' mir, wenn jemand anderswohin geht, ist's auch nicht schön. 's ist nirgend auf der Erde mehr schön. Also wird's gleich sein, wo einer bleibt.«

      »Der Herr Vater ist auf der Birsch, und der armen Frau Mutter kann ich nichts sagen,« flüsterte Ruth.

      »Oft hör' ich und oft hör' ich nicht,« murmelte die Greisin.

      »Der Herr Vater –,« wollte Ruth aufs neue beginnen.

      »I, laß doch, Ruth, ist oft besser, man hat gar nichts gehört,« unterbrach sie Frau Barbara von Breuning. »Nach Ursensollen willst also? Ja, fürchtest dich denn nicht, so allein?«

      »Drunten, abseits in Stocka wartet er mit den Pferden, Ahnfrau.«

      »Einen Stab und

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