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im Vertrauen, guter Freund, man hat sich ja doch auch von allerhand gemeinem, ungelehrtem Volke zeit seines Lebens mit Fleiß abgesondert.«

      »Abgesondert,« sagte der Sekretarius und wischte ein Stäublein von seinem schwarzen Wamse.

      »Den Portner übernehmt Ihr!« befahl der Regimentsrat und setzte sich an seinen Arbeitstisch. »Und sorget nur, daß der Kerl mürbe werde, und referieret mir von Zeit zu Zeit!«

      Es ging ein Leuchten über das dunkle Antlitz des Sekretarius: »Wie der Herr Regimentsrat befiehlt!«

      »Und den Papierkorb lasset künftighin immer zur Linken von meinem Tische stellen. – Diese verfluchten Emigranten, was hat ein kurfürstlicher Regimentsrat doch Scherereien mit diesen starrköpfigen Eseln! Zwei – fünf – acht – fünfzehn Gesuche und Berichte! – Na, in Gottes Namen! – Maria Magdalena von Ebleben – fällt ihr schwer, mit leerer Hand abzuziehen – glaub's wohl. – Geml von Flischbachs Hausfrau – noch immer akatholisch, das Stück? – Eheherr bittet, mit dem Weibsbild – als dem schwachen Werkzeug – Geduld zu haben. Jawohl! – Drei kleine unerzogene Kindlein. – Thut mir leid, aber –. Schwanger. – Schwanger? Na, in Teufels – dann aber unerbittlich entweder – oder! – Sabina von der Grün – mit ihren fünf Kröten doch endlich aus dem Lande verzogen – habt Ihr's gehört, Sekretari?«

      »Verzogen!« kam's vom Erker.

      »Herannahende Winterzeit – nicht aus noch ein – glaub's wohl – na, warte! Sekretari, das werd' ich Euch gleich hinübergeben. Da schreibt Ihr dann, Landrichter habe ihr alle Einkünfte aus dem Gute zu sperren und nicht das geringste zu verabreichen.«

      »Nicht das geringste zu verabreichen, Herr Regimentsrat.«

      »Anna von Pelkoven – allesamt eingedingt in einem Wirtshaus zu Regensburg – kleine, unerzogene Würmlein – Eheherr Wolf Eitel ganz kindisch – kann's nicht ändern! – auf einer Seite gelähmt – bin kein Arzt! – Demütigstes Bitten um Lizenz ins Land auf acht Tage, um Gottes willen – jawohl, um Gottes willen! – Ist's auch Gottes Wille, daß die Brut so halsstarrig ist? – Und warum schreibt das Weibsbild nicht ›unfürgreiflich‹? Da haben wir schon ausgered't, wenn eine nicht ›unfürgreiflich‹ schreiben kann. – Nichts da, abgeschlagen! – – Wolf Achaz Pfreimder von Bruck – das Gut von seinen Voreltern etliche hundert Jahre bewohnt – schön, schön! – katholisch geworden – recht so! Aber – seine akatholische Mutter – was, das Fell wohnt noch bei ihm? – Und der altverlebte Vater schleicht sich auch oft nächtlicher Weile herein? Ei, da soll doch gleich ein heiliges Dunnerwetter –!«

      Der Herr Regimentsrat, den die Kollegen wegen seines Referates den Emigrantenvater zu nennen pflegten, bekam einen sehr roten Kopf und kritzelte in hellem Zorn auf den Bericht des Pflegers: ›Ist Befelch, daß du sein, Pfreimders, Vater und Mutter bei ihm zu sein nicht verstatten sollst.‹ – »Alter Mann, verlebter? – Ja, kann ich ihn wieder jung machen? – Moroltinger – bittet um acht Tage Lizenz – auf sein Gut. – Saget, Kriemhofen, dieser Moroltinger ist doch –?«

      »Ein Vetter vom Herrn Vizedom!« kam's aus dem Erker.

      ›Genehmigt!‹ kritzelte der Regimentsrat auf das Gesuch. Dann stand er auf, ging bedächtig zum Ofen und lehnte sich an die uralten Kacheln.

      »Was macht den guten Juristen und kurfürstlichen Diener – wißt Ihr's?«

      »Die Geschäftsgewandtheit – aber, Herr Regimentsrat, ich wollt' Eurer Meinung mit nichten vorgreifen,« kam's aus dem Erker.

      Das platzige Gesicht des Regimentsrats leuchtete in gesunder Röte unter dem ehrwürdigen, weißen Haarkranze, und er sagte gnädig: »Merkt's Euch, das Gefühl ist's, das Gefühl! Wenn ich einen Akt in die Hände kriege, zum Exempel eine Streitsache, und greif' hinein und nehm' da ein Schriftstück und dort eines – ja, das ist's eben, im Gefühl muß man's haben, in den Fingerspitzen sozusagen. Wartet nur, bekommt sie auch noch ins Gefühl, die Juristerei, in die Fingerspitzen, wartet nur!«

      Der Sekretarius stand wieder respektvoll inmitten der Stube.

      »In jedweder Rechtssache,« fuhr der Rat fort, und seine Stimme und Haltung wuchsen ins Großartige, »immer weiß ich wie ich dran bin von vornherein, und ändern kann sich meine Meinung hernach nie mehr. Und irren – irren –?«

      »Der Herr Regimentsrat irrt überhaupt niemals,« sagte der Sekretarius.

      »Wartet nur, Ihr bekommt sie auch noch in die Fingerspitzen, die Juristerei, Ihr habt das Zeug dazu!« schloß der Rat sehr gnädig.

      Der Sekretarius verbeugte sich tief und begab sich zurück in den Erker.

      ›Ein feiner Kopf,‹ murmelte der Rat und schritt an seinen Tisch; ›was hat er für gesunde Ansichten! Man muß ihn bei Gelegenheit wieder einmal etwas insinuieren – oben – insinuieren!‹ –

      Die Federn knirschten übers Papier, der Ofen that seine Schuldigkeit, und es war über alle Maßen behaglich in der vertäfelten Stube.

      *

      Am Abende dieses Tages saß Hansjörg Portner in der dunkeln Turmstube.

      ›Einsam war's ja,‹ sagte er halblaut und brach noch ein Stücklein von dem Schwarzbrote, das vor ihm auf dem Tische lag. ›Aber lange kann's ja nicht dauern. Und wenn ich nur wüßte, was sie eigentlich wollen! – Ich werde auch das noch erfahren. – Aber warum der Schurke kein Licht bringt, und ein Buch habe ich mir doch auch bestellt? – Nur irgend ein Buch! – Und wenn's der Katechismus des Canisius wäre.‹

      Er erhob sich und ging auf und ab.

      ›Eins, zwei, drei, vier, fünf – fünf Schritte lang; eins, zwei, drei – drei Schritte breit. Warum denn immer wieder zählen, Hansjörg? Du weißt es ja doch schon längst auswendig! Und du weißt, daß der Tisch wackelt, weil das rechte Bein hinten ein wenig zu kurz ist, und du weißt, daß die Wände kahl sind, ganz frisch getüncht. Wie langweilig! Im Karzer zu Altdorf stehen viele Sprüchlein geschrieben. Wenn nur an den kahlen Wänden hier auch Sprüchlein stünden! Es müssen doch Sprüchlein stehen unter der Tünche. Morgen will ich kratzen. Morgen! Morgen werden sie mich längst verhört und entlassen haben. Ich werde ihnen alles auseinandersetzen, der Oberforstmeister muß es mir auch bezeugen, daß wir mit ihm Streit und Irrung haben wegen des verdammten Waldfleckleins. Und es ist doch wohl kein Unrecht, wenn ich die Irrung persönlich mit ihm schlichten wollte? Thorheit, das Ganze ist ja nur ein Mißverständnis.

      ›Das Essen war ja nicht schlecht. Freilich, es kostet auch teures Geld. Und wenn sie erst wüßten, wie rar das Geld ist bei uns! Aber lange wird's ja nicht dauern –?

      ›Ah, der Mond! Wie das auf einmal so hübsch hell ist da herinnen. Zwanzig blaue Ringlein hat der Wasserkrug auf seinem Bauche; jetzt kann ich sie wieder ganz gut sehen.

      ›Eins, zwei, drei, vier, fünf – fünf Schritte lang – viereinhalb, vier, wenn ich große Schritte mache. Wo jetzt der Mathes ist? Pah, der wird sich schon zu helfen wissen. Und fünf Gulden muß er ja auch noch in der Tasche haben. – Immer heller wird's. Nun möchte ich gerne hinaussehen im Mondscheine! Aber es geht eben nicht, Portner. Der Kasten vor dem Fensterlein ist dazu vorhanden, daß unsereiner nicht hinaussteigen und nicht hinausgucken kann. Nur die alten Lindenkronen – richtig, man kann sie gut sehen, wie untertags.

      ›Ja, Portner, du sprichst mit dir selber? Ach, es war ein langer Tag, dieser erste Tag im Turme!

      ›Ruth, das denkst du nun auch nicht, gute, liebe Ruth! Alles, aber das nicht – gelt, Ruth?‹

      Von den Türmen der Stadt her kam Geläute.

      ›Gebetläuten,‹ murmelte Portner und setzte sich wieder an den wackeligen Tisch. ›Es sind die alten, schönen Glocken, und wenn Westwind weht, kann man sie auch in Theuern hören. – Mutter, hörst du's?

      ›Ach, wie oft sind wir zu ihr gesprungen und haben sie gefragt: Mutter hörst du's? – Die Glocke in Theuern hat einen andern Ton, er ist ein wenig blechern, fast lautet's: teng, teng. – Aber ach, so heimlich, so unsagbar

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