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die Achse schmieren, sagt die Mutter. O, ich höre sie noch: Kinder, kommt, wir wollen beten!

      ›Wenn wir einmal Kinder haben, dann wird Ruth auch sagen: Kinder, kommt, wir wollen beten! – Welcher Mann hätte nicht Stunden in seinem Leben, wo er wieder beten möchte mit seiner Mutter?‹

      ›Nun hat es ausgeläutet. Wie das noch summt und summt! Aber nein, so lange summen doch die Glocken nicht nach. Ich glaube, es summt mir nur in den Ohren; denn es ist ja furchtbar stille . . .

      ›Das Abendgebet mit der Mutter war mir lieber als das große Nachtgebet, bei dem das ganze Gesinde versammelt war. Die Verslein der Mutter weiß ich alle noch, von den langen Postillengebeten des Vaters weiß ich nichts mehr. Aber eines vergesse ich doch nie, den Fürstenspruch: "Kinder und Leute, jetzo wollen wir auch noch beten für unsern allergnädigsten Kurfürsten und Herrn!" Und dann rief der Vater einen von uns, und der betete mit lauter Stimme: "Herr Gott, himmlischer Vater, sei mit deinem starken Schutze bei unserm Landesvater, Friedricus dem Fünften, heut in dieser Nacht und allezeit, und laß uns jetzt und immerdar in Frieden wohnen unter ihm!" – Landesvater! Da war er vierzehn, fünfzehn Jahre alt, und wir Kinder dachten uns einen alten Herrn, eisgrau und gelb. Aber dem Vater machte das kein Kopfzerbrechen. Solange die Portner auf Theuern gewohnt hatten, war dieser Spruch gebetet worden – mochte der Landesvater ein Kind sein oder ein Greis.– "Und laß uns jetzt und immerdar in Frieden wohnen unter ihm!"

      ›Gott sei Dank, da rollt ein Wagen! Ob er wohl in die Regierungsgasse einbiegt? Nein, er rollt die Georgenstraße entlang. Jetzt noch einer. Und noch einer. Es wird ein Fest sein, zu dem sie fahren. Ob der Vizedom wohl auch hinkommt? Thorheit, Portner, was kümmert's dich? . . . Jawohl! Hab' ich mir's nicht gedacht? Jetzt klappern die Hufe auf den Steinen, es wird eingespannt drunten im Hofe! Wieder ein Wagen – der kommt vom Wingertshofer Thor. Ob's vielleicht der Bastian Wolf ist? Der Bastian Wolf könnt's immerhin sein . . . Jetzt fährt der Vizedom ab. Hui, wie das geht! Und Fackeln hat er auch, in den Linden huscht der glühende Schein. Wäre nicht notwendig, Herr Vizedom; steht ja der Mond am Himmel. Jetzt poltert's über die Brücke. Wenn dies und das anders wäre und dies und das nicht so, wie es just ist, dann führe Hansjörg Portner mit seiner Frau Eheliebsten zu dieser Stunde auch durchs Wingertshofer Thor!

      ›Und nun geht jemand über die Holzbrücke drunten. Es ist ein leichter Schritt. Und nun ein schwerer Schritt – hereinwärts. Wie hohl das klingt und wie dumpf und doch weithin hallt! Ei, den ganzen Tag über klingen und hallen ja die Schritte schon auf der hölzernen Brücke; aber jetzt erst kommt es dir ins Bewußtsein, weil alles um dich her so still ist, so fürchterlich still . . . Klingt und hallt es nicht auch fort und fort in unsers Herzens tiefster Tiefe, aber der Lärm des Lebens verschlingt's? . . . Hansjörg, ein böses Gewissen in diese furchtbare Stille bringen – das wäre entsetzlich. Und wer hat denn ein ganz gutes Gewissen unter uns? Keiner . . . Ich glaube, in der Hölle ist's ganz stille, und dann wacht alles auf, was ehedem geschlafen hatte . . .

      ›Der Mondschein rückt sachte über die Dielen, sachte fort und fort. Ich will mich zur Ruhe legen. Wird wohl der Lichtschein auch über mein Bett kriechen? Ich denke nicht . . . Eine solche Nacht war's Anno 1619 draußen in Zant . . .‹ Hansjörg Portner lachte. ›Ein Mompliment von der Kutter . . . Und dann habe ich so schwer geträumt – was war's doch? . . . Ach ja! Der grausige Ritt und alle die zahllosen feurigen Räder . . .‹

      Portner stand auf.

      ›Zehn Jahre, und die Räder rollen noch,‹ sagte er ganz laut. ›Aber, Hansjörg, da murmelt er und spricht wieder mit sich selber . . . Und wie lange werden sie noch rollen, die feurigen Räder, und wie lange noch wird der Rauch gen Himmel stinken? Horch, nun geht ein Mann über die Brücke! Jetzt rennt ein Junge drüber! . . . Alles ist ruhig . . . Wo läutet's denn? Ach nein, es läutet nicht, es klingt dir nur in den Ohren; totenstill ist die Nacht . . . Ob ich dieses Läuten und diese dumpfen Schritte wohl auch in den Schlaf hinein höre?

      ›O Ruth –!‹

      *

      Vier Wochen waren vergangen. Von den Türmen der Stadt klangen die Mittagsglocken, über den Dächern in der stillen, sonnigen Luft ruhte als ein leichter, grauer Schleier der Rauch, und durch die Gassen strebten die Menschen zum Essen nach Hause.

      Auch den kurfürstlichen Regimentsräten kam die Erinnerung an ihren irdischen Ursprung. Stühle wurden gerückt, Thüren öffneten und schlossen sich, Schlüssel drehten sich rasselnd in den Schlössern, Schritte hallten in den Korridoren, Treppen knarrten, und würdevoll schoben sie sich einzeln, zu zweien oder dreien durch die Regierungsgasse zum heimatlichen Herde.

      Allgewaltige Natur, die sogar einem Regimentsrate nach gewissen Zeitabschnitten zum Bewußtsein zu bringen vermag, daß auch er sozusagen ein Mensch ist und des Brotes bedarf! –

      In der Amtsstube des alten Rates saß der Sekretarius von Kriemhofen und schrieb die letzten Zeilen eines Referates. Dann erhob auch er sich, vertauschte den Schreibrock mit dem alamodischen Wamse und setzte den Federhut aufs Haupt. Aber noch einmal trat er an sein Pult, nahm ein Schriftstück, kniff die Lippen ein und las:

      ». . . so hat mir heute um acht Uhr der wohledle und gestrenge Herr Sekretär Kriemhofen den kurfürstlichen Regimentsbefehl eröffnet, ich solle die Zantnerin wieder anher einholen lassen. Weil dann solches, das bezeuge ich mit Gott dem Gerechten und Wahrhaftigen, ob mir auch des Lebens Strafe drauf stünde, wider ihren Willen zu leisten in Ewigkeit unmöglich ist, also will ich Euer Gnaden und Herren hiermit durch die Barmherzigkeit Gottes um ein gnädig Urteil und Entlassung unterthänigst angerufen haben und bezeuge nochmals mit Gott im Himmel, daß mir's unmöglich, sie anher zu bringen . . .«

      ›Er verlegt sich aufs Bitten und möchte doch platzen vor Trotz,‹ sagte Kriemhofen und ging mit finsterem Gesicht aus der Stube. ›Und wenn er pfiffe, so käme sie; denn sie hat ihren Affen gefressen an ihm.‹

      Langsam und würdevoll schritt er die Regierungsgasse hinunter und bog in die Hauptstraße.

      ›Und du weißt, Kriemhofen, daß das Mädel verrückt ist auf den einen –‹

      »Gehorsamster Diener, Herr Rentmeister; gesegnete Mahlzeit!«

      »Danke, desgleichen!«

      ›– und trotzdem möchtest du's erzwingen? – Du Narr!‹

      Er trat nachdenklich in sein Haus, stieg die finsteren Treppen hinauf, durchschritt den Vorplatz der Wohnung im ersten Stockwerke und ging zum zweiten Stockwerke empor.

      Mitten auf der Stiege blieb er stehen, riß den Hut vom Kopfe und fuhr sich mit zitternden Fingern durch das Haar: ›Und wenn er und ich und sie zu Grunde gehen müssen – kann ich sie nicht haben, so muß ich meine Rache haben.‹

      Mutter und Sohn saßen einander gegenüber am gedeckten Tische.

      »Nur noch das Stücklein Fleisch, Ignaz!« bat die alte Frau, spießte eines an die Gabel und legte es mit zitternder Hand auf seinen Teller.

      Der Sekretär schob den Teller zurück und schwieg.

      »Ignaz, du bist krank. Ich kann nimmer schweigen. Ignaz, so rede doch!«

      »Laßt mich, Mutter!«

      »Ignaz, du bist krank – diese heiße Hand – Ignaz –!« Sie brach in Thränen aus, streichelte die Hand ihres Sohnes und schluchzte: »Du hast Fieber, und ich merke es schon lange.«

      »Ja, Fieber!« lachte er hart und bitter. »Die Mutter hat das Rechte getroffen.«

      »O Ignaz, warum sind wir auch in diese Stadt gekommen? Ich hab's ja gerne alles getragen bis heute, hab' nicht gemurrt, daß ich fremd bin und mich nimmer eingewöhnen kann. Es ist ja doch alles zu seinem Glücke, hab' ich mir vorgeredet.«

      »Glück!« sagte der Sekretär und fuhr stöhnend durch seine schwarzen Haare, und aus den dunkeln Augen brachen glitzernde Thränen und rannen über die bleichen Wangen.

      »Und jetzt bist du krank und unglücklich, Ignaz. Sag, ist dir im Amte etwas Widriges begegnet?«

      »Fieber hab' ich und darf's nicht merken lassen, Mutter!«

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