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      ›Es geht nicht in einer Linie fort – leise, Hansjörg, leise! – es ist nicht wahr – große Wirbel sind's, langsame, träge Wirbel, und jeder Wirbel ist ein Tag, und jeder Tag ein Kerbschnitt im Holz und im Leben, und einer wie der andre – wie viele? Einunddreißig doch! Aber ich muß zählen – leise, Hansjörg, leise!‹

      Er fuhr mit dem Daumennagel langsam über die eingekerbte Tischkante, und einunddreißigmal ging es wie leises Knistern durch die Zelle – zweiunddreißigmal!

      ›Zweiunddreißig?‹ flüsterte Portner und begann von neuem.

      ›Es ist richtig – zweiunddreißig! – Wenn ein Kind zweiunddreißig Tage alt ist, so sagt man, es sei aus dem Gröbsten; wenn nun aber ein Mensch zweiunddreißig Tage lang nicht aus den Kleidern gekommen ist? Leise, Hansjörg, leise!‹

      Und wieder und wieder, immer schneller, immer schneller ließ er den Daumennagel über die Kerbschnitte gleiten, daß es klang wie scharfes Geprassel. ›Wie geschwinde so – du kannst's gar nimmer zählen. Und doch ist jeder Schnitt ein Tag gewesen. Leise, Hansjörg, leise! Wie lange mußt du wohl diese hohlklingenden Schritte da drunten noch – pst, Hansjörg, lustig, Hansjörg – jetzt kommt er wieder geschlichen und horcht – lustig, Hansjörg!‹

      Und er ging mit festen Schritten auf und ab und pfiff ein Schelmenlied. Dann hub er an mit lauter Stimme zu singen:

      Drum genieße, was die Stunde

       Dir an reinem Glück beschert!

       Weißt du denn, du Eintagsfliege,

       Ob es jemals wiederkehrt?

      Und lachend sagte er:

      ›Wenn der Mensch niemand hat, mit dem er reden kann, so redet er mit sich selber. Was ist dabei verwunderlich? Und eigentlich, Portner, bist du mit einem ganz erträglichen Gesellen zusammengesperrt. Was wär's für eine Qual, wenn du liegen müßtest unter allerhand Malefizgesindel! Im übrigen, sie werden dich in Bälde entlassen. Und jetzt will ich schlafen gehen und mich der Stille freuen.‹

      Er entledigte sich mit starkem Geräusche seiner Stiefel und lauschte dabei angestrengt nach der Thüre.

      ›Diesmal sind's ihrer zwei gewesen,‹ flüsterte er und setzte sich auf den Rand seines Lagers. ›Herr Gott im Himmel, wenn es nur einmal seine Wirkung thäte! Nur heraus, nur heraus da – und wenn sie mich unter Diebe und Mörder legten!‹

      Er streckte sich und murmelte:

      ›Horch, nun geht ein Mann über die Brücke – wie das hohl klingt und dumpf und doch weithin hallt! – Ach, wollt Ihr denn wünschen, daß ich, da Gott gnädig vorsei, in Verzweiflung sollte geraten?‹

      Die Regierungsgasse hinunter ging ein Mann. Der hatte den großen Hut ins Gesicht gedrückt und trug sein Haupt gesenkt.

      In der Mitte des Regierungsgebäudes, hart unter dem schönen Erker, wandte er sich und sah zum Schlosse zurück.

      Finster ragte der massige Fuchssteiner neben der Brücke in die Nacht empor.

      Den Mann schüttelte ein Schauer, daß seine Zähne aufeinander schlugen:

      ›Kriemhofen, die Mutter hat recht, du bist – krank! Was Wunder? Mich frißt der Haß, wenn ich die Stimme höre. Wenn aber sie diese – Stimme hörte? Sie käme dennoch – geritten und – geflogen. Er sagt – nein. Er – lügt. Es ist – ein abgekartet – Spiel. Aber warte – Portner – nun wirst du – unter das gemeine Gesindel gestoßen! Und – dann –! Ja dann – was dann?‹

      Auf einmal warf er den Kopf zurück, seine Augen öffneten sich weit, und regungslos stierte er hinüber zum finsteren Turme:

      ›Helf', was helfen mag – so müßt' es gehen!‹

      *

      Vom Turme des heiligen Martin klangen acht Schläge hinaus in die Nacht, und der Regen klatschte gußweise herab auf die Dächer.

      Hansjörgs Wunsch hatte sich erfüllt: er saß in der Malefikantenstube des Rathauses, und an seinem Tische saß ein Strolch.

      »Müßt eben vorlieb nehmen mit mir, Junker,« sagte der Strolch und blickte begehrlich auf die Speisereste. »Es ist gar still in der Herberge der Wohlweisen und Fürsichtigen. Gefällt's Euch nicht hierinnen?«

      Portner schwieg.

      »Seht, Junker, das ist eine närrische Welt,« begann der Strolch aufs neue. »Was für den einen die größte Wohlthat ist, das bedeutet für den andern einen großen Jammer und Abscheu. Und für mich ist diese Stube eine Wohlthat, von wegen der Wärme. Wenn ich nur nicht so lachbar hungrig wäre!«

      »Iß!« befahl Portner und schob die Speisereste hinüber.

      »O Herr,« sagte der Stelzfuß und griff gierig zu, »vergelt's Gott, möcht' ich wünschen, wenn's kein Blödsinn wär'!«

      »Warum sollte das ein Blödsinn sein?«

      »Weil's dem Herrn im Himmel wohl recht ein Ding sein mag, ob Ihr mir Brot und Käse schenkt, oder ob Ihr beides aus dem Fenster in den Kot werfet. – Wenn's überhaupt einen Herrn da droben giebt,« setzte er hinzu und lachte kurz auf.

      Portner erhob sich und ging langsam in die andre Ecke der Stube. ›Wenn's überhaupt einen Herrn da droben giebt,‹ murmelte er; ›ob ich wohl auch so widerlich ausgesehen habe gestern – so gottverlassen widerlich?‹

      »Bist du immer so gottlos gewesen, du mit deinem Stelzfuße?«

      Der andre kaute und schluckte gemächlich und blinzelte behaglich herüber. »Gottlos? Seht, Junker, das ist ein Ding von eigner Bewandtnis. Immer, wenn ich hungrig bin, ist mir auch gottlos zu Mute. Habe ich zu essen, dann schlägt meine Meinung um. Und jetzt gerade bin ich wieder auf dem besten Wege, fromm zu werden – und das ist Eure Schuld. Ich schätze, meine Gottesfurcht hat ihren Sitz im Magen. Und, Herr, ich kann Euch versichern, bei den meisten Menschen sitzt sie im Magen.«

      »Pfui!« sagte Portner.

      »Pfui, Herr? Sagt an, Herr, habt Ihr allzeit die Hände gefaltet in der Kälte und in der Hitze?«

      Portner schwieg. Dann fragte er:

      »Hast du, armer Mensch, keine Mutter gehabt?«

      »Ist eine überflüssige Frage,« rief der Stelzfuß und versuchte zu lachen. Doch seine Augen blickten zornig.

      »Und hat sie niemals gebetet mit dir?«

      »Ist auch eine überflüssige Frage,« rief der Stelzfuß drohend.

      »Du bist nicht hinter der Hecke geboren, Mann!« sagte Portner und kam näher an den Tisch heran.

      »Was kümmert's Euch?« fragte der Strolch und wandte sein struppiges Gesicht ab.

      »Und es ist dir auch nicht an der Wiege gesungen –«

      »Herr,« sagte der Landstreicher und stieß den Stelzfuß hart auf die Dielen, »laßt mir meinen Vater und meine Mutter schlafen in Frieden, und laßt mir meine Wiege stehen, wo sie gestanden ist. Jeder Mensch hat etwas, woran er keinen rühren läßt – auch ein Landstreicher.«

      »Das unterschreibe ich,« antwortete Hansjörg und setzte sich an den Tisch; »aber es könnte ja auch einer auf meinem Stuhle sitzen, der nicht rühren ließe an unsern Herrgott – könnte, sage ich.«

      »O Herr,« meinte der andre mit trübem Lächeln, »wer von uns Zwergen vermöchte auch zu rühren an ihn?«

      Betroffen sah Portner auf:

      »Und wie bist du in diese Lumpen gekommen?«

      »Und wie seid Ihr an einen Tisch gekommen mit dem Strolche?«

      Hansjörg schwieg.

      Der Landstreicher lachte fast unhörbar:

      »Sind alles überflüssige Fragen. Woher? Wohin? Allezeit überflüssig, zumal aber heutzutage. Aus einer goldbeschlagenen

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