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Ich weiß es wirklich nicht! – Aber sie haben mir's ja fein säuberlich gegeben in Abschrift. Ich weiß –‹

      Er stapfte weiter im flimmernden Mondlichte: ›– es wirklich nicht!‹

      Aus dem Schatten eines halbzerfallenen Gemäuers trat eine dunkle Gestalt und streckte die Hand aus: »Ein armer Gartbruder bittet um Wegzehrung.«

      Portners Hand fuhr nach der Degenseite und sank herab. Es war, als erwachte er, und es ging ihm durchs Gehirn: ›In der Nacht auf offener Heerstraße ohne Waffe?‹

      Er bückte sich und hob einen Feldstein aus dem Kote: »Pack dich!«

      Der Strolch musterte die riesige Gestalt noch mit einem geschwinden Blicke; dann verzog er sich rückwärts hinter das Gemäuer.

      Mit dem Feldstein in der Rechten stapfte Portner fürbaß.

      Nach einer Weile blieb er wieder stehen, warf den Stein im Bogen auf die Wiese und griff nach einem Zaunpfahl, der am Wege lag.

      Doch während er ihn prüfend in den Händen wog, lachte er hart auf: ›Und was willst du denn Kostbares verteidigen, Hansjörg? Dein Leben – sonst nichts!‹

      ›Sonst nichts,‹ murmelte er und schritt fürbaß. ›Nein, sonst nichts – aber dem nächsten Strolche geb' ich's denn doch nicht.‹

      Er stand und sah um. In der Ferne hob sich das dunkle Gemäuer aus der Wiese neben der Straße, und nun war alles totenstille – nicht einmal der Hund bellte. Totenstille – nur das Sausen in den Ohren und nur das starke Pochen in der Brust bis an den Hals herauf.

      ›Dein Leben, sonst nichts,‹ murmelte der Mann und ging weiter im blinkenden Mondlichte.

      Zur Rechten und Linken ragten die Waldhügel wie immer, und wie immer wand sich der Fluß durchs Wiesenthal. Ins Antlitz der Natur graben die Jahrhunderte kaum eine Linie; des Menschen Antlitz kann über Nacht zerfallen.

      ›Es ist so schwer, so schwer,‹ stöhnte Portner und ging weiter und schwieg. Und es war nichts mehr zu hören als das Patschen seiner Sohlen im Kote der Straße.

      Stundenlang stapfte er fort wie ein Lasttier, das nicht fragt, wohin der Treiber es führe, stundenlang; und seine Gedanken verwirrten sich. Immer geschwinder wurden seine Schritte, immer heißer sein Atem.

      Da ging der Weg noch einmal kurz bergan und senkte sich dann jählings zu Thal.

      Portner stand stille und wischte mit der zitternden Hand über die schweißtriefende Stirne. Dann sah er wie im Traume hinunter und erblickte die Heimat.

      Ach, wie lag sie so friedlich da im silbernen Lichte des Mondes: Der stille Fluß, als wäre er ein erstarrter Glasstrom, so unbewegt; die langgestreckten, grauen Mauern, die spitzen Türmchen, die das Thal sperrten; der ragende Kirchturm; die hohen Erlen am Ufer und der dunkle Wald. Die Heimat!

      Da ließ Hansjörg Portner den Pfahl auf die Straße sinken, hob die Hände zu den flimmernden Sternen und das thränenlose Angesicht und schrie: ›Warum, Herr?‹

      Aber es blieb alles ganz stille.

      Und Portner bückte sich nach seiner Waffe und schlich weiter, den Hohlweg hinunter ins Dorf.

      Auf der Holzbrücke über dem Flusse blieb er stehen und lehnte sich an das Geländer.

      Die Wellen murmelten zu seinen Füßen, das Mondlicht blinkte auf den Wassern, die Wellen zogen in leisen Wirbeln, und es ergriff ihn eine namenlose Sehnsucht.

      Die Wellen murmelten, und seine Lippen bewegten sich flüsternd:

      ›Mutter – Mutter – silberne Kelche und Ketten und Spangen schmieden sie, Mutter, die Zwerge. Und – Mutter – wenn ein Zwerg stirbt – Mutter, dann wird er mit seinen Sonntagskleidern angethan – Mutter, hast du mir doch die Sonntagskleider hingelegt ans Bett? – Mutter, dann fahr' auch ich in meinem gläsernen Sarge hinunter, immerfort hinunter, und weiß nichts mehr –

      ›Mutter!‹ Hansjörg richtete sich auf und sagte mit verzerrtem Antlitz und lachendem Munde: ›Nun ist mir's offenbar, warum sie lachen, wenn einer hinabfährt.‹ –

      Er schwankte den Weg entlang zur Steinbrücke des Herrenhauses und murmelte: ›Sie haben recht – gar, gar nichts mehr wissen – das ist die selige Insel.‹

      Er stand stille und sah den Steinhirsch an, der zerbrochen auf der Brücke lag. Er sah ihn an und wußte es nicht. ›Gar, gar nichts mehr, Mutter!‹ Es klang wie Jauchzen. –

      Im Erdgeschoß des Herrenhauses blinkte ein Licht. Hansjörg dachte nichts dabei. Er ging mit schweren Schritten durch das raschelnde, rauschende Laub stracks an die hohe Thüre, hob den Klopfer und ließ ihn auf den Metallknopf krachen, daß es dumpf im Hause wiederhallte.

      Der Schieber des Guckloches wurde zurückgestoßen.

      »Wer da?«

      »Auf!« befahl der Herr und wußte nicht, wem er befahl, und dachte nichts.

      »Ihr, Herr?« schrie sein Reitknecht und spähte ihm beim flackernden Scheine des Kienspans in das verstörte Gesicht. »Die Lumpen, die verfluchten, die Banditen und Gartbrüder, haben sie Euch freigelassen?«

      Portner sprach kein Wort.

      »Gelt, Herr, da schaut Ihr? Denkt, wie kommt doch der Mathes nach Theuern?« sagte der Knecht und schloß die Thüre.

      »Hast du meine Pistolen?« fragte Portner, und es klang, als würgte ihn ein Brocken im Schlunde.

      »Ei freilich, Herr!« antwortete der Knecht mit selbstgefälligem Lächeln. »Die Pistolen, die Rosse, das Geld. Ha, das Geld – genug Geld, Herr, vier Gulden!«

      Portner stierte vor sich hin.

      »Hört Ihr, Herr? Zu dumm ist's mir geworden da drinnen in der Stadt. Sieben Tag', acht Tag' bin ich in der Herberg gelegen, dann hab' ich zu mir gesagt: Mathes, hab' ich gesagt, das frißt unser Geld, und das thut kein gut; ich wüßt' wohl einen Ort, wo der Stall nix kostet und das Lager auch nix, und die Lebsucht könnt' einer auch leichter befriedigen –.«

      Der Knecht machte ein pfiffiges Gesicht und folgte seinem Herrn, der in die kleine Stube getreten war.

      »Hübsch warm da herinnen, Herr – nicht?« fragte er und steckte den Span in den Ring. »Holz genug, Herr, und Essen genug.«

      Hansjörg stand vor dem wackeligen Tische.

      »Gerade bin ich überm Putzen, Herr,« sagte der Knecht, nahm eine von den großen Reiterpistolen und reichte sie dem Junker.

      Hansjörg griff nach der Waffe, und seine Blicke fuhren suchend über das Gerümpel der Stube.

      »Hier!« sagte Mathes, der kein Auge von seinem Herrn wandte, und reichte ihm das Pulverhorn.

      Hansjörg begann zu laden.

      »Und da hab' ich mir so meine Gedanken gemacht,« fuhr der Knecht mit selbstgefälligem Schmunzeln fort, »und wie ich so denk' und denk' und denk' – aber, Herr, Ihr schüttet ja den ganzen Lauf mit Pulver voll, es muß ihn zerreißen – so, nix für ungut, jetzt langt's. Also, wie ich so denk', da kommt's mir: Was ist denn schuld daran? Und ich hab' mir weiter gedenkt, wenn du jetzt katholisch wärst, Mathes, da könntest deinem Herrn besser dienen als so. Und das hat mich halt hernach nimmer ausgelassen, Herr, und – gedacht, gethan – –«

      Der Knecht hielt inne und sah scheu vor sich hin, als warte er auf einen Befehl seines Junkers. Der aber stand und sah mit leeren Augen in eine finstere Ecke und hatte die Pistole in der Rechten.

      Da kratzte sich der Knecht hinter dem Ohr, nahm einen Anlauf und stieß heraus: »Nix für ungut, dann bin ich zum Pater geloffen, hab' ihn gefragt, Hochwürden, wenn – na, dürft' ich dann in Theuern wohnen, ab- und zureiten? – Könnte dich kein Mensch dran hindern, mein Sohn, hat er geantwortet. Und hernach –« der Knecht polterte alles gar heraus – »hab' ich mir sozusagen die Augen und die Ohren und die Nasen zugehalten und hab' mich akimmediert, oder wie sie's heißen, und bin gen Theuern

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