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»Aber sagt, habt Ihr eigentlich heute meinen Kollegen Sturm in der Messe gesehen? Es fällt mir schon seit acht Tagen auf, daß sein Platz in der Kirche –«

      »Der Herr Vizedom!« raunte der Sekretarius, und die beiden traten mit gezogenen Hüten zur Seite.

      Der Vizedom griff schweigend an den Hut und ging vorüber. Ganz laut aber sagte der Regimentsrat: »Seit acht Tagen habe ich den Kollegen Sturm nicht mehr in der Messe gesehen!«

      »Nicht mehr in der Messe gesehen,« murmelte Kriemhofen.

      »Das hat er gehört,« triumphierte der Regimentsrat und wies mit dem Daumen nach dem Vizedom, der in der Dämmerung des nebeligen Morgens verschwand; »dem Sturm hab' ich's eingebrockt! – Geht ja auch stracks gegen die allerhöchste Willensmeinung,« fuhr er eifrig fort und stapfte fürbaß. »Wißt Ihr eigentlich, wie mir Seine Kurfürstliche Durchlaucht in ihrem brennenden Eifer für die alleinseligmachende Religion vorkommt? Ich will's Euch sagen: Er ist in unsrer Zeit das größte, alleweil wider die Ketzer geladene Stück, das der himmlische Konstabel –« der Regimentsrat lüpfte den Hut – »also regiert, daß es im Losbrennen auf seine Feinde mit großem Knall und Wiederhall einen unaufhörlichen Schrecken verursacht.«

      »Einen unaufhörlichen Schrecken,« sagte Kriemhofen, und nun bogen die beiden in die Regierungsgasse ein.

      »Wenn das heilige römische Reich von Ungarn bis ans Nordmeer und von Welschland bis ins Ordensland noch vor wenigen Jahren durch die Ketzerei anzusehen war wie eine vollgesudelte Schultafel, so wird jetzt sachte die Tafel reingewaschen von einer Ecke zur andern, und die freundlichen Patres können die alleinseligmachende Lehre daraufzeichnen in seinen Linien und Ornamenten.«

      »Und Ornamenten,« wiederholte Kriemhofen.

      »Der große Schwamm fährt unwiderstehlich darüber,« sagte der Regimentsrat, bog ins Thor des Regierungsgebäudes und klopfte mit Schnauben und Pusten den Schnee von den Stiefeln. »Was ist noch übrig?« fragte er. »In den kaiserlichen Erblanden ist die Ketzerei im Blute ersoffen, die Böhmen kuschen, das Fürstentum der Oberpfalz ist katholisch.« – Er wandte sich auf der untersten Treppe und sah den Sekretarius herausfordernd an: »Oder nicht?«

      »Bis auf etliche halsstarrige Landsassen,« antwortete Kriemhofen.

      »Die am Hungertuche nagen und im Elend sitzen,« sagte der Regimentsrat und stieg die Treppe empor. »Und, Kollega, immer wieder muß ich's betonen – das größte Kunststück unsrer begnadeten Zeit ist doch das Restitutionsedikt. Das ist der Schwamm, Kriemhofen.«

      »Das ist der Schwamm, Herr Regimentsrat.«

      »Und denkt an mich, über Jahr und Tag kann ihnen auch der Teufel nimmer helfen, den Ketzern.«

      »Den Ketzern.«

      »Behaglich warm, Kriemhofen,« sagte der alte Herr und schritt über die Schwelle der vertäfelten Stube. »Doch eine Wohlthat Gottes, Kollega, solch warme Stube!«

      *

      Lange Zeit war nichts zu hören in der vertäfelten Stube als das Knistern der Federn und das tiefe, beschwerliche Atmen des alten Herrn.

      Dann erhob sich Kriemhofen in seinem Erker, goß das Streupulver über die nasse Schrift und trat mit seiner Arbeit hinter den Regimentsrat.

      »Na, Kriemhofen, fertig?« sagte der alte Herr, zog sein Taschentuch und schneuzte sich vernehmlich. »Na, Kollega, laßt einmal sehen!«

      »Eine böse Rechnung, Euer Gnaden,« meinte Kriemhofen und gab ihm den Bogen. »Noch immer an die hundert Emigranten vom Adel ohne die Weiber und Kinder.«

      Der Rat lehnte sich zurück, rieb sein Kinn und überlas das lange Verzeichnis. Dann rückte er den Stuhl, erhob sich und ging auf und ab: »Hm – das wird ein böser Bericht an Seine Durchlaucht – hm! Genau die Halbscheid! Offen gestanden, ich habe gerechnet, es würden sich im Laufe der Zeit die meisten von den halsstarrigen Kerlen eines bessern besinnen. Habe mich geirrt.«

      »Wer kann von irren reden?« sagte Kriemhofen. »Was jetzt nicht ist, kann bis zum Frühling werden. Der Winter steht vor der Thür, Herr Regimentsrat. Bar Geld ist rar. Und nun sitzen sie mit hungrigen Mäulern in den Städten – in Regensburg, in Nürnberg, wo's alle Tage teurer wird. Da kann manch einer zur Vernunft kommen. Und was ist's denn bei den meisten unter ihnen? Warum haben sie die Heimat verlassen? Aus Trotz, Herr Regimentsrat.«

      »Aus Trotz?« murmelte der alte Herr und schüttelte bedächtig das kahle Haupt. »Bei dem und jenem kann es Trotz sein, aber bei den meisten von ihnen ist's doch etwas andres, Kollega. Habe schon oft darüber nachgedacht – es ist doch noch etwas andres dabei.«

      Der Regimentsrat stand inmitten der Stube und machte ein Gesicht, als sollte er einen Bericht abfassen über die Ursachen der Welterschaffung und könnte keinen richtigen Anfang finden. In Unterwürfigkeit stand Kriemhofen vor seinem Chef und murmelte gewohnheitsmäßig: »Doch noch etwas andres dabei.«

      Da klang ein kurzes, schlagähnliches Pochen von der Thüre her, und der Vizedom stand auf der Schwelle.

      Er hüstelte und schloß die Thüre. In Unterwürfigkeit stand der Sekretarius, in tiefster Unterwürfigkeit stand der Regimentsrat.

      »Den Akt Hansjörg Portner brauche ich!«

      »Hansjörg Portner? Auf der Stelle! Kriemhofen, habt Ihr den Akt – nein? Auf meinem Tische sagt Ihr? Um Verzeihung, Gnaden Herr Vizedom – gleich! Ein Haufen Akten – o, diese Emigranten. Na, helft mir doch, Kriemhofen! O, diese Emigranten, Euer Gnaden! – Noch nicht, Kriemhofen?«

      »Habe keine Eile,« meinte der Vizedom und wandte den Blick nicht vom Sekretarius, der totenbleich, mit zitternden Händen in dem Aktenstoße wühlte. »Zeit lassen!«

      »Hier ist der Akt, Euer Gnaden!« sagte Kriemhofen und überreichte das kleine Bündel dem Hochgebietenden.

      Der warf einen Blick auf den Umschlag und gab den Akt zurück: »Sebastian Wolf Portners auf Haselmühle Konversion,« bemerkte er hüstelnd und fixierte den Sekretarius.

      »Bitte tausendmal um Vergebung, habe mich vergriffen,« murmelte Kriemhofen. »Er muß bei mir im Erker sein.«

      Und er ging mit schleppenden Schritten zum Erker.

      »Heda, ist Euch nicht wohl?« fragte der Vizedom und ging auch zum Erker.

      Kriemhofen wandte sich und sagte mit bebender Stimme: »Schon seit etlichen Tagen etwas unpaß, Euer Gnaden. Der Herr Regimentsrat kann's mir bezeugen.«

      »Ein ganz außerordentlich eifriger Beamter, Euer Gnaden,« dienerte der alte Herr und kam händereibend heran. »Von ganz vorzüglichem Eifer beseelt, arbeitet mit großem Erfolge in der Emigrantensache –«

      »Bedarf des Zeugnisses nicht,« sagte der Hochgebietende und würdigte den Regimentsrat keines Blickes. »Dieser Kriemhofen sieht sehr übel aus –«

      »Nicht von Bedeutung, Euer Gnaden,« murmelte der Sekretarius.

      »Dieser Kriemhofen,« sagte der Vizedom und sah drohend auf das bleiche Gesicht des andern, »dieser Kriemhofen sieht so übel aus« – er hielt einen Augenblick inne –, »so übel wie das böse Gewissen,« vollendete er mit schneidender Betonung.

      »Euer Gnaden!« murmelte Kriemhofen, wurde aschgrau und schwankte.

      »Den Akt Hansjörg Portner will ich!« befahl der Vizedom.

      »Hier, Euer Gnaden!« sagte der Sekretarius, öffnete ein Fach an seinem Pulte und nahm den dicken Akt heraus. »Hansjörg Portners Emigration –«

      »– und Gefangennahme,« las der Vizedom vom Umschlage. »Der Akt scheint Euch ja besonders am Herzen zu liegen, Kriemhofen?«

      Kriemhofen schwieg.

      Der Vizedom trat an den Arbeitstisch des Regimentsrates, der sprachlos beiseite stand und nun hinter dem Rücken des Hochgebietenden fragend und kopfschüttelnd nach dem Sekretarius schielte.

      Der aber stand aschgrau, mit zusammengekniffenen

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