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gelauert und gelauert, ob etwan eine Veränderung zu verspüren wäre; aber es ist nix, rein nix zu verspüren gewesen, und ich bin der alte wie vorher.«

      Portner bewegte sich und öffnete die Lippen: »Ich will nun schlafen gehen.«

      »Aber, Herr, Ihr müßt doch essen! Essen ist vorhanden genug. Und hernach richt' ich Euch das Lager da herinnen in der warmen Stuben.«

      Portner schwieg.

      »Und dann hab' ich mir auch so gedenkt und gedenkt und gedenkt,« fuhr der Knecht fort, »plagen und schinden thun sie einen, ja, sperren einen sogar ins Loch – und warum? Und wär' ja doch so was gar keine große Veränderung, Herr.«

      »Gar keine große Veränderung,« murmelte Portner.

      »Wer merkt den einen unter den Tausend und Tausend?«

      »Wer vermißt ihn?« fragte Portner.

      »Und wär' doch alles um so viel leichter, wenn's geschehen wär'.«

      »Um so viel leichter, wenn's geschehen wär'!« murmelte Portner.

      Dann raffte er sich zusammen und ging mit seiner Pistole zur Thüre.

      »Ich will Euch leuchten Herr!« sagte der Knecht ängstlich. »Ihr seid so sonderbar.«

      »Du bleibst!« befahl Portner und schloß die Thüre hinter sich.

      Seine Schritte hallten im Hausflur, und langsam ging er die Treppen hinan im mondhellen Stiegenturme.

      Dann stand er in der öden Wohnstube und verriegelte die Thüre.

      Seine Blicke irrten von einer kahlen Ecke zur andern.

      »Setzen!« murmelte er. Doch es war kein Stuhl, keine Bank in dem kalten, verlassenen Raume.

      Portner wandte sich und wollte zur Ofenbank. Doch der große Kachelofen war zusammengefallen, und das Bankbrett starrte schräg hervor aus seinen Trümmern.

      Hansjörg stand inmitten der Stube und spannte den Hahn der Pistole, fuhr mit dem Zeigefinger prüfend über den Feuerstein und schüttete Pulver aufs Pfännlein.

      Durch die zerbrochenen Fenster ging ein Luftzug; die uralten Linden vor dem Hause rauschten und streuten ihr totes Laub zur Erde.

      Portner preßte die Zähne aufeinander und hob die Waffe.

      Da brach der Mond aus den Wolken, und wie eine Flammenschrift leuchteten die Worte, die er an jenem kalten Wintertage mit Rötel auf die weiße Wand geschrieben hatte, gerade vor seinen Augen:

      »Wenn dich alles verläßt, ist's leicht, das Leben verlassen, –

       Wahrhaft mutig ist nur, wer es zu tragen vermag.«

      ›Leicht?‹ murmelte Portner, ließ die Waffe sinken und fuhr über die kalte Stirne.

      Ein Schauer packte und schüttelte ihn. ›Ja, leicht!‹ stieß er hervor. ›Heiliger Gott!‹ –

      Auf der Stiege knarrte ein Brett, und ein tastender Schritt kam näher und näher.

      Hansjörg Portner wandte sich und ging zur Thüre und schob den Riegel zurück.

      »Herr!« sagte der Knecht und drückte die Klinke nieder.

      »Was willst?« fragte Hansjörg und öffnete die Thüre.

      »Gott sei's gedankt, Herr!« sagte der Knecht und blickte scheu nach der Pistole. »Da seid Ihr ja, Herr! Wollt Ihr nit herunterkommen, Herr? Ihr habt noch nix – – Herr, habt Ihr's gehört?« flüsterte er angstvoll und packte den Junker am Arme. »Hört Ihr's? Da wieder! So schreit kein Mensch, Herr!«

      Hansjörg lief an ein Fenster und lauschte. Da – wieder! Von der Flußbrücke kam's, klagend, hilfeheischend, und ging in ein Röcheln über. Warum durchschauerte ihn der Klang dieser Stimme?

      Er stürzte an die Thüre, doch der Knecht vertrat ihm den Weg. »Nit, Herr, nit, Herr – so schreit kein Mensch!« Und er hielt ihn am Arme zurück.

      Hansjörg stieß ihn zur Seite und rannte hinaus zur Treppe und hinunter. Hart hinter ihm der Knecht: »Nein, Herr, laßt Euch nit verführen – so schreit kein Mensch – der Hoimann ist's – haltet ein, Herr!«

      Hansjörg hob den Riegel von der Hausthüre, doch der Knecht klammerte sich an ihn: »Nit, Herr! Horcht! Hört Ihr's?«

      »He–helft, he–helft!« kam es stöhnend aus der Nähe, von den Linden oder von der Steinbrücke her.

      Hansjörg stieß den Knecht von sich und öffnete die Thüre.

      »Herr,« wimmerte dieser und versuchte krampfhaft, seinen Junker am Arme zurückzuhalten; »da steht er, der Ries' mit dem großen Scheibenhut, und seht nur das weiße Gesicht und das Bündel auf dem Arm! – Seht!« schrie er auf und zerrte an seinem Herrn, »seht, wie der Aermel im Winde flattert, es ist der Einarm!«

      Hansjörg riß sich los, der Knecht stolperte und schlug zur Erde.

      Mit ein paar Sätzen war Hansjörg an der Brücke und bei dem Manne, der am Geländer lehnte.

      »Schau nur, wie schändlich ihm das Köpflein eingeschlagen ist, Hansjörg!« sagte der Fremde und starrte auf das tote, blutbefleckte Kind in seinem Arme. »Halt mich!«

      »Wolfheinz!« schrie Hansjörg und ließ die Pistole fallen und fing den Wankenden und das tote Kind in seinen Armen auf.

      »Herr Jesus,« murmelte der Knecht und kam mißtrauisch näher, »das ist ja der Junker?«

      »Anpacken!« befahl Hansjörg, nahm die kleine Leiche in den einen Arm, umschlang mit dem andern den Halbbewußtlosen und schleppte und hob ihn mit dem Knechte ins Haus.

      Der Heimgekehrte ruhte auf dem Lager des Knechtes.

      »Gestochen,« sagte Hansjörg und schnitt die blutgetränkte Hose auf. »Da ist der Stich – geschwinde dein Halstuch – heiliger Gott, es ist zu spät – es geht nicht, ich kann's nicht abbinden – an der Stelle geht's nicht.«

      »Wie das rieselt!« flüsterte der Knecht, und murmelte:

      »Christus is in Bethlehem geboren,

       Gott Vater, Sohn und heiliger Geist,

       Und in Jerusalem gestorben,

       Gott Vater, Sohn und heiliger Geist.

       Auf unserm Herrgott sei'm Grab

       Wachsen drei Rösela –

       Erstes ist Demut,

       Zweites ist Sanftmut,

       Drittes stillt dir dein fließendes Blut.«

      Der Todwunde flüsterte und schlug die großen Augen auf. Leise prasselte der Lichtspan.

      »Du bist's, Hansjörg?«

      »Ich, Wolfheinz.«

      »Gelt, nimm dich meines Kindes an, Hansjörg! Mich friert, Hansjörg. Wo ist mein Kind? Ach so! Leg mir mein Kind her, Bruder!«

      Hansjörg bettete die kleine Leiche auf das Lager neben den Sterbenden.

      »Auf unserm Herrgott sei'm Grab

       Wachsen drei Rösela:

       Erstes ist Demut,

       Zweites ist Sanftmut,

       Drittes stillt dir dein fließendes Blut.«

      murmelte der Knecht.

      »Hansjörg – horch – nahe her! So! Es hat mich stark nach Haus gehungert. Da bin – ich nun. Was hätt' ich draußen suchen sollen mit – einem Arm? Heim, hab' ich mir gesagt. Hansjörg, mich friert!«

      »Guter Bruder!« raunte Hansjörg und zog sein Wams aus und breitete es über den Sterbenden.

      »Da – auf der – Straße – nahe bei Theuern – überfallen mich ihrer dreie – kann mich ihrer nicht erwehren – das Kind – ach, Hansjörg, das Kind – gelt,

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