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die Buchsbaumhecken des kleinen Gartens, die fallenden welken Blätter, den Verfall der Mauern, die bizarre Form der Obstbäume – lauter malerische Einzelheiten, die nun für immer in seiner Erinnerung haften sollten, durch eine Gedächtniskraft des Gefühls für immer an diese besondere Stunde gebunden.

      »Es ist recht heiß, – schönes Wetter«, sagte Grandet und tat einen kräftigen Atemzug.

      »Jawohl, lieber Onkel . . . Aber weshalb . . .?«

      »Nun also, mein Junge«, begann der Onkel, »ich habe schlechte Botschaft für dich. Dein Vater ist recht krank . . .«

      »Und ich bin noch hier?« rief Charles. »Nanon, besorge mir Postpferde! Ich werde wohl irgendwo im Ort einen Wagen bekommen«, fügte er, an den Onkel gewandt, hinzu. Der rührte sich nicht. »Pferd und Wagen sind überflüssig«, erwiderte er schließlich und sah auf Charles, dessen Blick starr wurde. »Jawohl, mein armer Junge, du hast es erraten. Er ist tot. Aber das ist das wenigste; da ist etwas noch weit Traurigeres: er hat sich erschossen . . .«

      »Mein Vater? . . .«

      »Ja. Aber das ist das wenigste. Die Zeitungen machen ihre Glossen darüber, als hätten sie ein Recht dazu. Hier, lies!«

      Grandet, der sich das Zeitungsblatt von Cruchot geliehen hatte, hielt Charles den verhängnisvollen Artikel vor die Augen. Da brach der junge Mann, der noch in einem Alter war, das seine Gefühle naiv und offen äußert, in Tränen aus.

      ›Gut so, gut so‹, sagte sich Grandet. ›Seine Augen haben mir Angst gemacht. Er weint, da ist er gerettet.‹ »Das ist noch gar nichts, mein armer Neffe«, begann Grandet von neuem, ohne zu wissen, ob Charles ihn hörte. »Das ist gar nichts, du wirst dich trösten; aber . . .«

      »Niemals! niemals! Mein Vater! Mein Vater!«

      »Er hat dich ruiniert, du bist ganz ohne Geld.«

      »Was kümmert mich das! Wo ist mein Vater? . . . mein Vater!«

      Sein Weinen und Schluchzen hallte zwischen den engen Mauern in gräßlichem Echo wider. Von Mitleid ergriffen, weinten die drei Frauen, denn Tränen sind ebenso ansteckend wie das Lachen. Charles flüchtete, ohne auf seinen Onkel zu hören, in den Hof, fand die Treppe, stieg in sein Zimmer hinauf und warf sich quer übers Bett; er drückte das Gesicht tief in die Kissen und weinte sich aus, fern von seinen Verwandten.

      »Man muß den ersten Platzregen vorüber lassen«, sagte Grandet, als er wieder in den Saal trat, wo Eugénie und ihre Mutter ihre Plätze wieder eingenommen hatten und mit zitternden Händen an der Arbeit saßen, nachdem sie sich die Tränen getrocknet hatten.

      »Aber dieser junge Mann taugt zu nichts; er befaßt sich mehr mit dem Toten als mit dem Geld.«

      Eugénie erschauerte, als sie ihren Vater in solchem Ton über den heiligsten Kummer reden hörte. Von diesem Augenblick an beobachtete sie ihren Vater und urteilte über ihn.

      Das halb erstickte Schluchzen Charles' war im ganzen Hause zu vernehmen, und dies herzinnige Klagen, das aus dem Erdinnern hervorzuquellen schien, dauerte, schwächer und schwächer werdend, bis zum Abend.

      »Armer junger Mann!« sagte Madame Grandet.

      Verhängnisvoller Ausruf! Vater Grandet betrachtete seine Frau, dann Eugénie und die Zuckerdose; er erinnerte sich des üppigen Frühstücks, das man dem unglücklichen Verwandten aufgetischt hatte. Er stellte sich in der Mitte des Saals in Positur.

      »Ich hoffe«, sagte er mit seiner gewohnten Ruhe, »daß Sie in Ihrer Verschwendungssucht nicht fortfahren werden, Madame Grandet. Ich gebe Ihnen nicht mein Geld, damit Sie diesen jungen Gecken mit Zucker vollstopfen.

      »Meine Mutter hat nichts damit zu tun«, sagte Eugénie.

      »Ich bin es, die . . .«

      »Meinst du, weil du mündig bist, darfst du es wagen, mir zu widersprechen?« fiel Grandet der Tochter ins Wort. »Bedenke, Eugénie . . .«

      »Mein Vater, dem Sohn Ihres Bruders sollte bei Ihnen nichts abgehen . . .«

      »Ta ta ta ta!« sang der Böttcher die chromatische Tonleiter.

      »Der Sohn meines Bruders hier – mein Neffe da. Charles ist uns gar nichts, er ist ein armer Schlucker; sein Vater hat Bankrott gemacht. Und sowie der Zierbengel sich ausgeweint hat, muß er sich aus dem Staube machen; ich wünsche nicht, daß er das ganze Haus rebellisch macht.«

      »Was ist das, Vater, Bankrott machen?« fragte Eugénie.

      »Bankrott machen«, erwiderte der Vater, »heißt: von allen ehrlosen Handlungen, die ein Mann begehen kann, die ehrloseste begehen.«

      »Das muß eine recht große Sünde sein«, sagte Madame Grandet, »und unser Bruder wird die Strafe der Verdammnis erleiden.«

      »Da kommst du schon wieder mit deinen Litaneien«, sagte er achselzuckend zu seiner Frau. – »Bankrott machen, Eugénie«, fuhr er fort, »ist ein Diebstahl, den bedauerlicherweise das Gesetz begünstigt. Die Leute haben Guillaume Grandet ihr Geld anvertraut, weil sie ihn für ehrenhaft und redlich hielten; er aber hat ihnen alles genommen und läßt ihnen nichts als die Augen zum Weinen. Der Straßenräuber ist dem Bankrotteur noch immer vorzuziehen: jener fällt euch an, ihr könnt euch wehren, er wagt sein Leben; dieser aber . . . Kurz, Charles ist entehrt.«

      Diese Worte tönten im Herzen des armen Mädchens wider und belasteten es mit ihrer ganzen Schwere. Rein und unberührt wie eine liebliche Blume mitten im Wald, kannte sie weder die Grundsätze der großen Welt noch ihre arglistigen Ränke und Sophismen. Sie nahm also gläubig hin, was ihr Vater ihr sagte, der sie aber nicht mit dem Unterschied bekannt machte, der zwischen dem unfreiwilligen Bankrott und dem wohlvorbereiteten, berechnenden Bankrott liegt.

      »Und haben Sie das Unglück nicht abwenden können, Vater?«

      »Mein Bruder hat mich nicht um Rat gefragt. Übrigens beträgt seine Schuld vier Millionen.«

      »Was ist denn das, eine Million, Vater?« fragte Eugénie mit der Naivität eines Kindes, das glaubt, auf alle Fragen Auskunft zu erhalten.

      »Eine Million?« erwiderte Grandet. »Nun, das ist eine Million Zwanzigsousstücke, und für fünf Francs braucht man fünf Zwanzigsousstücke.«

      »Mein Gott! Mein Gott!« rief Eugénie. »Wie ist es denkbar, daß mein Onkel vier Millionen gehabt hat? Gibt es noch irgend jemanden in ganz Frankreich, der ebensoviel Millionen haben könnte?«

      Vater Grandet rieb sich das Kinn und lächelte, und das Gewächs auf seiner Nase schien sich aufzurecken.

      »Aber was soll aus Cousin Charles werden?«

      »Er wird nach Indien gehen, wo er, dem Wunsche seines Vaters entsprechend, versuchen wird, zu Geld zu kommen.«

      »Aber hat er Geld, um dahin zu gehen?«

      »Ich werde ihm seine Reise bezahlen . . . bis . . . ja, bis Nantes«.

      Eugénie fiel ihrem Vater um den Hals. »O mein Vater, wie gut Sie sind, wie gut!« Sie küßte ihn so innig, daß Grandet, der kein ganz reines Gewissen hatte, sich beinahe beschämt fühlte.

      »Braucht man viel Zeit, um eine Million zusammenzubringen?« fragte sie ihn.

      »Das will ich meinen!« sagte er. »Du weißt doch, was ein Napoleondor ist; also davon braucht man fünfzigtausend Stück, um eine Million zu haben.«

      »Mama, wir werden ihm eine Messe lesen lassen.«

      »Ich dachte schon daran«, erwiderte die Mutter.

      »Recht so!« rief der Vater; »nur immer Geld ausgeben! Ja, meint ihr denn, hier im Hause gäbe es Hunderte und Tausende?«

      In diesem Augenblick drang vom Mansardenzimmer her ein klagendes Schluchzen, verzweifelter noch als alle bisherigen Klagen.

      Eugénie und ihre Mutter waren starr vor Entsetzen.

      »Nanon, geh hinauf und sieh nach, ob er sich nicht etwa umbringt«, sagte Grandet. »Also«, fuhr er fort, zu Frau und Tochter gewendet, die bei seinen Worten erbleicht waren, »daß ihr mir keine Dummheiten macht, ihr beiden. Ich verlasse euch jetzt. Ich muß

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