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ich habe anscheinend nicht genug Geist, um mich über andere lustig zu machen, und dieser Mangel bringt mir viel Schaden. In Paris macht man einen Mann unmöglich, indem man von ihm sagt: ›Er hat ein gutes Herz‹, denn das heißt soviel wie: ›Der arme Kerl ist dumm wie ein Rhinozeros.‹ Doch da ich reich bin und bekannt dafür, mit jeder Art Pistole auf dreißig Schritt Entfernung mein Ziel zu treffen, auch im freien Feld, so fürchtet mich der Spott.«

      »Was Sie da sagen, mein Neffe, zeugt von einem guten Herzen.«

      »Sie haben einen sehr hübschen Ring«, sagte Eugénie; »ist es unrecht, Sie zu bitten, ihn näher betrachten zu dürfen?«

      Charles zog den Ring ab und hielt ihn hin, und Eugénie errötete, als sie mit ihren Fingerspitzen die rosigen Nägel ihres Cousins streifte.

      »Sehen Sie, liebe Mutter, welch schöne Arbeit!«

      »Oh, das ist ja dickes Gold!« sagte Nanon, die mit dem Kaffee herbeikam.

      »Was ist denn das?« fragte Charles lachend. Und er zeigte auf einen hohen braunen, gesprungenen und innen glasierten Tontopf, der einen Überzug von Asche hatte und in dem der Kaffee sich kochend auf und nieder wälzte.

      »Das ist gekochter Kaffee«, sagte Nanon.

      »O meine liebe Tante, ich werde wenigstens einige wohltätige Zeichen meines Aufenthaltes hier hinterlassen. Sie sind in manchem noch sehr zurück. Ich werde Ihnen zeigen, wie man in einer Kaffeemaschine ›Chaptal‹ einen guten Kaffee bereiten kann.« Und er wollte sich über das System der Kaffeemaschine ›Chaptal‹ auslassen.

      »O je«, sagte Nanon, »was das für Umstände macht! Dazu gehört ja eine ganze Lebenszeit! Niemals werde ich solchen Kaffee machen. Jawohl, ja! Wer würde wohl der Kuh ihr Heu bringen, während ich diesen Kaffee zubereite?«

      »Ich werde ihn zubereiten«, sagte Eugénie.

      »Kind!« sagte Madame Grandet und blickte die Tochter an.

      Nach diesem Wort, das an den Kummer mahnte, der sich nun bald über den unglücklichen jungen Mann ergießen sollte, schwiegen die drei Frauen und betrachteten ihn mit so mitleidigem Ausdruck, daß er erstaunt fragte: »Was haben Sie denn, liebe Cousine?«

      »Still!« sagte Madame Grandet zu Eugénie, die antworten wollte. »Du weißt, meine Tochter, daß dein Vater die Absicht hat, mit Monsieur zu reden . . .«

      »Sagen Sie Charles«, bat der junge Grandet.

      »Ah! Sie heißen Charles? Das ist ein schöner Name«, rief Eugénie.

      Das Unglück, das man fürchtet, ist meistens nahe. Gerade jetzt, als Nanon, Madame Grandet und Eugénie voll bebender Angst an die Rückkehr des alten Böttchers dachten, vernahmen sie einen Schlag an die Haustür, dessen Widerhall ihnen nur zu bekannt war.

      »Das ist Papa!« sagte Eugénie. Sie nahm die Zuckerschale weg, ließ aber einige Stückchen Zucker auf dem Tischtuch liegen. Nanon verschwand mit dem Eierteller. Madame Grandet horchte auf wie eine erschreckte Hindin. Es war ein panischer Schrecken, den Charles da gewahrte und den er sich nicht zu erklären vermochte.

      »Ja, was haben Sie denn nur?« fragte er.

      »Mein Vater kommt«, sagte Eugénie. »Nun, und . . .«

      Monsieur Grandet trat ein; er sah den Tisch, er sah Charles, er sah alles.

      »So, so! Sie haben Ihrem Neffen ein Festmahl gegeben, das ist gut, das ist sehr gut, das ist ja ausgezeichnet!« sagte er, ohne zu stottern. »Wenn die Katze nicht zu Hause ist, tanzen die Mäuse.« ›Festmahl?‹ dachte Charles bei sich, der von dem Regiment und den Sitten hier im Hause nichts ahnte. »Gib mir mein Glas, Nanon«, sagte der Biedermann.

      Eugénie brachte das Glas. Grandet zog ein großes Messer mit Horngriff aus der Tasche, schnitt sich eine Scheibe Brot ab, nahm ein wenig Butter, strich sie sorgfältig auf das Brot und begann stehend zu essen. In diesem Augenblick süßte Charles seinen Kaffee. Der Vater Grandet gewahrte die Zuckerstückchen und blickte seine Frau durchdringend an; sie erbleichte und trat einige Schritte vor. Er beugte sich zu der armen Frau nieder und fragte: »Wo habt ihr denn all den Zucker hergenommen?«

      »Nanon hat bei Fessard welchen geholt; es war keiner da.«

      Es ist unmöglich, sich vorzustellen, mit welch tiefer Aufmerksamkeit die drei Frauen dieser Szene folgten. Nanon war aus der Küche herbeigekommen und blickte in den Saal, um zu sehen, wie die Dinge sich entwickelten. Charles, der an seinem Kaffee genippt hatte, fand ihn zu bitter und suchte den Zucker, den Grandet schon weggenommen hatte.

      »Was suchen Sie, Neffe?«, fragte ihn der Biedermann.

      »Den Zucker.«

      »Nehmen Sie Milch«, antwortete der Herr des Hauses, »und Ihr Kaffee wird gleich süßer sein.«

      Eugénie ergriff die Untertasse mit dem Zucker, die Grandet schon weggestellt hatte, und setzte sie wieder auf den Tisch, während sie ruhig zu ihrem Vater hinübersah. Sicherlich, die Pariserin, die, um ihrem Geliebten die Flucht zu erleichtern, mit ihren zarten Armen die seidene Strickleiter hält, zeigt nicht mehr Mut, als Eugénie entfaltete, als sie den Zucker auf den Tisch zurückstellte. Der Liebhaber wird seine Dame belohnen; der schmerzende Arm, den sie ihm stolz zeigt, wird in Tränen und Küssen gebadet und in Lust geheilt werden. Charles dagegen durfte nie das Geheimnis der furchtbaren Unruhe kennen, die das Herz seiner Cousine bei dem niederschmetternden Blick des alten Böttchermeisters befiel.

      »Du ißt nichts, Frau?«

      Die arme Sklavin trat näher, nahm ängstlich ein winziges Stück Brot und eine Birne.

      Eugénie war so kühn, ihrem Vater eine Traube anzubieten; sie sagte: »Koste doch von meinem Dörrobst, Papa! – Lieber Cousin, Sie essen auch davon, nicht wahr? Gerade für Sie habe ich die Trauben geholt.«

      »Wenn man ihnen nicht wehren wollte, so würden sie ganz Saumur für Sie ausplündern, mein Neffe. Wenn Sie fertig sind, wollen wir zusammen in den Garten gehen; ich habe Ihnen Dinge zu sagen, die keineswegs zuckersüß sind.«

      Eugénie und ihre Mutter warfen Charles einen Blick zu, über dessen Ausdruck der junge Mann sich nicht täuschen konnte.

      »Was bedeuten diese Worte, lieber Onkel? Seit dem Tode meiner armen Mutter . . . (bei diesen Worten wurde seine Stimme weich) kann mich kein Unglück treffen . . .«

      »Lieber Neffe, wer kennt die Schickungen, mit denen Gott uns heimsuchen, uns prüfen will?« sagte seine Tante.

      »Ta ta ta ta!« rief Grandet, »da fängt der Unsinn wieder an. – Ihre hübschen weißen Hände tun mir leid, lieber Neffe.«

      Er zeigte ihm eine Art von Hammelschulter, mit der ihn die Natur an den Enden seiner Arme versehen hatte. »Hier, das sind Hände, um Taler zu erraffen! – Sie sind erzogen worden, Ihre Füße in dasselbe Leder zu stecken, aus dem unsere Geldtaschen gefertigt sind. Schlimm! schlimm!«

      »Was meinen Sie nur, lieber Onkel? Man soll mich hängen, wenn ich ein Wort verstehe.« – »Kommen Sie«, sagte Grandet.

      Der Geizhals klappte sein Taschenmesser zu, trank den Rest seines Weines aus und öffnete die Tür.

      »Mein lieber Cousin, haben Sie Mut!«

      Die bebende Betonung, die das junge Mädchen in diese Worte legte, versetzte Charles einen eisigen Schauer; er folgte seinem schrecklichen Verwandten in tödlichster Unruhe. Eugénie, ihre Mutter und Nanon gingen in die Küche, von unbezähmbarer Neugier ergriffen, die Szene zu beobachten, die nun in diesem kleinen modrigen Garten vor sich gehen sollte. Der Onkel schwieg vorläufig.

      Grandet fürchtete sich nicht, Charles von dem Tod seines Vaters in Kenntnis zu setzen, aber daß er ihn ohne einen Sou wußte, darüber empfand er etwas wie Mitleid, und er suchte nach einer passenden Form des Ausdrucks für diese grausame Wahrheit. ›Sie haben Ihren Vater verloren!‹ – Kleinigkeit, das zu sagen. Die Eltern sterben nun mal früher als die Kinder. Aber: ›Sie haben nicht mehr einen Sou Vermögen!‹ diese Worte umfaßten alles Unglück der Welt. Und der Biedermann schritt zum drittenmal die Mittelallee hinunter; der Sand knirschte unter seinen Füßen.

      In den

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