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Landes, und die Harmonie ihres Herzens verband sich mit der Harmonie der Landschaft. Als die Sonne eine Mauerfläche traf, wo Venushaar in dichten Blättern niederhing, die wie der Hals einer Taube in allen Farben schillerten, da sah Eugénie die Zukunft von himmlischen Hoffnungsstrahlen erhellt. Und sie blickte auf das Stück Mauer, auf seine blassen Blumen, blauen Glocken und welkenden Blätter, aus denen es aufstieg wie liebliches Erinnern an Sommer und Kindheit. Das Geraschel, mit dem jedes fallende Blatt von seinem Zweig herniedertaumelte, war wie eine Antwort auf die geheimen Fragen des jungen Mädchens, das den ganzen Tag so hätte sitzen können, ohne der Flucht der enteilenden Stunden zu achten.

      Doch dann erfaßte die zage Seele ein Sturm. Sie erhob sich wiederholt, trat vor den Spiegel und betrachtete sich prüfend, wie ein gewissenhafter Autor sein Werk betrachtet, um sich in ihm zu kritisieren und sich selber Grobheiten zu sagen.

      ›Ich bin nicht schön genug für ihn!‹ das war Eugénies Gedanke – ein demütiger und schmerzensreicher Gedanke. Das arme Mädchen ließ sich keine Gerechtigkeit widerfahren. Aber die Bescheidenheit, oder besser die Besorgnis ist eine der vornehmsten Tugenden der Liebe. Eugénie war kräftig entwickelt, wie die Kinder der Kleinbürger das häufig sind. Ihre Schönheit hatte etwas Gewöhnliches; aber obschon sie der Venus von Milo glich, war ihre Erscheinung von jener Milde christlichen Gefühls durchdrungen, die die Frau läutert und ihr einen den antiken Skulpturen mangelnden Adel verleiht. Sie hatte einen sehr großen Kopf, die männliche, doch zarte Stirn des Jupiters von Phidias, und graue Augen, denen ihr keusches Leben, das sich in ihnen ganz enthüllte, einen schimmernden Glanz verlieh. Ihr rundes, früher rosig frisches Gesicht hatte durch Pockennarben, die allerdings kaum sichtbar waren, etwas Derbes bekommen und seine Samtweiche verloren; trotzdem war ihre Haut noch immer so zart und fein, daß der sanfte Kuß ihrer Mutter sie sofort rötete. Ihre Nase war ein wenig zu stark, aber sie harmonierte mit einem tiefroten Mund, dessen mit tausend feinen Fältchen gezeichnete Lippen voller Liebe und Güte waren. Der Nacken hatte eine vollendete Rundung; der gewölbte, sorgsam verschleierte Busen lockte das Auge und verführte zum Träumen. Ihrer Kleidung freilich fehlte ein wenig leichte Anmut; aber ein Kenner würde in der herben Festigkeit dieser hohen Gestalt einen besonderen Reiz gefunden haben. Groß und stark, wie Eugénie war, hatte sie also nichts Hübsches im landläufigen Sinne, aber sie war von einer gewissen Schönheit, in die sich Künstler verlieben. Der Maler, der hier auf Erden nach dem himmlisch reinen Typ einer Maria sucht, der beim weiblichen Geschlecht die still vertrauenden Augen sucht, die Raffael malte, und jene meist nur visionär erschauten jungfräulichen Züge, die ein wahrhaft christliches und keusches Leben aber auch in Wirklichkeit schaffen kann – dieser Maler, verliebt in ein so seltenes Modell, würde ganz unerwartet im Antlitz Eugénies den angeborenen unbewußten Adel gefunden haben; er hätte unter einer ruhevollen Stirn eine Welt von Liebe erblickt, und im Schnitt der Augen, in der Form der Lider etwas Göttliches. Ihre Züge, die Konturen ihres Kopfes, die der Ausdruck der Lust niemals erregt oder ermüdet hatte, glichen den Linien des Horizonts, die sanft in weite, stille Seen tauchen. Dies ruhige, frische, lichtumrahmte Antlitz, das wie eine jungerschlossene Blüte war, erquickte die Seele durch seine Gewissensruhe und lockte die Augen. Eugénie stand noch am Ufer des Lebens: da blühen noch die Kindheitsillusionen und die einfältigen Maßliebchen mit all der Köstlichkeit, die später nicht mehr ist. Daher konnte sie sich, als sie sich so im Spiegel betrachtete und von Liebe noch nichts wußte, sagen: ›Ich bin zu häßlich, er wird mich nicht beachten!‹

      Dann öffnete sie die Tür ihres Zimmers, die zur Treppe führte, und lauschte mit vorgebeugtem Kopf, ob sich noch nichts im Hause rege.

      ›Er steht nicht auf‹, dachte sie, als sie Nanons Morgenhüsteln vernahm und hörte, wie sie kam und ging, den Saal fegte, Feuer im Küchenherd machte, den Hund an die Kette legte und mit den Tieren im Stall redete.

      Sogleich ging Eugénie hinunter und lief zu Nanon, die die Kuh melkte.

      »Nanon, meine gute Nanon, mach doch etwas Rahm für den Kaffee meines Cousins.«

      »Aber Mademoiselle, das hätte gestern geschehen müssen«, sagte Nanon, in helles Lachen ausbrechend. »Ich kann jetzt keinen Rahm machen. Ihr Cousin ist reizend, reizend . . . wirklich ganz reizend. Sie hätten ihn gestern sehen sollen in seinem Schlafrock aus Gold und Seide. Ich habe ihn gesehen, wahrhaftig! Seine Wäsche ist so fein wie das Chorhemd von Monsieur le Curé.«

      »Nanon, geh, mach uns doch einen Brotkuchen.«

      »Woher soll ich denn aber das Holz nehmen für den Backofen, und Mehl und Butter?« fragte Nanon, die zuweilen in ihrer Eigenschaft als erster Minister Grandets in den Augen Eugeniés und ihrer Mutter eine sehr bedeutende Persönlichkeit war. »Muß man nicht ihn, den Mann, bestehlen, um Ihrem Cousin etwas Gutes aufzutischen? Verlangen Sie von ihm das Nötige: Butter, Mehl und Holz; er ist Ihr Vater, er kann es Ihnen geben. Halt, da kommt er schon herunter, um die Tagesrationen auszuteilen . . .«

      Eugénie rettete sich in den Garten, als sie jetzt die Treppe unter den Schritten des Vaters knarren hörte. Schon litt sie unter jener tiefen Schamhaftigkeit, die dem Liebenden eigentümlich ist und ihn glauben macht, seine Gedanken ständen ihm auf der Stirn geschrieben und könnten von jedermann gelesen werden.

      Das arme Mädchen fühlte auf einmal, wie armselig und unbehaglich das väterliche Heim war; sie war unwillig, weil ihr nicht möglich war, diese Dürftigkeit einigermaßen mit der Eleganz des Cousins in Einklang zu bringen. Sie fühlte ein leidenschaftliches Verlangen, etwas für ihn zu tun. Was, wußte sie nicht. Kindlich und naiv, wie sie war, folgte sie ihrer reinen Natur, ohne in ihre Eindrücke oder Gefühle ein Mißtrauen zu setzen. Der Anblick ihres Cousins hatte in ihr die natürlichen Neigungen der Frau geweckt, und diese mußten sich um so lebhafter entfalten, als sie im dreiundzwanzigsten Jahre stand und sich also in der Vollkraft geistiger Entwicklung und Sehnsucht befand.

      Zum erstenmal erschrak ihr Herz beim Anblick ihres Vaters, zum erstenmal sah sie in ihm den Herrn ihres Schicksals und fühlte sich schuldbewußt, weil sie ihm ihre Gedanken verheimlichte. Sie begann schneller zu gehen und wunderte sich, eine so reine Luft zu atmen, wunderte sich, die Sonnenstrahlen so belebend zu empfinden, so, als weckten sie eine geistige Glut, ein neues Leben.

      Während sie über eine List nachsann, um zu dem erhofften Brotkuchen zu gelangen, erhob sich zwischen der Großen Nanon und Grandet eine der Streitigkeiten, die zwischen ihnen so selten vorkamen wie die Schwalben im Winter.

      Versehen mit seinem Schlüsselbund, war der Biedermann heruntergekommen, um die für den heutigen Tag nötigen Lebensmittel zuzumessen.

      »Ist noch Brot von gestern da?« fragte er Nanon.

      »Nicht ein Krümchen, Monsieur.«

      Grandet nahm ein dickes, rundes, mit Mehl bestreutes Brot, geformt in einem jener flachen Körbe, wie sie im Anjou zum Backen genommen werden, und begann es aufzuschneiden, als Nanon sagte: »Wir sind heute unser fünf, Monsieur.«

      »Du hast recht«, antwortete Grandet, »aber dein Brot wiegt stets sechs Pfund; es wird also noch etwas übrigbleiben. Übrigens diese jungen Leute aus Paris – so was ißt kein Brot.«

      »So was ißt also nur die Frippe?« sagte Nanon.

      Im Anjou bedeutet ›Frippe‹ im Volksmund jede Zutat zum Brot, angefangen von der auf die Brotschnitte aufgestrichenen Butter, der gewöhnlichen Zukost, bis zur allerfeinsten Zukost, der Pfirsichkonfitüre. Ihr alle, die ihr in eurer Kindheit die Zukost abgeschleckt und das Brot verachtungsvoll liegen gelassen habt, ihr werdet die Bedeutung dieses Wortes ganz ermessen können.

      »Nein«, gab Grandet zur Antwort; »das ißt weder Zukost noch Brot. Die sind so zimperlich, diese Leute, wie junge Mädchen vor der Hochzeit.«

      Nachdem er also das kärgliche Menü des Tages bestimmt hatte, wandte sich der Biedermann nach der Obstkammer. Nun aber trat Nanon ihm in den Weg und sagte: »Monsieur; geben Sie mir doch Mehl und Butter, ich werde den Kindern einen Kuchen backen.«

      »Du scheinst für meinen Neffen das ganze Haus ausplündern zu wollen?«

      »Ich habe an Ihren Neffen nicht mehr gedacht als an Ihren Hund, nicht mehr, als Sie selber an ihn denken . . . Da haben Sie mir wahrhaftig nur sechs Stück Zucker gegeben; ich brauche acht!«

      »Nun höre, Nanon!

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