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herbeikam, die Grandet von Froidfond mitgebracht hatte. »Und wo willst du denn Zucker hernehmen? Bist du toll?«

      »O Mama, Nanon kann ja außer der Kerze auch etwas Zucker kaufen.«

      »Aber dein Vater?«

      »Sollte er seinem Neffen nicht gestatten, ein Glas Zuckerwasser zu trinken? Übrigens wird er es gar nicht bemerken.«

      »Dein Vater sieht alles«, sagte Madame Grandet kopfschüttelnd. Nanon zögerte, sie kannte ihren Herrn.

      »So geh doch, Nanon – da heute mein Geburtstag ist.«

      Nanon ließ ein breites Lachen hören und gehorchte, denn das war der erste Scherz, den ihre junge Herrin jemals gemacht hatte.

      Während Eugénie und ihre Mutter derart beschäftigt waren, das von Monsieur Grandet seinem Neffen angewiesene Zimmer herzurichten, fühlte sich Charles als der Gegenstand der Aufmerksamkeit von Madame des Grassins; sie kokettierte mit ihm.

      »Sie beweisen Mut, Monsieur«, sagte sie, »da Sie die Freuden der Großstadt verlassen, um den Winter in Saumur zu verbringen. Aber wenn Sie sich nicht allzusehr vor uns fürchten, so werden Sie sehen, daß man sich auch hier bei uns zu unterhalten weiß.«

      Sie warf ihm einen koketten Blick zu, den Blick der Provinzlerin, der soviel Sprödigkeit und zögernde Begier enthält, wie der Blick des Mönchs, dem jede Freude als Raub oder Sünde erscheint.

      Charles fühlte sich hier in diesem öden Saal so bedrückt, so himmelweit entfernt von dem prächtigen Landschloß und dem festlichen Leben, das er bei seinem Onkel vermutet hatte, daß er beim Anblick von Madame des Grassins schließlich immerhin etwas empfand, als sähe er das schwache Abbild einer Pariserin. Er dankte liebenswürdig für die halbe Einladung, die ihm soeben zuteil geworden war, und es entspann sich nun eine Unterhaltung, in deren Verlauf Madame des Grassins ihre Stimme leiser und leiser werden ließ, um sie mit der Diskretion ihrer Bekenntnisse in Einklang zu bringen. Sowohl sie als auch Charles hatten ein Bedürfnis, sich mitzuteilen. Nachdem sie eine Zeitlang kokett geplaudert und einander Schmeicheleien gesagt hatten, gelang es der gewandten Provinzlerin, während die andern vom Verkauf der Weinernte, dem Hauptgesprächsgegenstand von ganz Saumur, redeten und sie sich also unbeobachtet glaubte, ihm folgende Mitteilung zu machen: »Wenn Sie uns die Ehre Ihres Besuches geben würden, Monsieur, so würden Sie sicherlich meinem Mann ebenso wie mir eine große Freude machen. Unser Haus ist das einzige in Saumur, wo Sie sowohl die Spitzen der Kaufmannschaft als auch den Adel antreffen werden. Wir gehören beiden Gesellschaftskreisen an, und weil man sich gut unterhält bei uns, so gibt man sich da gern ein Stelldichein. Mein Mann – ich sage es mit Stolz – ist sowohl in diesen wie jenen Kreisen hochgeschätzt. Also wir wollen versuchen, in die Langeweile Ihres hiesigen Aufenthalts Abwechslung zu bringen. Wenn Sie nur bei Monsieur Grandet blieben, – großer Gott! was sollte da mit Ihnen werden? Ihr Onkel ist ein alter Knauser, der nichts als seinen Gewinn im Auge hat; Ihre Tante ist ein devotes Geschöpf, das nicht zwei Gedanken auf einmal fassen kann, und Ihre Cousine ist ein Gänschen, ohne Erziehung und ohne Mitgift, die ihr Leben damit zubringt, alte Kleider und Wäsche zu putzen und zu flicken.«

      ›Sie ist famos, diese Frau‹, dachte Charles Grandet bei sich, während er auf die Schöntuerei von Madame des Grassins einging.

      »Du scheinst Monsieur für dich allein mit Beschlag zu belegen, Frau«, sagte lachend der große dicke Bankier.

      Diese Äußerung veranlaßte den Notar und den Präsidenten zu einigen mehr oder weniger bissigen Bemerkungen. Der Abbé aber sah ihnen listig zu, und indem er eine Prise nahm und die Dose anbietend weiterreichte, faßte er die Gedanken der andern zusammen. »Wer anders als Madame«, sagte er, »könnte Monsieur die Honneurs von Saumur machen?«

      »Ah! Wie meinen Sie das, Monsieur l'Abbé?« fragte Monsieur des Grassins.

      »Ich meine das, Monsieur, im schmeichelhaftesten Sinne für Sie, für Madame, für Saumur und für den jungen Monsieur«, ergänzte der durchtriebene Alte, sich an Charles wendend.

      Ohne den Anschein, auf die Unterhaltung zwischen Madame des Grassins und Charles geachtet zu haben, hatte der Abbé dennoch ihren Inhalt erraten.

      »Monsieur«, wandte sich jetzt Adolphe an Charles und versuchte, eine unbefangene Miene aufzusetzen, »ich weiß nicht, ob Sie sich meiner noch erinnern; ich hatte das Vergnügen, auf einem Ball beim Baron de Nucingen Ihr Gegenüber zu sein, und …«

      »O gewiß, Monsieur, gewiß!« erwiderte Charles, verwundert, der Gegenstand so übertriebener Aufmerksamkeit zu sein. »Monsieur ist Ihr Sohn?« wandte er sich jetzt fragend an Madame des Grassins.

      Der Abbé sah boshaft auf die Mutter.

      »Ja, Monsieur«, sagte diese.

      »Demnach waren Sie schon ziemlich früh – ich meine jung – in Paris?« bemerkte Charles nun zu Adolphe.

      »Ja, ja!« sagte der Abbé. »Wir schicken sie nach Babylon, sobald sie entwöhnt sind.« Madame des Grassins warf dem Abbé einen langen verwunderten Blick zu.

      »Ja, man muß zu uns in die Provinz kommen«, fuhr er fort, »um Frauen in den Dreißigern, deren Söhne vor dem Doktorexamen stehen, von solcher Frische zu finden, wie Madame es ist. Ich glaube noch immer die Zeit zu sehen, Madame, wo die jungen Leute bei den Ballfesten auf die Stühle stiegen, um Sie tanzen zu sehen«, fügte der Abbé hinzu, indem er sich an seine Gegnerin wandte. »Für mich sind Ihre Eroberungen von gestern . . .«

      ›Oh, der alte Teufel!‹ dachte Madame des Grassins, ›errät er meine Absichten?‹

      ›Es scheint, ich werde in Saumur eine bedeutende Rolle spielen‹, sagte sich Charles. Und er knöpfte seinen Rock auf, schob die Hand in die Weste und ließ den Blick ins Weite schweifen. Es war dies die Pose, die Chantrey seinem Lord Byron gegeben hat.

      Die Zerstreutheit Vater Grandets, oder besser gesagt, sein völliges Aufgehen in der Lektüre seines Briefes entging weder dem Notar noch dem Präsidenten, die versuchten, aus den vom Kerzenlicht hell bestrahlten Mienen des Biedermanns den Inhalt des Schreibens zu erraten. Der Weinbauer hatte Mühe, seinem Gesicht den gewohnten Ausdruck zu geben. Übrigens kann man sich leicht ein Bild machen, wie sehr die Ruhe dieses Mannes bei dem Lesen des folgenden Briefes erschüttert werden mußte:

      ›Lieber Bruder! Nun sind es bald dreiundzwanzig Jahre, daß wir einander nicht gesehen haben. Meine Hochzeit war der Anlaß unseres letzten Beisammenseins, und fröhlich schieden wir damals voneinander. Gewiß, ich konnte nicht voraussehen, daß Du eines Tages die einzige Stütze einer Familie sein würdest, deren Begründung Du damals beifällig begrüßtest. Wenn Du diesen Brief in Händen hältst, werde ich nicht mehr sein. In meiner angesehenen Stellung wollte ich die Schmach eines Bankrotts nicht überleben. Bis zum letzten Augenblick habe ich mich am Rande des Abgrundes gehalten, immer in der Hoffnung, wieder emporkommen zu können. Es ist aus! Ich muß in den Abgrund springen! Der gemeinsame Bankrott meines Bankiers und Roguins, meines Notars, raubte mir den letzten Halt und nimmt mir alles! Das Unglück will, daß ich etwa vier Millionen Schulden habe, ohne mehr als fünfundzwanzig Prozent Aktiva anbieten zu können. Meine Lagerweine leiden gegenwärtig unter der vernichtenden Baisse, die eine Folge des Überangebots und der Qualität eurer Ernten ist. In drei Tagen heißt es in Paris: ›Monsieur Grandet war ein Lump!‹ Ich werde mich ehrlich und rechtschaffen in das Bahrtuch der Schande betten. Ich beraube meinen Sohn seines ehrlichen Namens und des Vermögens seiner Mutter. Er weiß nichts davon, der arme Junge, den ich abgöttisch liebe. Wir haben zärtlich Abschied genommen; glücklicherweise sah er nicht, daß in diesen Abschied die letzten Wellen meines Lebens brandeten. Wird er mich nicht eines Tages verfluchen? Bruder, lieber Bruder! von unsern Kindern verwünscht zu werden, das ist entsetzlich. Gegen unseren Fluch können sie Einspruch erheben, der ihrige aber ist unwiderruflich.

      Grandet! Du bist der Ältere von uns beiden, Du schuldest mir Deinen Schutz: bemühe Dich, daß Charles mir kein bitteres Wort mit ins Grab gibt! Lieber Bruder, wenn ich Dir mit meinem Blut und mit meinen Tränen schriebe, es wäre nicht so schmerzlich als das Seelenleid, dem ich jetzt unterliege, denn dann würde ich doch weinen, bluten, sterben, würde nicht mehr leiden! So aber leide ich und sehe trocknen Auges dem Tod entgegen.

      Du bist nun also der Vater

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