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die das strenge Leben in diesem Hause mit sich brachte; hier war niemals jemand krank gewesen. Ferner schloß sich Nanon ganz an die Familie an: sie lachte, wenn Grandet lachte, bekümmerte sich, fror, schwitzte und arbeitete mit ihm. Wieviel süße Vergeltung kam ihr aus dieser Gemeinsamkeit! Niemals hatte der Herr der Magd einen Verweis erteilt, wenn sie sich zuweilen das Fallobst der Pfirsich- und Pflaumenbäume im Garten schmecken ließ. »Nur zu, Nanon, wohl bekomm's!« sagte er zu ihr in den Jahren, da die Äste unter der Last der Früchte zu brechen drohten, so daß man den Überfluß als Schweinefutter verwenden mußte.

      Für ein armes Ding vom Lande, das in seiner Jugend stets schlecht behandelt worden war, für ein auf Barmherzigkeit angewiesenes armes Mädchen war das sauersüße Lächeln Grandets ein wahrer Sonnenstrahl. Überdies konnte das schlichte Herz, der gerade Sinn Nanons nicht mehr als einer Empfindung Raum geben, nur einen Gedanken fassen. Seit fünfunddreißig Jahren gedachte sie immer des Augenblicks, als sie mit nackten Füßen, in Lumpen auf dem Bauhof Grandets erschien und der Böttchermeister sie fragte: »Was willst du, mein Herzchen?« Und ihre Dankbarkeit blieb immer jung.

      Manchmal kam es Grandet wohl in den Sinn, daß dies arme Wesen niemals ein Wort der Schmeichelei vernommen habe, daß sie alle die Freuden entbehren müsse, die der Mann dem Weibe schenkt, und daß sie eines Tages vor Gottes Thron hintreten werde – reiner, als selbst die Jungfrau Maria gewesen. Da wurde Grandet von Mitleid ergriffen und sagte, sie anblickend: »Die arme Nanon!«

      Dieser Ausruf wurde von der alten Magd jedesmal mit einem langen seltsamen Blick quittiert und war jedesmal ein Glied mehr in der Freundschaftskette, die sie mit ihrem Herrn verband.

      Grandets Mitleid, das dies arme Mädchen so beseligt hinnahm, war unrein und häßlich; es war das grausame Mitleid des Geizhalses, der im Innern Vergleiche zieht und sich selbst glücklich preist – für Nanon aber war es die Summe der Glückseligkeit. Wer wollte da nicht ebenfalls sagen: »Arme Nanon!« Gott wird seine Engel am bebenden Ton ihrer Stimme erkennen und an ihren tiefgeheimen Schmerzen.

      Es gab in Saumur eine ganze Anzahl Haushaltungen, in denen es den Dienstboten besser ging als der Großen Nanon bei Grandets, und dennoch waren jene unzufrieden und mürrisch. Da hieß es dann wohl: »Was machen nur die Grandets mit ihrer Großen Nanon, daß sie so anhänglich ist? Sie würde für sie durchs Feuer gehen!«

      Ihre Küche, deren vergitterte Fenster auf den Hof blickten, war stets peinlich sauber und frostig – so recht die Küche eines Geizhalses, in der niemals etwas verloren gehen darf. Hatte Nanon ihr Geschirr gespült, die Reste des Mittagsmahls unter Verschluß getan und das Feuer gelöscht, so verließ sie die Küche, die mit dem Saal durch einen Gang verbunden war, und begab sich zum Hanfspinnen zu ihrer Herrschaft hinein. Ein einziges Talglicht beleuchtete diese häuslichen Abende. Das Schlafkämmerchen der Nanon lag am Ende des Küchenganges und bekam sein Licht von einem elenden kleinen Fensterchen. Ihre robuste Gesundheit gestattete ihr, dies Loch ungestraft zu bewohnen, und von hier aus konnte sie das ganze Haus überwachen und bei der tiefen Ruhe, die Tag und Nacht im Hause herrschte, das geringste verdächtige Geräusch vernehmen. Sie mußte wie ein Polizeihund nur auf einem Ohr schlafen und überhaupt im Wachen ruhen.

      Die Beschreibung der andern Räumlichkeiten des Hauses Grandet wird den Begebenheiten dieser Erzählung eingefügt werden; doch genügt schon die Skizzierung des Saales, in dem der ganze Luxus des Hauses sich breitmachte, um die Nacktheit der andern Räume erraten zu lassen.

      Es war Mitte November des Jahres 1819, als gegen Abend die Große Nanon zum erstenmal mit der diesjährigen Winterfeuerung begann. Der Herbst war sehr schön gewesen, und heute war ein Festtag – den Cruchotanern und Grassinisten wohlbekannt. Die feindlichen Parteien bereiteten sich auch, ihre je drei Vertreter in voller Rüstung auf den Plan zu schicken, um einander in Ergebenheitsbeweisen für die Grandets zu überbieten. Am Morgen dieses Tages hatte ganz Saumur gesehen, wie Mademoiselle und Madame Grandet, von Nanon begleitet, sich in die Pfarrkirche zur Messe begeben hatten, und ein jeder erinnerte sich, daß heute Mademoiselle Eugénies Geburtstag war. Aber der Notar Cruchot, der Abbé Cruchot und Monsieur Cruchot de Bonfons berechneten, wann das Abendessen beendet sein könne, und beeilten sich, vor den des Grassins zu erscheinen, um die ersten zu sein, die Mademoiselle Grandet gratulierten. Alle drei trugen riesige Bukette in Händen; die Blumen dazu hatte jeder seinem kleinen Gewächshaus entnommen. Der Strauß, den der Präsident zu überreichen gedachte, war sehr sinnig von einem weißen Atlasband mit goldenen Fransen umwunden.

      An diesem Morgen war Monsieur Grandet, wie das am Geburts- und auch am Namenstage seiner Tochter seine Gewohnheit war, an ihr Bett getreten und hatte ihr feierlich sein väterliches Geschenk überreicht, das seit dreizehn Jahren in irgendeiner seltenen Goldmünze bestand. Madame Grandet beschenkte ihre Tochter regelmäßig mit einem Winter- oder Sommerkleid, je nach der Jahreszeit. Diese beiden Gewänder und die Goldstücke, die sie auch noch am Neujahrstag und am Namenstag ihres Vaters erhielt, bildeten ein kleines Einkommen von etwa hundert Talern, von dem Grandet gern sah, daß sie es sparte. Hieß das nicht, sein Geld von einer Kasse in die andere tun und in der Tochter den eigenen Geiz großziehen? Dann und wann verlangte er von ihr Rechenschaft über ihren Goldschatz, der auch durch das Erbe der la Bertellière vergrößert worden war; und oftmals sagte er zu ihr: »Dies wird dein Heiratsdutzend sein!«

      Das »Dutzend« ist ein alter Brauch, der in einigen Gegenden Mittelfrankreichs noch geübt und heilig gehalten wird. Wenn in Berry oder in Anjou ein junges Mädchen heiratet, muß ihre Familie oder die Familie ihres Gatten ihr eine Börse geben, in der sich, je nach dem Vermögen, zwölf oder zwölf Dutzend oder zwölfhundert Geldstücke befinden. Die ärmste Hirtin heiratet nicht ohne ihr »Dutzend«, mag es auch nur aus klotzigen Sousstücken bestehen. Noch heute erzählt man sich in Issoudun von dem »Dutzend« einer reichen Erbin, das hundertvierundvierzig Goldportugiesen enthielt. Papst Clemens VII., Onkel der Katharina von Medici, der sie an Heinrich II. verheiratete, machte ihr bei diesem Anlaß ein Dutzend alter Goldmünzen von außerordentlichem Wert zum Geschenk.

      Während des Abendessens hatte Vater Grandet, ganz glücklich, seine Eugénie durch ein neues Kleid verschönt zu sehen, ausgerufen: »Nun, da heute Eugénies Geburtstag ist, so wollen wir ein Feuerchen machen. Das wird von guter Vorbedeutung sein.«

      »Mademoiselle wird gewiß in diesem Jahre heiraten«, sagte die Große Nanon, indem sie die Reste einer Ente – des Fasans der Böttcherkreise – abtrug.

      »Ich sehe keine geeignete Partie für sie in Saumur«, erwiderte Madame Grandet mit einem schüchternen Blick auf ihren Mann, einem Blick, der die ganze eheliche Knechtschaft verriet, unter der die arme Frau schmachtete. Grandet musterte seine Tochter und rief erfreut: »Sie wird heute dreiundzwanzig Jahre; man muß sich bald mit ihr befassen!«

      Eugénie und ihre Mutter warfen sich einen Blick des Einverständnisses zu.

      Madame Grandet war ein mageres, welkes Weib, quittengelb, linkisch und langsam; eine jener Frauen, die wie geschaffen scheinen, um tyrannisiert zu werden. Sie war grobknochig, hatte eine große Nase, eine breite Stirn und große Augen und erinnerte beim ersten Anblick ein wenig an holzige Früchte, die weder Saft noch Süße haben. Ihre Zähne waren schwarz und lückenhaft, ihr Mund war welk, ihr Kinn spitz und hervorstehend. Sie war eine ausgezeichnete Gattin, eine echte la Bertellière, und der Abbé Cruchot sagte ihr wohl gelegentlich, daß sie sicherlich keine große Sünderin sei, und sie glaubte ihm gern. Eine engelhafte Sanftmut, seltene Frömmigkeit, unerschütterliche Seelenruhe, ein gutes Herz und die Resignation des Insekts, das den täppischen Händen eines Kindes überliefert ist – das waren Gaben, die man an ihr bewunderte.

      Ihr Mann gab ihr nie mehr als sechs Francs auf einmal für ihre kleinen Ausgaben. Wenn schon diese Frau Monsieur Grandet als Mitgift und als Erbe mehr als dreihunderttausend Francs eingebracht hatte, verbot ihr ihre Sanftmut doch, sich gegen die demütigende Abhängigkeit aufzulehnen, in der Grandet sie erhielt. Sie brachte es nicht fertig, auch nur einen Sou zu verlangen, und hatte nie ein Wort der Ablehnung, wenn der Notar Cruchot ihr allerlei Akten zur Unterschrift vorlegte. Dieser geheime Edelsinn, ihr von Grandet beständig verkannter und verletzter Seelenadel beherrschte ihr ganzes Wesen.

      Madame Grandet trug stets ein Kleid aus grünlicher Levantine, das Jahr für Jahr durch ein neues ersetzt wurde, ferner ein großes weißes Brusttuch, einen derben Strohhut und fast immer

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