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wird hier die Werkstätten unserer Väter in all ihrer naiven Schlichtheit wiederfinden. Die niedrigen Hallen, die weder Schaufenster noch Aushängekasten haben, sind tief und dunkel und innen wie außen ohne jeden Schmuck. Ihre massiven, eisenbeschlagenen Türen bestehen aus zwei Teilen, deren oberer nach innen geöffnet wird und deren unterer, mit einer Glocke versehen, ununterbrochen in Bewegung ist. Luft und Tageslicht dringen in diese feuchtdumpfe Grotte teils oben durch die Türe ein, teils durch den Zwischenraum zwischen der Gewölbedecke und der in Brusthöhe abschließenden Mauerwand. Hier sind kräftige Holzverschläge eingefügt, die des Morgens geöffnet und des Abends geschlossen und mittels eiserner Bolzen verriegelt werden. Auf dieser Mauer werden die Waren des Händlers ausgebreitet. Da gibt es keinen marktschreierischen Betrug. Die Warenproben bestehen in zwei oder drei Säcken Salz oder Stockfisch, in einigen Rollen Segeltuch, in Seiler- und Messingwaren, die von den Deckenbalken herabhängen, in Faßreifen, die an die Mauer gelehnt sind, oder in einigen in Fächern aufgestapelten Ballen Tuch.

      Tretet ein. Ein sauberes, nettes junges Mädchen im weißen Brusttuch mit runden roten Armen legt ihr Strickzeug beiseite und begrüßt euch freundlich. Dann ruft sie den Vater oder die Mutter, die bedächtig eintreten und euch je nach ihrem Charakter oder Temperament bedienen: heiter oder phlegmatisch oder herablassend – mag es sich nun um einen Gegenstand von zwei Sous oder zwanzigtausend Francs handeln.

      Dort drüben seht ihr einen Holzhändler vor seiner Türe sitzen. Er schwatzt mit dem Nachbar und dreht dabei gemächlich die Daumen. Er hat anscheinend nur einige schlechte Flaschenbretter und zwei oder drei Bündel Latten anzubieten; aber sein Holzlager am Hafen versorgt alle Böttcher in ganz Anjou. Er weiß bis auf ein Brett genau, wieviel Fässer gebaut werden, wenn die Ernte gut ist. Ein Sonnenwetter macht ihn reich, eine Regenzeit ruiniert ihn. An einem einzigen Vormittag steigen die Ohmfässer auf elf Francs oder fallen auf sechs. Denn hierzulande – wie in der Touraine – beherrscht der Witterungswechsel das Handelsleben. Weinbauern, Gutsbesitzer, Holzhändler, Böttcher, Gastwirte, Schiffer – alle liegen auf der Lauer nach einem Sonnenstrahl. Wenn sie sich abends schlafen legen, zittern sie davor, am andern Morgen zu bemerken, daß es in der Nacht gefroren hat. Sie fürchten den Regen, den Wind, die Dürre und verlangen, daß Wasser, Bewölkung und Hitze sich nach ihren Wünschen richten. Ein fortwährender Zwiespalt herrscht zwischen dem Himmel und den irdischen Interessen. Das Barometer schafft betrübte oder heitere oder zufriedene Gesichter. Hier in der alten Straße, der einstigen Hauptstraße von Saumur, wandert der Ausruf ›Ein goldenes Wetter!‹ von Haus zu Haus. Und jedermann erwidert seinem Nachbar: ›Es regnet Goldstücke!‹ im vollen Bewußtsein, was ein Sonnenstrahl, was ein rechtzeitiger Regenguß ihm bedeutet.

      In der schönen Jahreszeit gegen Samstagmittag werdet ihr jedoch bei diesen braven Händlern nicht für einen Sou mehr Ware bekommen. Ein jeder hat seinen Weingarten, seinen Landsitz, und ist für zwei Tage hinausgepilgert. Dort ist alles, Einkauf wie Verkauf und Gewinn vorhersehbar, und so sehen sich die Kaufherren in der angenehmen Lage, zehn Stunden von zwölf in behaglichem Spiel, beschaulicher Betrachtung, Klatsch und dauerndem Herumspionieren verbringen zu können. Keine Hausfrau kann ein Rebhuhn kaufen, ohne daß die Nachbarn den Eheherrn nachher fragen, ob es auch gut zubereitet worden sei. Kein junges Mädchen kann aus dem Fenster blicken, ohne von all den müßigen Gruppen gesehen zu werden. Und wie diese schwarzen und schweigsamen Häuser keine Geheimnisse bergen, so liegen hier Seele und Gewissen offen zutage. Das Leben spielt sich fast ganz im Freien ab. Jede Familie sitzt vor ihrer Türe; hier nimmt man die Mahlzeiten ein, hier unterhält und zankt man sich. Niemand kann auch nur unbemerkt über die Straße gehen. Es war wohl schon immer so: wenn ein Fremder in ein Provinzstädtchen kam, so wurde über ihn von Tür zu Tür geklatscht. Daher stammen so manche nette Geschichtchen, daher auch der Spitzname ›die Alleswisser‹, den man den Einwohnern Angers' anhängte, die Meister waren im Stadtklatsch.

      Die alten Paläste der Altstadt liegen an der Höhe der Straße und wurden einst vom Adel des Landes bewohnt. Auch das sehr melancholisch aussehende Haus, das der Schauplatz vorliegender Erzählung ist, war der ehrwürdige Rest eines Jahrhunderts, da Menschen und Dinge noch den Charakter der Einfachheit trugen, den die französischen Sitten von Tag zu Tag mehr verlieren.

      Folgt ihr den Windungen dieser malerischen Straße, wo jedes noch so unbedeutende Geschehnis ein Erinnern wachruft an längst entschwundene Zeiten, dieser Straße, die uns zum Träumen verleitet, so werdet ihr schließlich an eine dunkle Tornische gelangen; hier, tief im Torbogen verborgen, befindet sich die Tür zum ›Hause Grandet‹. Es ist nicht möglich, die volle Bedeutung dieser kleinstädtischen Bezeichnung zu verstehen, ohne die Lebensgeschichte von Monsieur Grandet zu erzählen.

      Monsieur Grandet genoß in Saumur ein Ansehen, das nur der begreifen wird, der vertraut ist mit dem Leben in der Provinz. Monsieur Grandet – einige Greise, deren Anzahl sich jedoch spürbar verringerte, nannten ihn sogar noch ›Vater Grandet‹ – war im Jahre 1789 ein wohlhabender Böttchermeister, der lesen, schreiben und rechnen konnte. Als die Französische Republik im Bezirk von Saumur die Besitzungen der Geistlichkeit zu Verkauf brachte, hatte der damals vierzigjährige Böttcher soeben die Tochter eines reichen Holzhändlers geheiratet. Versehen mit seinen flüssigen Geldern und dem Heiratsgut, versehen mit rund zweitausend Louisdors, begab sich Grandet in diesen Distrikt. Hier gelang es ihm dank der zweihundert Doppellouis, womit sein Schwiegervater das Wohlwollen des rohen Republikaners gewann, der den Verkauf des Nationalgrundbesitzes überwachte, für ein Butterbrot und gesetzmäßig – wenn auch nicht rechtlich – in den Besitz der schönsten Weingärten des Bezirks, einer alten Abtei und einiger Meierhöfe zu kommen.

      Die Bewohner von Saumur waren wenig revolutionär gesinnt, daher erschien ihnen der Vater Grandet als ein kühner Mann, ein Republikaner, ein Patriot – als ein Geist, der den neuen Anschauungen huldigte, wohingegen der Böttchermeister nur mit den Weinbergen liebäugelte. Er wurde in die Distriktverwaltung gewählt, und sein beruhigender Einfluß machte sich bald in Politik wie Handel bemerkbar. In der Politik beschützte er den alten Adel und verhinderte mit aller Macht den Verkauf der Besitzungen der Emigranten. Im Handel lieferte er den republikanischen Armeen ein- oder zweitausend Faß Weißwein und ließ sich in herrlichen Wiesen bezahlen, die ehemals einem Nonnenkloster gehörten und die man bis zuletzt für einen günstigen Verkauf aufgespart hatte.

      Unter dem Konsulat wurde der Biedermann Grandet Bürgermeister, regierte weise – kelterte aber noch besser. Unter dem Kaiserreich wurde er wieder Monsieur Grandet. Napoleon liebte die Republikaner nicht: er ersetzte Monsieur Grandet, von dem es hieß, daß er zuzeiten die Jakobinermütze getragen habe, durch einen Großgrundbesitzer, einen ›Monsieur de‹, einen späteren Baron des Kaiserreichs.

      Grandet verließ den ehrenvollen Amtsdienst ohne Bedauern. Er hatte, im Interesse der Stadt natürlich, dafür gesorgt, daß ausgezeichnete Wege gebaut wurden, die nun die Stadt mit seinen Landsitzen verbanden. Seine vorteilhaft in den Grundbüchern eingetragenen Liegenschaften waren mit geringen Steuern belastet. Dank der fortgesetzten Fürsorge, die er seinen Weingütern widmete, waren sie bald ›die Krone der Gegend‹ geworden – ein terminus technicus für diejenigen Weingüter, die den hervorragendsten Wein lieferten. Er hätte das Kreuz der Ehrenlegion beanspruchen können, das er auch später, im Jahre 1806, erhielt. Damals zählte Grandet siebenundfünfzig Jahre und seine Frau etwa sechsunddreißig. Eine einzige Tochter, die Frucht ihrer legitimen Liebe, war zehn Jahre alt.

      Die Vorsehung wollte zweifellos Grandet für den Verlust seines Amtes trösten: er beerbte nacheinander Madame de la Gaudinière, geborene de la Bertellière, Mutter von Madame Grandet, dann den alten Monsieur de la Bertellière, Vater der Verstorbenen, und ferner Madame Gentillet, die Großmutter mütterlicherseits – drei Erbschaften, deren Umfang niemand bekannt war. Der Geiz jener drei greisen Leute war so leidenschaftlich gewesen, daß sie ihr Geld aufgehäuft hatten, nur um sich im geheimen an seinem Anblick zu erbauen. Der alte Monsieur de la Bertellière nannte eine Kapitalsanlage ›Verschwendung‹ und fand eine weit größere Befriedigung im Anblick des Goldes als in den Segnungen des Wuchers. Die Stadt Saumur berechnete also die Höhe von Grandets Vermögen nach den Einkünften seines Grundbesitzes.

      Grandet erhielt nun das neue Adelsprädikat, das unser Gleichheitssystem niemals auslöschen kann: er wurde der höchstbesteuerte Bürger des Bezirks. Er besaß etwa hundert Morgen Weinland, die ihm in fruchtbaren Jahren sieben- bis achthundert

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