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Morgen Wiesenland, auf dem dreitausend im Jahre 1793 gepflanzte Pappeln wuchsen und gediehen. Außerdem war das Haus, das er bewohnte, sein Eigentum.

      So hatte man sein sichtbares Vermögen eingeschätzt. Was sein Kapital anbetraf, so gab es nur zwei Personen, die dessen Umfang einigermaßen abschätzen konnten. Der eine war Monsieur Cruchot, der Notar, der beauftragt war, das Geld Grandets zu verwalten; der andere war Monsieur des Grassins, der reichste Bankier von Saumur, an dessen Unternehmungen sich der Weinbauer nach Gefallen und insgeheim beteiligte. Sowohl der alte Cruchot wie Monsieur des Grassins besaßen die tiefe Diskretion, die eine Folge ist von Reichtum und Selbstvertrauen; aber sie erzeigten Monsieur Grandet öffentlich so hohen Respekt, daß es nicht schwerfiel, das Kapital des ehemaligen Bürgermeisters nach der übertriebenen Unterwürfigkeit, mit der man ihm begegnete, einzustufen. Es gab niemanden in Saumur, der nicht überzeugt war, daß Grandet einen geheimen Schatz besitze – ein Versteck voller Louisdors – und sich nächtlicherweile der unvergleichlichen Entzückung hingebe, die der Anblick einer großen Menge Goldes zu bereiten vermag. Die Geizhälse waren dessen sogar gewiß: sie brauchten nur dem Biedermann in die Augen zu blicken, denen das gelbe Metall seinen eigenartigen Glanz mitgeteilt zu haben schien. Der Blick eines Mannes, der gewohnt ist, aus seinen Kapitalien enormen Nutzen zu ziehen, bekommt notwendigerweise, gleich dem Blick des Lüstlings, des Spielers, des Diplomaten, einen charakteristischen Ausdruck, eine verstohlene Habgier, die den Gleichgesinnten kaum entgeht. Diese Geheimsprache der Augen bildet gewissermaßen die Freimaurerei der Leidenschaften.

      Monsieur Grandet flößte also die ergebene Hochachtung ein, die ein Mann, der niemals irgendwem etwas schuldete, beanspruchen konnte. Der alte Böttcher und Weinbauer berechnete mit der Genauigkeit des Astronomen, ob es für die Unterbringung seiner Ernte tausend Ohmfässer oder nur fünfhundert herzustellen galt. Er versäumte niemals eine Spekulation, hatte stets Fässer zu verkaufen, wenn der Wert des Fasses den Wert seiner eigenen Ernte überstieg; er konnte seine Weinernte in seinen weiten Kellern einlagern und geduldig den Zeitpunkt abwarten, an dem er sein Ohmfaß für zweihundert Francs verkaufen konnte, während die kleinen Weinbauern ihres für fünf Louis abgeben mußten. Seine berühmte Ernte von 1811, weise gekeltert und vorsichtig verkauft, hatte ihm mehr als zweihundertvierzigtausend Francs eingebracht. Er hatte als Finanzmann viel vom Tiger und der Boa: er wußte sich hinzulegen, zu ducken, wußte sein Opfer zu belauern, zu überfallen; dann öffnete er den Rachen seiner Börse, ließ sie eine Summe Taler verschlingen – und legte sich befriedigt zur Ruhe, gleich der Schlange, die kaltblütig und planmäßig verdaut. Niemand, der ihm auf der Straße begegnete, konnte vermeiden, von Bewunderung, Ehrfurcht und Grauen erfaßt zu werden. Hatte denn nicht ein jeder in Saumur den zerreißenden Griff seiner stählernen Klauen zu fühlen bekommen? Diesem hatte Meister Cruchot das nötige Geld zum Ankauf einer Domäne verschafft, aber zu elf Prozent; jenem hatte Monsieur des Grassins Wechsel diskontiert, aber mit einem ungeheuren Vorabzug der Zinsen. Es vergingen wenige Tage, ohne daß der Name Grandets genannt wurde, sei es nun auf dem Markt oder während des abendlichen Stadtklatsches. Manchem Bürger von Saumur war das Vermögen des alten Weinbauers Gegenstand patriotischen Ehrgeizes, und mehr als ein Kaufmann, mehr als ein Gastwirt sagte zu einem gelegentlich Durchreisenden mit großer Befriedigung: ›Monsieur, wir haben hier so zwei bis drei Millionärshäuser; was aber Monsieur Grandet anbetrifft, so kennt er selber nicht einmal den Umfang seines Vermögens‹.

      Im Jahre 1816 schätzten die gewiegtesten Kalkulatoren Saumurs den Grundbesitz des Biedermanns auf etwa vier Millionen. Da er nun von 1793 bis 1817 als Durchschnittssumme jährlich hunderttausend Francs Bargewinn aus seinen Besitzungen ziehen mußte, so war es wahrscheinlich, daß er an Kapital eine fast ebenso große Summe besaß, wie seine Liegenschaften sie repräsentierten. Und wenn man beim Bostonspiel oder bei einem Gespräch über die Weingüter auf Monsieur Grandet zu sprechen kam, so sagten die würdigen Leute: ›Vater Grandet? . . . Ja, Vater Grandet dürfte gegen fünf bis sechs Millionen haben.‹ ›Da sind Sie klüger, als ich es bin; ich habe niemals das Gesamtkapital überblicken können‹, erwiderte Monsieur Cruchot oder Monsieur des Grassins, wenn sie diese Äußerung vernahmen.

      Sprach gelegentlich ein Pariser von Rothschild oder von Laffite, so fragten die Leute von Saumur, ob diese ebenso reich seien wie Monsieur Grandet. Versicherte ihnen dann geringschätzig lächelnd der Pariser, daß dem wohl so sein dürfte, so blickten sie einander mit ungläubigem Kopfschütteln an.

      Sein großes Vermögen bedeckte alle Handlungen dieses Mannes mit einem goldenen Mantel. Hatten früher gewisse Eigenheiten in seiner Lebensführung Gelächter und Spott erweckt, so waren Gelächter und Spott versiegt. Bei allem, selbst dem nebensächlichsten Tun, hatte Grandet die Autorität für sich. Sein Wort, seine Kleidung, seine Gesten, sein Augenblinzeln war Gesetz im Lande – in diesem Städtchen, wo ein jeder, nachdem er ihn studiert hatte, wie der Naturforscher die Äußerungen des Instinkts bei den Tieren studiert, die tiefgründige und stumme Weisheit selbst seiner primitivsten Handlungen zu erkennen Gelegenheit gehabt hatte.

      ›Der Winter wird rauh werden‹, sagte man, ›Vater Grandet hat seine Pelzhandschuhe angezogen; man muß Weinlese halten.‹ ›Der Vater Grandet kauft viel Lattenholz, es wird heuer eine gute Ernte geben.‹

      Grandet kaufte niemals Fleisch oder Brot. Seine Pächter brachten ihm jede Woche einen ausreichenden Vorrat an Kapaunen, Hühnern, Eiern, Butter und Getreide. Er besaß eine Mühle, deren Mieter außer Zahlung der Pacht die Verpflichtung hatte, eine bestimmte Menge Korn abzuholen und als Kleie und Mehl zurückzuliefern. Die Große Nanon, Grandets einzige und schon bejahrte Magd, buk selbst alle Sonnabende das für den Hausgebrauch nötige Brot. Grandet hatte sich auch mit seinen andern Pächtern, den Gemüsegärtnern, ins Einvernehmen gesetzt; sie mußten ihn mit Gemüse versorgen. An Obst aber erntete er selbst solche Mengen, daß er beträchtliche Mengen auf dem Markt zum Verkauf brachte. Sein Brennholz wurde von seinen Hecken geschnitten oder von den morschen, halbvermoderten Zäunen, die er aus seinen Feldrainen riß, genommen. Seine Pächter karrten es ihm zum Gebrauch zerkleinert nach Hause, stapelten es aus Unterwürfigkeit in seinem Holzschuppen auf und empfingen sein Dankeswort. Die einzigen seiner Ausgaben, die man kannte, waren die Anschaffung des geweihten Brotes, der Garderobe von Frau und Tochter und die Bezahlung ihrer Kirchenstühle, das Gehalt der Großen Nanon und das Verzinnen ihrer Kochtöpfe; ferner die Zahlung der Steuern, Ausgaben für Beleuchtung, für notwendige Baureparaturen, für die Nutzbarmachung seiner Ländereien. Er hatte unlängst sechshundert Morgen Waldgrund gekauft, den er vom Forstwächter eines Nachbarn bewachen ließ; dem Mann wurde dafür eine kleine Entschädigung versprochen. Erst seitdem er den Forst besaß, kam auch Wildbret auf seinen Tisch.

      Die Manieren Grandets waren sehr einfach. Er sprach wenig und drückte seine Gedanken gewöhnlich in kleinen gezierten Sätzen aus; er sprach mit leiser Stimme. Seit der Revolution, als er begann, die Blicke auf sich zu lenken, stotterte der Gute ganz erbärmlich, sobald er lange zu reden hatte oder ein Gespräch in Gang halten mußte. Dies zeitweise Stottern, das Unzusammenhängende seiner Rede, die Flut der Worte, in der er den Gedanken ertränkte, sein ersichtlicher Mangel an Logik, den man einer schlechten Erziehung zuschrieb – all das war erkünstelt und wird in dieser Erzählung durch einige Begebenheiten noch aufgeklärt werden. Im übrigen hatte er vier Redensarten, die – exakt wie algebraische Formeln – ihm dazu dienten, allen Schwierigkeiten in Handel und Wandel zu begegnen: »Ich weiß nicht, ich kann nicht, ich will nicht, wir werden sehen.« Er sagte niemals »ja« oder »nein« und gab nie eine Unterschrift. Sprach man mit ihm, so hörte er kaltblütig zu – immer in derselben Stellung: er stützte das Kinn in die rechte Hand und stemmte den rechten Ellbogen auf den linken Handrücken; so hörte er zu und bildete sich von allem eine bestimmte Ansicht, von der er nicht mehr abzubringen war. Er bedachte den geringfügigsten Handel lange und gründlich. Wenn sein Gegner ihm, nach eingehendem Gespräch, das Geheimnis seiner Forderung preisgegeben hatte, im Glauben, ihn nun fest zu haben, so erwiderte er ihm: »Ich kann nichts abmachen, ohne mit meiner Frau Rücksprache genommen zu haben.«

      Seine Frau, die er sich bis zur Erniedrigung unterworfen hatte, war in Geschäften sein allerbequemster Windschirm. Er besuchte niemanden und liebte es nicht, Einladungen ergehen zu lassen, noch solchen Folge zu leisten. Er war niemals lärmend; er schien alles auf das Notwendige beschränken zu wollen, sogar seine Bewegungen. Auch bei anderen brachte er niemals etwas in Unordnung, einen so ausgeprägten Respekt hatte er vor dem Eigentum

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