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seit er seiner Frau die letzten sechs Francs gegeben habe; dann stiftete er ihr ein Nadelgeld vom Erlös seiner Jahresernte. Die vier oder fünf Louisdors des Holländers oder Belgiers, der Grandets Weinlese kaufte, bildeten die hauptsächlichsten Einkünfte von Madame Grandet. Aber oft, wenn sie ihre fünf Louis erhalten hatte, sagte ihr Gatte – so, als ob sie gemeinsame Kasse führten: »Kannst du mir ein paar Sous leihen?« Und die arme Frau war glücklich, einem Mann gefällig sein zu können, den ihr Beichtvater als Herrn und Meister über sie gesetzt hatte, und im Laufe des Winters gab sie ihm von ihrem Nadelgeld so manchen Taler wieder heraus.

      Wenn Grandet das Hundertsousstück aus der Tasche zog, das er seiner Tochter monatlich für kleine Privatausgaben, wie Garn und Nadeln und ähnliches, ausgesetzt hatte, so versäumte er nie, sich an seine Frau zu wenden: »Und du, die Mutter, willst du irgend etwas?« »Lieber Mann«, erwiderte Madame Grandet mit mütterlicher Würde, »das wird sich gelegentlich ergeben.« Verschwendeter Zartsinn! Grandet hielt sich für sehr nobel seiner Frau gegenüber.

      Haben sie da nicht recht, die Philosophen, die solch einer Nanon oder Eugénie oder Madame Grandet begegnen – haben sie nicht recht, wenn sie sagen, daß die Ironie der grundlegendste Charakterzug der Vorsehung sei?

      Nachdem dieses Abendessen, wo zum erstenmal von Eugénies Heiratsfähigkeit die Rede gewesen, beendet war, holte Nanon aus Monsieur Grandets Zimmer eine Flasche Johannisbeerlikör und hatte das Mißgeschick, beim Heruntersteigen der Treppe auszugleiten und hinzufallen.

      »Du Schaf«, rief ihr Herr ihr zu, »stolperst du auch schon wie die andern, wie?«

      »Das ist immer die eine Stufe, Monsieur – da, wo das Brett locker ist.«

      »Sie hat recht«, bemerkte Madame Grandet; »du hättest sie schon lange in Ordnung bringen sollen. Gestern hätte Eugénie sich fast den Fuß verstaucht.«

      »Halt«, sagte Grandet, als er sah, daß Nanon ganz blaß war, »da heute Eugénies Geburtstag ist und du dir Schaden getan hast, sollst du ein Gläschen Likör bekommen; das wird dir gut tun.«

      »Ja, das hab ich diesmal redlich verdient«, sagte Nanon.

      »Manch einem andern wäre wohl die Flasche in Scherben gegangen; aber ich hielt sie in die Höhe und hätte mir lieber den Arm gebrochen.«

      »Die arme Nanon«, sagte Grandet, als er ihr den Likör einschenkte.

      »Hast du dir weh getan?« fragte Eugénie, sie aufmerksam betrachtend.

      »Nein, ich habe mich auf den Hintern gesetzt.«

      »Na«, sagte Grandet, »weil also Eugénies Geburtstag ist, so will ich euch eure Treppenstufe ausbessern; ihr versteht eben alle nicht, den Fuß in der Ecke aufzusetzen, dort, wo sie noch fest ist.«

      Grandet nahm das Licht, ließ Frau, Tochter und Magd bei der spärlichen Beleuchtung des Kaminfeuers zurück und ging in das Backhaus, um Bretter, Nägel und Werkzeug zu holen.

      »Sollen wir Ihnen helfen?« rief Nanon, als sie ihn auf der Treppe hämmern hörte.

      »Nein, nein! Darauf versteh ich mich allein«, erwiderte der frühere Böttchermeister.

      Gerade jetzt, als Grandet eigenhändig seine morsche Treppe reparierte und in Erinnerung an seine Jugendzeit aus vollem Halse dazu pfiff, pochten die drei Cruchots ans Tor.

      »Sind Sie es, Monsieur Cruchot?« fragte Nanon, durchs Gitterfensterchen blickend.

      »Ja!« erwiderte der Präsident.

      Nanon öffnete die Tür. Der Widerschein des Kaminfeuers, der durch die Halle irrte, erlaubte den drei Cruchots, den Eingang zum Saal zu überblicken.

      »Ah! Sie sind Festbesucher«, sagte Nanon, die die Blumen roch.

      »Entschuldigen Sie, Messieurs«, rief Grandet, der die Stimmen seiner Freunde erkannte, »ich stehe gleich zu Diensten. Ich bin nicht hochmütig, wie Sie sehen – repariere meine Treppe selber.«

      »Nur zu, nur zu, Monsieur Grandet! Zu Hause ist auch ein Köhler Bürgermeister«, sagte der Präsident geziert und lachte über seinen Witz, den niemand verstand.

      Madame und Mademoiselle Grandet erhoben sich.

      Der Präsident machte sich die augenblickliche Dunkelheit zunutze und wandte sich an Eugénie: »Mademoiselle, gestatten Sie mir, Ihnen heute – an Ihrem Geburtstag – eine Reihe glücklicher Jahre zu wünschen und den Fortbestand der Gesundheit, derer Sie sich zur Zeit erfreuen.«

      Er überreichte ihr nun seinen großen Strauß seltener Blumen; dann ergriff er die Erbin bei den Ellbogen und küßte sie auf beide Seiten des Halses – mit einem Wohlgefallen, das Eugénie schamrot machte.

      Der Präsident, der mit seinem braunroten Kopf aussah wie ein dicker rostiger Nagel, suchte ihr auf diese Weise seine Verehrung zu bezeigen.

      »Genieren Sie sich nicht, Monsieur le Président«, sagte Grandet beim Wiedereintreten. »Wie eifrig Sie an so einem Festtag sind!«

      »Oh! In Mademoiselle Eugénies Gesellschaft wäre meinem Neffen wohl jeder Tag ein Festtag«, bemerkte der Abbé Cruchot hinter seinem Blumenstrauß hervor. Dann küßte der Abbé Eugénie die Hand.

      Der Notar Cruchot aber küßte das junge Mädchen mit aufrichtiger Herzlichkeit auf beide Wangen und sagte: »Wie das uns weiterschiebt, voranbringt! Jedes Jahr zwölf Monate . . .«

      Grandet, der nie eines selbsterfundenen Scherzes müde wurde, sondern ihn bis zum Überdruß wiederholte, wenn er ihm besonders gefiel, stellte das Licht auf den Kaminsims zurück und sagte: »Da heute Eugénies Geburtstag ist, wollen wir die Armleuchter anzünden.«

      Er hob sorgsam aus jedem Leuchter den gewundenen Rosenast heraus, setzte die Lichtdille in das Fußgestell ein, ließ sich von Nanon eine zweite, am Ende mit einem Papierstreifchen umwickelte Kerze reichen, drückte sie ins Loch, preßte sie fest und zündete sie an; dann setzte er sich neben seine Frau und betrachtete abwechselnd den Besuch, seine Tochter und die beiden Kerzen.

      Der Abbé Cruchot, ein kleiner, dicker Mann mit einer fuchsroten glatten Perücke, streckte seine Füße, die in derben, mit Silberschnallen gezierten Schuhen steckten, behaglich von sich und sagte: »Die des Grassins sind nicht gekommen?«

      »Noch nicht«, antwortete Grandet.

      »Aber sie werden kommen?« forschte der alte Notar und verzerrte sein pockennarbiges Gesicht zu einer fragenden Grimasse.

      »Ich glaube wohl«, erwiderte Madame Grandet.

      »Ist Ihre Weinlese beendet?« wandte sich der Präsident de Bonfons an Grandet.

      »Überall!« sagte der alte Weinbauer, indem er sich erhob und im Zimmer auf und ab zu schreiten begann. Und er reckte die Brust mit einem Selbstbewußtsein, das trefflich zu dem dünkelhaften Tonfall seines »Überall« paßte.

      Da gewahrte er durch die offene Flurtür, die in die Küche führte, die Große Nanon, die beim Herdfeuer saß, ein Licht neben sich hatte und spann. Sie hatte sich hierher zurückgezogen, um die Festgesellschaft nicht zu stören.

      »Nanon«, rief er, in den Flur hinaustretend, »willst du wohl dein Feuer ausmachen und dein Licht und sofort zu uns kommen! Der Saal ist wahrhaftig groß genug für uns alle!«

      »Aber, Monsieur, Sie bekommen vornehme Gäste.«

      »Bist du ihrer nicht ebenbürtig? Sie stammen alle von Adam ab, gerade wie du.«

      Grandet trat zum Präsidenten zurück und fragte: »Haben Sie Ihre Ernte verkauft?«

      »Nein, nein! Ich behalte sie. Ist der Wein heuer gut, so wird er in zwei Jahren noch besser sein. Sie wissen es ja: die Weingutsbesitzer haben sich geschworen, nicht von den einmal geforderten Preisen abzuweichen; diesmal werden die Belgier nicht den Sieg davontragen! Wenn sie unsern Wein brauchen, werden sie wiederkommen.«

      »Ja; aber halten wir uns wacker«, sagte Grandet in einem Ton, der den Präsidenten erbeben machte.

      ›Sollte er schon in Unterhandlungen stehen?‹ fragte sich Cruchot im stillen.

      In diesem Augenblick verkündete der Hammerschlag des Türklopfers

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