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anzutreffen; er gedachte in den Waldungen des Onkels Treibjagden zu veranstalten und überhaupt ein Herrenleben zu führen. Er hatte nicht erwartet, den Onkel in Saumur anzutreffen, wo er nur nach ihm gefragt hatte, um den Weg nach Froidfond zu erkunden; da er ihn nun aber in der Stadt wußte, erwartete er, ihn in einem Palast zu sehen. Um sich also bei seinem Onkel – sei es in Saumur, sei es in Froidfond – passend einzuführen, hatte er die koketteste Reisekleidung angelegt – nein, die auserlesenste, die ›anbetungswürdigste‹, um das Wort zu gebrauchen, das zu jener Zeit die äußerste Vollkommenheit einer Sache oder eines Menschen ausdrückte.

      In Tours hatte ein Coiffeur sein schönes kastanienbraunes Haar frisch gelockt; er hatte die Wäsche gewechselt und eine schwarzseidene Krawatte angelegt, die sich mit einem runden Kragen verband, um sein zartes und strahlendes Gesicht angenehm zu umrahmen. Ein halboffener Reiseüberrock umschnürte seine Taille und ließ eine Kaschmirweste sehen, unter der eine andere, weiße Weste hervorblinkte. Seine Uhr war mit einer goldenen Kette an einem der Westenknöpfe befestigt. Seine grauen Hosen waren an den Seiten geknöpft, und schwarze Seidenstickereien verschönten die Nähte. Er handhabte anmutig einen Spazierstock, dessen goldene Krücke der Frische seiner grauen Handschuhe keinen Schaden tat. Seine Reisemütze endlich war von auserlesenem Geschmack.

      Ein Pariser, nur ein Pariser aus den allerersten Kreisen konnte sich so herausstaffieren, ohne lächerlich zu erscheinen und allen diesen Nichtigkeiten eine alberne Einheitlichkeit zu geben. Im übrigen machte Charles einen selbstbewußten Eindruck, den Eindruck eines jungen Mannes, der schöne Pistolen, eine sichere Hand und – eine Annette besitzt.

      Wer also die Überraschung sowohl der Saumuraner als des jungen Parisers ganz verstehen, das grelle Licht, das die übertriebene Eleganz des Fremden auf die grauen Schatten des Saales und der Anwesenden warf, recht deutlich sehen will, der versuche einmal, sich die Cruchots vorzustellen. Alle drei schnupften Tabak, und es fiel ihnen schon seit langem nicht mehr ein, die Nasentropfen abzuwischen oder die schwarzen Krümelchen zu entfernen, mit denen der Brustteil ihrer schmutziggrauen Hemden und ihre zerdrückten Kragen übersät waren. Ihre dünnen Krawatten umwanden ihren Hals wie Stricke. Ihr ungeheurer Wäschevorrat, der ihnen gestattete, nur zweimal im Jahre waschen zu lassen, hatte zur Folge, daß selbst die saubere Wäsche durch langes Lagern alt und grau aussah. Sie hatten alle drei einen banalen Geschmack und viel Greisenhaftes. Ihre Gesichter waren ebenso verfleckt wie ihre verschnupften Gewänder, ebenso verdrückt wie ihre Hosen; sie erschienen zusammengeschrumpft und fratzenhaft. Die allgemeine Vernachlässigung der anderen Kleidungsstücke, alle waren abgetragen und paßten nicht zueinander, wie das in der Provinz so ist, wo man unmerklich dahin gelangt, daß die einen sich nicht mehr für die anderen kleiden und auf den Preis eines Paars Handschuhe achten, stimmte mit der Gleichgültigkeit der Cruchots überein. Der Abscheu vor der Mode war der einzige Punkt, in dem die Grassinisten und die Cruchotaner einander vollkommen verstanden.

      Führte der Pariser sein Glas ans Auge, um die einzelnen Einrichtungsgegenstände des Saales in Augenschein zu nehmen: die Balken der Decke, die braune Holzverkleidung der Wände oder die Punkte, welche die Fliegen darauf hinterlassen hatten und deren Zahl sicherlich ausgereicht hätte, um die ›Encyclopédie méthodique‹ und den ›Moniteur‹ zu punktieren – sogleich erhoben die Lottospieler die Nase und betrachteten ihn ihrerseits mit ebensoviel Neugier, als ob sie eine Giraffe vor sich hätten.

      Auch Monsieur des Grassins und sein Sohn, denen ein Modegeck nichts Unbekanntes war, beteiligten sich am Staunen der andern, sei es, daß die allgemeine Stimmung auch sie in ihren Bann zog, sei es, daß es ihnen wohltat, den andern durch bedeutsame Blicke zu verstehen zu geben: ›So sind sie in Paris.‹

      Übrigens konnten sich alle der Betrachtung Charles' hingeben, ohne Besorgnis, dem Herrn des Hauses zu mißfallen. Grandet war in die Lektüre eines langen Briefes vertieft, zu welchem Zweck er sich rücksichtslos der einzigen Kerze bemächtigt hatte.

      Eugénie, die noch nie im Leben einen so reizenden Menschen, eine so prächtige Kleidung gesehen hatte, glaubte in ihrem Cousin ein höheres Wesen zu erblicken. Sie sog mit Entzücken den Duft ein, der seinen lieblich gelockten Haaren entströmte. Sie hätte gar zu gern das seidenweiche Leder seiner feinen Handschuhe berührt. Sie beneidete Charles um seine kleinen Hände, um die Frische und Zartheit seines Teints. Es war ganz selbstverständlich, daß der junge Élégant auf Eugénies schlichtes Gemüt einen so tiefen Eindruck machte. Ihr Leben hatte sich hier unter den dunklen Deckenbalken abgespielt, im ewigen Einerlei der Arbeit. Tagein, tagaus stopfte sie Strümpfe, flickte sie die Anzüge ihres Vaters und hatte als einzige Ablenkung die Aussicht auf die stumme Straße, ohne doch in der Stunde mehr als einen Vorübergehenden zu erblicken. Der Anblick ihres Cousins erweckte in ihr etwa dieselben Entzückungen, die einem jungen Mann die traumhaften Frauengestalten Westalls bereiten, die so fein gestochen sind, daß man fürchtet, ein starker Atemzug könnte die himmlischen Wesen fortblasen.

      Charles zog nun ein Taschentuch hervor, das die vornehme Dame, die jetzt in Schottland reiste, ihm gestickt hatte. Als Eugénie diese hübsche Arbeit gewahrte, die Annette in Stunden der Liebe angefertigt hatte, blickte sie voll Aufmerksamkeit zum Cousin auf, um zu sehen, ob er sich wirklich dieses Tuches profanerweise zu bedienen gedenke. Die Manieren Charles', seine Gesten, die Art, wie er das Lorgnon handhabte, seine erkünstelte Dreistigkeit, seine offensichtliche Verachtung für das Kästchen, das der Erbin so ungeheure Freude bereitet hatte und das er wohl wertlos oder geschmacklos fand, kurz alles, was die Cruchots und die des Grassins empörte, gefiel ihr so gut, daß sie vor dem Einschlafen noch lange von diesem Phönix aller Cousins träumen mußte.

      Das Spiel ging sehr langsam vonstatten, und bald wurde es ganz unterbrochen. Die Große Nanon trat ein und sagte laut: »Madame Grandet, ich brauche Wäsche, um Monsieur das Bett zu richten.«

      Madame Grandet erhob sich und folgte Nanon hinaus. Nun sagte Madame des Grassins mit leiser Stimme: »Behalten wir unsere Sous und hören wir auf zu spielen.«

      Jeder nahm aus der alten zerbrochenen Untertasse seine zwei Sous wieder heraus. Dann erhob sich die ganze Gesellschaft und machte eine Viertelschwenkung zum Feuer.

      »Sie haben aufgehört?« sagte Grandet, ohne von seinem Brief aufzublicken.

      »Ja, ja«, erwiderte Madame des Grassins, indem sie neben Charles Platz nahm.

      In Eugénie hatte dies erste Zuneigungsgefühl einen Gedanken geweckt, den wohl alle jungen Mädchen im gleichen Fall haben. Sie verließ den Saal, um ihrer Mutter und Nanon zu helfen. Wäre sie jetzt von einem eifrigen Beichtvater ins Gebet genommen worden, so hätte sie zweifellos zugegeben, daß es ihr weder um ihre Mutter noch um Nanon zu tun sei, daß sie vielmehr ein quälendes Verlangen habe, das Zimmer des Cousins in Augenschein zu nehmen, sich für den Cousin zu betätigen. Sie wollte Ordnung schaffen, nachsehen, ob nichts vergessen sei, kurzum, das Zimmer so nett und sauber wie möglich herrichten. Schon hielt Eugénie sich allein für befähigt, den Geschmack des Cousins nachempfinden zu können.

      Sie kam tatsächlich gerade recht, um ihrer Mutter und Nanon, die alles getan zu haben meinten, nachzuweisen, daß noch gar nichts getan sei. Sie brachte die Große Nanon auf den Einfall, die kaltfeuchten Leintücher an einem Holzkohlenofen zu wärmen; sie bedeckte eigenhändig den alten Tisch mit einer sauberen Decke und schärfte Nanon ein, die Decke alltäglich durch eine frische zu ersetzen. Sie überzeugte ihre Mutter von der Notwendigkeit, im Kamin ein tüchtiges Feuer zu machen, und trug Nanon auf, einen Haufen Holz heraufzubringen und im Korridor aufzustapeln, dem Vater jedoch nichts davon zu sagen. Sie selbst lief in den Saal hinunter, nahm aus einem der Eckschränke ein altes Lacktablett, das aus der Hinterlassenschaft des alten Monsieur de la Bertellière stammte, ergriff ein sechseckig geschliffenes Glas, ein kleines vergoldetes Löffelchen, ein altertümliches Flakon, dem Amoretten eingraviert waren, und setzte das alles frohlockend in des Cousins Zimmer auf den Kaminsims. Sie hatte jetzt in einer Viertelstunde mehr Einfälle, als sie in ihrem ganzen bisherigen Leben gehabt hatte.

      »Mama«, sagte sie, »der Cousin wird den üblen Geruch eines Talglichtes nicht aushalten; wollen wir nicht eine Wachskerze kaufen? . . .«

      Leicht und heiter wie ein kleiner Vogel eilte sie in ihr Zimmer, holte ihre Geldbörse und entnahm derselben das Hundertsousstück, das sie für diesen Monat als Taschengeld erhalten hatte.

      »Hier, Nanon«, sagte

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