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erlauben kann, die gewissermaßen zu ihren gesellschaftlichen Pflichten gehören und die . . .«

      »Sie glauben?«

      »Sollen wir nicht alle versuchen, Madame, uns einander angenehm zu machen . . .? Gestatten Sie, daß ich mir die Nase schnäuze . . . Ich versichere Ihnen, Madame«, fuhr er fort, »daß er Sie mit etwas schmeichelhafterem Interesse betrachtete, als er für mich übrig hatte; aber ich verzeihe ihm, daß er der Schönheit vor dem Alter den Vorzug gab.«

      »Es ist klar«, hörte man nun die grobe Stimme des Präsidenten, »daß Monsieur Grandet in Paris seinen Sohn mit Heiratsplänen nach Saumur geschickt hat.«

      »Dann wäre der Cousin doch nicht so wie eine Bombe hereingeplatzt«, entgegnete der Notar.

      »Das besagt nichts«, bemerkte Monsieur des Grassins; »der gute Mann ist eben ein Geheimniskrämer.«

      »Des Grassins, mein Freund, ich habe ihn zum Diner eingeladen, den jungen Mann. Du mußt also gehen und Monsieur und Madame de Larsonnière bitten und die du Hautoy mit der hübschen Mademoiselle du Hautoy, wohlverstanden; vorausgesetzt allerdings, daß sie sich für diesen Tag gut kleidet. Ihre Mutter kleidet sie aus Eifersucht so schlecht. Ich hoffe, Messieurs, daß auch Sie uns die Ehre geben?« fügte Madame des Grassins hinzu und blieb stehen, um sich zu den beiden Cruchots zurückzuwenden. »Hier sind wir bei Ihnen angelangt«, sagte der Notar.

      Nachdem die drei Cruchots sich von den drei des Grassins verabschiedet hatten, begaben sie sich nach Hause; und mit dem Scharfsinn, den die Provinzler in so hohem Grade besitzen, beleuchteten sie das große Ereignis dieses Abends, dies Ereignis, das die Stellung sowohl der Cruchotaner wie der Grassinisten zu erschüttern drohte. Die großartige Schlauheit, die alle Handlungen dieser klugen Köpfe leitete, ließ hier wie da die Notwendigkeit einer augenblicklichen Verbindung gegen den gemeinsamen Feind als geboten erscheinen. Mußte man nicht einmütig verhindern, daß Eugénie sich in ihren Cousin verliebte, den Cousin verhindern, an seiner Cousine Gefallen zu finden? Konnte der Pariser all diesen widerlichen Einflüsterungen, den niederträchtigen Verleumdungen, der schmeichlerischen Hinterlist widerstehen – diesem ganzen, den Anschein der Aufrichtigkeit tragenden Lügengewebe, mit dem man ihn umstrickte, um ihn zu täuschen?

      Als die vier Glieder der Familie Grandet sich im Saal allein sahen, sagte Grandet zu seinem Neffen: »Es ist Schlafenszeit und nun zu spät, um noch von dem zu reden, was Sie hierher geführt hat; wir wollen morgen darauf zurückkommen. Wir frühstücken um acht Uhr, um zwölf essen wir etwas Brot und Obst und trinken ein Gläschen Weißwein, um fünf essen wir Mittag – ganz wie ihr Pariser. Das ist also die Tagesordnung: Sie haben Zeit und volle Freiheit, sich die Stadt und die Umgegend zu betrachten, nur müssen sie entschuldigen, wenn meine Geschäfte mir nicht immer gestatten, Sie zu begleiten. Sie werden hier vielleicht von mancher Seite hören, daß ich reich sei. Monsieur Grandet hier, Monsieur Grandet da! Ich lasse sie reden, die Leute; ihr Geschwätz schadet nicht meinem Kredit. Aber ich habe keinen Sou, und ich arbeite in meinem Alter noch wie ein junger Bursche, der als einziges Gut ein schlechtes Planiermesser und zwei tüchtige Arme hat. Sie werden vielleicht bald selbst ermessen können, welchen Wert ein Taler hat, wenn man ihn im Schweiß erwerben muß. – Marsch, Nanon, die Lichter!«

      »Ich hoffe, lieber Neffe, daß Ihnen nichts mangeln wird in Ihrem Zimmer«, sagte Madame Grandet. »Sollten Sie aber irgend etwas vermissen, so rufen Sie Nanon.«

      »O liebe Tante, das dürfte überflüssig sein; ich glaube, ich habe alles, was ich brauche, mitgebracht. Gestatten Sie mir, Ihnen sowie meiner lieben Cousine eine gute Nacht zu wünschen.«

      Und Charles empfing aus den Händen Nanons eine Wachskerze; eine Kerze, die im Laden gealtert und gelb und runzlig geworden war, so daß sie ganz einem Talglicht glich. Dies hatte den Vorzug, daß Grandet, der das Vorhandensein einer Wachskerze im Hause nicht argwöhnte, diese Pracht gar nicht bemerkte.

      »Ich werde Sie führen«, sagte der Biedermann.

      Anstatt durch die große Saaltür in den Hausflur hinauszutreten, schritt Grandet durch den kleinen Gang, der den Saal mit der Küche verband. Eine selbstschließende Tür mit einer grünen ovalen Glasscheibe schloß diesen Gang nach der Treppe hin ab und diente dazu, den Wohnräumen die kalte Außenluft fernzuhalten. Im Winter aber half sie nichts gegen die eisige Zugluft, und obgleich die Saaltüren mit Filz ausgefüttert waren, so herrschte in dem weiten Raum nur selten eine behagliche Wärme.

      Nanon verriegelte das Haustor, schloß die Saaltüren und begab sich in den Stall, um den Wolfshund von der Kette zu lassen, der so heiser bellte, als habe er eine Kehlkopfentzündung. Das überaus wilde Tier hatte sich nur an Nanon angeschlossen. Die beiden Kinder der freien Natur verstanden einander.

      Als Charles die altersgelben verrußten Mauern des Treppenhauses gewahrte und die morsche Treppe mit dem wurmstichigen Geländer, die unter den gewichtigen Schritten des Onkels erbebte, fühlte er sich sehr ernüchtert. War er hier nicht in einem Hühnerstall? Er blickte Tante und Cousine fragend an, aber sie waren an diese Treppe so gewöhnt, daß sie sein Erstaunen nicht bemerkten; sie erwiderten seinen Blick mit einem freundlichen Lächeln, das ihn ganz entmutigte.

      Was zum Teufel soll ich eigentlich hier? Was hat sich mein Vater nur gedacht?« fragte er sich.

      Im ersten Stockwerk angekommen, fielen ihm drei rot gestrichene Türen auf, die ohne jeden Holzrahmen direkt in der bröckeligen Mauer saßen. Sie waren mit benagelten Eisenbändern verziert, die wie Flammen über das Holz züngelten; auch die Schlösser der Türen waren von solchen Flammenzungen umrahmt. Die erste Tür oben an der Treppe, die in das über der Küche gelegene Zimmer führte, war augenscheinlich zugemauert. Tatsächlich war der dahinterliegende Raum nur von Grandets Schlafzimmer aus zu betreten. Es war sein Arbeitszimmer. Das einzige Fenster dieses Raumes führte auf den Hof und war mit mächtigen Eisenstäben vergittert. Niemand, Madame Grandet nicht ausgenommen, durfte hier eintreten; der Biedermann wollte hier allein sein, wie der Alchimist in seiner Schmelzküche. Sicherlich gab es in diesem Zimmer allerlei Geheimverstecke. Hier war es, wo die Besitztitel aufbewahrt wurden, hier hingen die Waagen zur Gewichtsprüfung der Louisdors, hier wurden nachts Quittungen und Empfangsscheine ausgeschrieben, Kalkulationen aufgestellt. Das geschah des Nachts und so geheim, daß die Händler, die Grandet stets vorbereitet fanden, sich einbilden konnten, er stehe mit einer Fee, einem Dämon in Verbindung. Hierher schlich sich wohl der alte Böttcher, wenn Nanon schnarchte, daß die Wände zitterten, wenn der Wolfshund drunten im Hofe wachte und bellte, und wenn seine Frau und Eugénie fest schliefen; hierher schlich er sich, um sein Geld zu streicheln, zu liebkosen, aufzustapeln und klingen zu lassen. Die Mauern waren massiv, die Fensterladen diskret. Er allein hatte den Schlüssel zu diesem Laboratorium, wo er, wie man sich erzählte, über Geländekarten brütete, in die alle seine Obstbäume eingezeichnet waren, deren Erträgnisse er bis auf den Ableger, bis auf das Reisigbündel genau vorherberechnete.

      Der Eingang zum Zimmer Eugénies lag der vermauerten Tür gegenüber. Ferner befanden sich auf diesem Flur die gemeinsamen Zimmer der Eheleute, die die ganze Front des Hauses einnahmen. Madame Grandet hatte ihr eigenes Zimmerchen neben demjenigen ihrer Tochter; diese beiden Räume waren durch eine Glastür miteinander verbunden. Das Zimmer des Hausherrn war von dem Gemach seiner Frau durch eine leichte Wand und vom Geheimkabinett durch eine dicke Mauer geschieden. Seinen Neffen hatte Vater Grandet im zweiten Stock einquartiert, in der hohen Mansarde, die gerade über seinem eigenen Zimmer lag, so daß er des jungen Mannes Kommen und Gehen kontrollieren konnte.

      Als Eugénie und ihre Mutter im ersten Stock angelangt waren, gaben sie einander den Gutenachtkuß, und nach einigen Abschiedsworten an Charles, die vielleicht ein wenig kalt klangen, aber der Tochter sicher aus heißem Herzen kamen, betraten sie ihre Stuben.

      »Hier sind Sie also in Ihrem Zimmer, lieber Neffe«, sagte Grandet zu Charles, ihm die Tür öffnend. »Wenn Sie nötig haben sollten, hinauszugehen, so rufen Sie Nanon. Ohne ihre Begleitung – alle Wetter! Der Hund würde Sie niederbeißen, ohne einen Mucks zu geben. Also gute Nacht, schlafen Sie wohl! – Ha, ha! Die Damen haben Ihnen ein Feuer gemacht«, setzte er hinzu.

      In diesem Augenblick erschien die Große Nanon mit einem Holzkohlenofen.

      »Da ist wieder eine!« sagte Grandet. »Haltet ihr meinen Neffen für eine Wöchnerin? Wirst du wohl mit

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