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seinen Sinn und seine Bedeutung, und es gestaltet eine Epoche des menschlichen Lebens. Ich will hier wiederholen, wenn auch in aller Kürze, was Felix Davin, ein junges Talent, das den schönen Künsten durch einen vorzeitigen Tod entrissen wurde, schrieb, nachdem er sich über meinen Plan erkundigt hatte. Die Szenen aus dem Privatleben geben die Kindheit und die Jugend mit ihren Fehltritten, wie die Szenen aus dem Provinzleben das Alter der Leidenschaften, der Berechnungen, der Interessen und des Ehrgeizes geben. Die Szenen aus dem Pariser Leben endlich zeigen das Gemälde der Neigungen, der Laster und all der Zügellosigkeiten, wie sie die den Hauptstädten eigenen Sitten entwickeln, denn dort begegnen einander der Gipfel des Guten und der Gipfel des Bösen. Jeder dieser drei Teile hat seine Lokalfarbe: Paris und die Provinz, dieser soziale Gegensatz hat ihre ungeheuren Hilfsquellen erschlossen. Nicht nur die Menschen, sondern auch die Hauptereignisse des Lebens formulieren sich nach Typen. Es gibt Situationen, die in allen Existenzen wiederkehren, typische Entwicklungsphasen; und darin genau zu sein gehört zu meinen am eifrigsten erstrebten Zielen. Ich habe auch versucht, von den verschiedenen Gegenden unseres schönen Landes einen Begriff zu geben. Mein Werk hat seine Geographie, wie es seine Genealogie und seine Familien hat, seine Orte und seine Dinge, seine Personen und seine Tatsachen; wie es auch seine Heraldik besitzt, seine Adligen und seine Bürger, seine Handwerker und seine Bauern, seine Politiker und seine Dandys und sein Heer, kurz, seine Welt.

      Nachdem ich in diesen drei Büchern das soziale Leben geschildert hatte, blieb mir noch übrig, die Ausnahmeexistenzen zu zeigen, die die Interessen mehrerer oder aller zusammenfassen, und die gewissermaßen außerhalb des allgemeinen Gesetzes stehen: daher die Szenen aus dem Leben der Politik. Und als dieses ungeheure Gemälde der Gesellschaft vollendet und beendigt war, mußte ich sie da nicht in ihrem gewalttätigsten Stande zeigen, wie sie aus sich heraustritt, sei es, um sich zu verteidigen, sei es, um zu erobern? Daher die Szenen aus dem Soldatenleben, der noch am wenigsten vollendete Teil meines Werkes, für den jedoch in dieser Ausgabe Platz gelassen wird, damit ich ihn einordnen kann, wenn er beendet ist. Schließlich sind gewissermaßen die Szenen aus dem Landleben der Abend dieses langen Tagewerks, wenn ich das soziale Drama so nennen darf. In diesem Buch finden sich die reinsten Charaktere und die Nutzanwendung der großen Prinzipien der Ordnung, der Politik und der Moral. Das ist das Fundament voller Gestalten, voller Komödien und Tragödien, auf dem sich die Philosophischen Studien aufbauen, der zweite Teil des Werkes, in dem das soziale Werkzeug aller Wirkungen nachgewiesen wird, in dem, Empfindung für Empfindung, die Verheerungen des Denkens geschildert sind, und dessen erster Band ›Das Chagrinleder‹, die Sittenstudien gewissermaßen mit den Philosophischen Studien verbindet, und zwar durch das Bindeglied einer fast orientalischen Phantasie, die das Leben selber im Kampf mit der Begierde zeigt, einem Kampf, der das Prinzip jeder Leidenschaft ist.

      Über ihnen sollen die analytischen Studien stehen, von denen ich nichts sagen will, da erst eine einzige veröffentlicht worden ist: Die Physiologie der Ehe.

      In der nächsten Zeit werde ich zwei weitere Werke dieser Art liefern. Zunächst die ›Pathologie des sozialen Lebens‹, dann die ›Physiologie der Lehrkörper‹ und die ›Monographie über die Tugend‹.

      Vielleicht wird man mir beim Anblick dessen, was noch zu tun bleibt, sagen, was meine Verleger schon gesagt haben: »Gott gebe Ihnen ein so langes Leben!« Ich wünsche mir nur, daß ich nicht weiter so von den Menschen und den Dingen gefoltert werde, wie ich gefoltert worden bin, seit ich diese furchtbare Arbeit unternommen habe. Ich habe eins für mich gehabt und danke Gott dafür: die größten Talente unserer Zeit, die schönsten Charaktere und aufrichtige Freunde, die im Privatleben so groß sind wie jene im öffentlichen Leben, haben mir die Hand gedrückt und zu mir gesprochen: »Mut!« Und weshalb sollte ich es nicht eingestehen, daß diese Freundschaften und die hie und da von Unbekannten erhaltenen Ermutigungen mir in meiner Laufbahn geholfen haben, und zwar sowohl gegen mich selbst wie gegen ungerechte Angriffe, gegen die Verleumdung, die mich so oft verfolgte, gegen die Entmutigung und gegen jene allzu lebhafte Hoffnung, deren Worte für die einer übertriebenen Eitelkeit gelten? Ich hatte beschlossen, Angriffen und Schmähungen stoische Unerschütterlichkeit entgegenzusetzen; aber in zwei Fällen machten feige Verleumdungen die Verteidigung notwendig. Wenn jene, die da verlangen, daß man Beleidigungen verzeiht, bedauern müssen, daß ich mein Geschick in der literarischen Fechtkunst zeigte, so sind doch auch manche Christen der Meinung, daß wir in einer Zeit leben, in der man beweisen sollte, daß das Schweigen auch der Großmut entspringen kann.

      Bei dieser Gelegenheit muß ich darauf aufmerksam machen, daß ich mich nur zu solchen Werken bekenne, die meinen Namen tragen. Außer der ›Menschlichen Komödie‹ sind von mir nur die ›Tolldreisten Geschichten‹, zwei Theaterstücke und vereinzelte Artikel vorhanden, die übrigens meine Unterschrift tragen. Ich mache hier Gebrauch von einem unbestreitbaren Recht. Aber die Ableugnung wird mir, selbst wenn sie Werke treffen sollte, an denen ich mitgearbeitet habe, weniger durch die Eitelkeit als die Wahrheit auferlegt. Wenn man mir weiterhin Bücher zuschreiben sollte, die ich, literarisch gesprochen, nicht als die meinen anerkenne, aber deren Eigentumsrechte mir anvertraut wurden, so würde ich hinfort nicht mehr widersprechen, und zwar aus demselben Grunde, aus dem ich den Verleumdern das Feld einräume.

      Die Unermeßlichkeit eines Planes, der zugleich die Geschichte und die Kritik der Gesellschaft, die Analyse ihrer Übel und die Erörterung ihrer Prinzipien umfaßt, berechtigt mich, so scheint es mir, meinem Werk den Titel zu geben, unter dem es heute erscheint: ›Die Menschliche Komödie‹. Ist es ehrgeizig, ist es nur gerecht? Darüber wird, wenn das Werk beendet ist, das Publikum entscheiden.

Paris, Juli 1842.

      Eugénie Grandet

Für Maria

      Du, deren Bild die schönste Zierde dieses Werkes ist, dein Name sei hier wie im Hause ein geweihter Buchsbaumzweig. Man kennt nicht den Baum, von dem er stammt, aber der Glaube hat ihn geheiligt, und fromme Hände ersetzen den welkenden durch neues Grün – zu Schutz und Segen des Hauses.

De Balzac

      In kleinen Städten findet man gar häufig Häuser, deren Anblick melancholisch stimmt, melancholisch wie das düsterste Kloster, wie die ödeste Heide oder die traurigste Ruine. Tatsächlich herrscht wohl auch in diesen Häusern das Schweigen des Klosters, die Unfruchtbarkeit der Heide und der Zerfall der Ruinen. Leben und Treiben vollziehen sich in ihnen so sacht, daß ein Fremder sie für unbewohnt halten könnte, würde er nicht plötzlich dem kalten Blick eines bleichen, starren Antlitzes begegnen, das die unbekannten Schritte ans Fenster gelockt haben.

      Eine derartige Melancholie beherrscht auch die Physiognomie eines Hauses in Saumur, das am Ende der Hügelstraße liegt, die zum Schloß hinaufführt. Diese jetzt wenig begangene Straße, die im Sommer drückend heiß, im Winter schneidend kalt und stellenweise sehr düster ist, hat viel Bemerkenswertes. Sie ist mit Kieselsteinen gepflastert und immer sauber und trocken; lang und schmal windet sie sich zwischen stillen friedsamen Häusern hin, die zur Altstadt gehören und vom Stadtwall überragt werden. Es gibt hier Häuser, Fachwerkbauten, die schon drei Jahrhunderte gesehen haben und noch nicht baufällig sind. Ihr malerischer Anblick erhöht den eigenartigen Reiz dieses Stadtviertels, das für Historiker wie für Künstler gleich interessant ist.

      Es ist schwer, an den Häusern hier vorüberzugehen, ohne die mächtigen Eichenbohlen zu bewundern, deren Enden meist bizarre Schnitzereien tragen und so das Erdgeschoß mit schwarzen Basreliefs krönen. Hier zeichnen schräge, mit Schieferplatten gedeckte Balken blaue Linien in gebrechliche Wände, und morsche Holzsäulen stützen ein Dach, dessen Schindeln von Sonne und Regen verdehnt und verbogen sind; dort grüßen verwitterte, geschwärzte Blumenbretter, deren zierliches Schnitzwerk kaum mehr erkennbar ist. Sie brechen fast zusammen unter der Last des Nelken- oder Rosenstöckchens, das irgendeine kleine Näherin ihnen anvertraute. Etwas weiter finden sich mit riesigen Nägeln beschlagene Haustore, auf denen das Genie unserer Vorfahren ein Stück Familiengeschichte in Hieroglyphen festgehalten hat, deren Sinn nie mehr entziffert werden kann. Da hat vielleicht ein Hugenotte sein Glaubensbekenntnis niedergelegt und ein Mitglied der Liga eine Verwünschung auf Heinrich IV. angebracht. Ein anderer Bürger suchte durch Insignien den Glanz seines Schöffenamtes festzuhalten. Die ganze Geschichte Frankreichs ist zu sehen. Neben dem Hause dort im bröckelnden Kalkbewurf erhebt sich der Palast eines Edelmanns. Der steinerne Torbogen zeigt noch die Spuren eines Wappens, das von den Revolutionen,

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