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gekommen. Der heutige Versuch mußte den letzten Beweis erbringen.

      Er saß vor der Apparatur und schüttete eine sorgfältig abgewogene Prise seines neusten Präparates in das Wasser einer hohlen Quarzkugel, die ihrerseits die Kugel des Heliumthermometers umgab.

      Er saß und verfolgte die Skala des Thermometers. Was sich hier etwa an neuer Materie bildete, konnte rechnungsmäßig nur Bruchteile eines Milligramms ausmachen. Aber die Energiemengen für die Schaffung auch dieser geringen Stoffmenge mußten gewaltig sein. Das Thermometer mußte ihm zuerst und unfehlbar Aufschluß geben, ob Praxis und Theorie auch wirklich übereinstimmten.

      So saß er und verfolgte den schmalen roten Weingeiststreifen, der das im Thermometer eingeschlossene Heliumgas von der Außenwelt abschloß.

      Das Thermometer fiel. Schon hatte es den Gefrierpunkt erreicht, und langsam, aber stetig wanderte der rote Faden in dem Thermometerrohr weiter nach unten. Jetzt begann sich die Quarzkugel, in der das Präparat arbeitete, mit einer Eisschicht zu überziehen. Bei der Berührung mit der Zimmerluft schlug sich der in dieser vorhandene Wasserdampf sofort als massives Eis an der Quarzwand nieder.

      Und immer noch fiel das Thermometer. Jetzt hatte es 100 Grad Kälte erreicht, jetzt stand es schon auf 180 Grad. Ein massiver, wohl einen halben Fuß starker Eisblock umgab bereits die ganze Apparatur.

      Ein eigenartiges Prasseln und Knattern ließ Georg Isenbrandt aufhorchen. Es klang, als ob jemand Schrotkörner auf den Fußboden fallen ließ.

      Schon zeigte das Heliumthermometer 250 Grad Kälte. Wo immer die Luft mit der Apparatur in Berührung kam, ging sie selbst sogleich in den flüssigen Zustand über, wurde dann fest und fiel zu Boden und verdampfte dort wieder nebelnd und brodelnd. Aber es wurde kalt und immer kälter auch im Zimmer bei diesem Vorgang. Georg Isenbrandt spürte die Kälte nicht. Wie gebannt hing sein Auge am Thermometer.

      … 260 Grad … 270 Grad … nur noch drei Grade trennten die Apparatur von dem absoluten Nullpunkt, bei dem jede Wärme erlischt, jeder Stoff in den festen Zustand übergeht.

      Ein Kältegefühl an den Knien ließ ihn aufschaudern. Er faßte mit der Hand nach dem Rockzipfel und brach ein Stück des feinen flämischen Tuches glatt ab. Die flüssige Luft hatte den Stoff durchtränkt und war schließlich in ihm gefroren.

      Achtlos warf er das Stück zur Seite. Nur noch das Thermometer interessierte ihn … 271 Grad … der rote Faden blieb plötzlich regungslos stehen. Der Alkohol war von der Kälte erreicht worden und zu einer massiven Stange gefroren. Jetzt aber sah er, wie die Heliumfüllung in Tropfen im Thermometer hinunterzufallen begann, wie das Heliumgas als feste Kruste an der Innenwand haftete.

      Der absolute Nullpunkt war erreicht. Auch der flüchtigste aller bekannten Stoffe, das Heliumgas, erlag dieser exzessiven Kälte und wurde starr und fest.

      Georg Isenbrandt ließ sich auf einen Sessel sinken. Minutenlang haftete sein Blick auf dem erstarrten Thermometer. Erst klar und fest. Dann wie träumend. Bilder und Szenen kommender Ereignisse zogen an seinem geistigen Auge vorüber. Fast plastisch sah er, was er bis dahin nur in kühnen Träumen zu hoffen gewagt hatte.

      Ein Rütteln an der Tür riß ihn aus seinen Gedanken.

      »Wer ist da?«

      »Ich! Wellington Fox.«

      »Einen Augenblick, Fox … sofort …«

      Georg Isenbrandt sprang auf und machte mit größter Schnelligkeit eine Dynothermlösung zurecht. Im nächsten Augenblick goß er sie über den Apparat aus und riß die Fenster auf. Dann ging er, die Tür zu öffnen.

      Wellington Fox stand vor ihm. Regennaß, triefend und kleine Wasserbäche hinter sich lassend.

      »Ein schandbares Wetter, Georg … d. h. für eure Siedlungen wohl das rechte. Aber höchst unangenehm für mich, der ich ohne Schirm und Regenmantel losgeflogen bin. Ich störe dich bei deinen Arbeiten? Du hast dich eingeschlossen …«

      »Nein, du störst mich nicht. Du kamst zu einer glücklichen Stunde …«

      »Glückliche Stunde!? … Du meinst, weil es hier endlich kräftig gießt. Seit vier Wochen kein Tropfen Regen hier. Jetzt der Mordsguß. Na! Es war wohl höchste Zeit … Ich habe allerlei gehört. Hier blieb es dürr, und woanders war der Regen zu reichlich. Menschenwerk bleibt Stückwerk. Richtig wird die Sache erst, wenn ihr eure Suppe auch den Mäulern vorsetzen könnt, die sie brauchen.«

      Georg Isenbrandt blieb unbewegt. Sein Gesicht zeigte gleichmäßige, freundliche Mienen. Dann sprach er:

      »Ja … das … sag mal, Fox, willst du nicht ablegen? Du triefst ja aus allen Nähten.«

      Wellington Fox schüttelte sich.

      »By Jove! Naß bin ich, aber eine sibirische Kälte ist hier bei dir. Draußen der schönste warme Mairegen, und hier … was hast du denn da auf dem Tisch?«

      Wellington Fox trat näher heran und betastete den in eine wogende Nebelwolke gehüllten Apparat.

      »Dampf? … Eis? … Ja … was … pfui, Teufel! … das ist ja kalt!«

      »Eis ist meistenteils kalt, lieber Fox.«

      Wellington Fox hauchte auf seine weiß angelaufene Fingerspitze.

      »Weiß ich, Georg … ist mir nicht neu. Aber das Eis hier … ist ja … na, ich taxiere …« Er betrachtete seine Fingerkuppe, auf der sich eine schwere Frostblase zu bilden begann … »… das Eis hier ist ja wenigstens 100 Grad kalt.«

      »Sage ruhig 200 Grad, Fox. Das Eis ist kein Wassereis. Es ist Lufteis. Luft ist hier gefroren. Du siehst, was das Dynotherm zu tun hat, um die Frostmasse aufzutauen und zu verdampfen.«

      Wellington Fox betrachtete die dampfende und nebelnde Apparatur, von der die Wolken jetzt bereits bis zur Zimmerdecke emporstiegen.

      »In der Tat, Georg, das dauert lange. Wenn ich bedenke, wie fabelhaft schnell eine ganz große Lawine auf eine kleine Tube von deinem Dynotherm Wasser und Dampf wurde. Ich habe dir ja mein Abenteuer schon telephonisch erzählt.«

      Isenbrandt lachte.

      »Ja, Fox, so kopflos darauf loszupudern! Habe ich dich nicht gewarnt, vorsichtig damit umzugehen? Die Leute im Ferghanatal haben nicht schlecht über den unverhofften Segen geflucht. Du bist doch sonst relativ vernünftig. Was lag denn da vor?«

      Wellington Fox lächelte etwas gezwungen.

      »Zwei so hübsche junge Damen, wie dort im Schnee begraben lagen, konnten auch einen alten Fuchs zu Torheiten veranlassen … Na, jedenfalls … ich habe da etwas gefunden, was mich veranlaßte, dich aufzusuchen.«

      Wellington Fox griff in die Tasche und brachte ein feines, in Marocainleder gebundenes Notizbuch zum Vorschein.

      »Das ist ein Souvenir an die eine der beiden Damen, die Gräfin di Toresani.«

      »Du behältst das? Du gibst es nicht zurück?«

      »Nein!«

      »Ah? Also ein Andenken an die Herzallerliebste. Mit Gräfinnen hast du es vor?«

      »Falsch geraten, Georg. Die schöne Toresani hat ganz andere Ziele, als einen Journalisten zu heiraten. Ziele … die sie in meinen Augen zu einer sehr gefährlichen Person …«

      »Oho … wieso?«

      »Ich bin überzeugt, sie ist eine Abenteurerin, die Spionendienste für die gelbe Seite leistet.«

      »Hast du Beweise dafür?«

      »Ja – das heißt erstmal starken Verdacht. Den strikten Beweis hoffe ich in diesem Büchelchen zu finden. Es geriet mir in die Hände, als ich die Toresani aus der schmelzenden Lawine hervorzog. Sie trug es in einem Ledertäschchen verwahrt unter ihrem Sweater. Als ich sie aus dem Eisschlamm riß, blieb es mir in den Händen.«

      Wellington Fox öffnete das kleine Buch.

      »Unter diesen harmlosen Notizen hier ist nichts Interessantes.

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