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Die Tage waren dem Sport gewidmet, die Abende dem gesellschaftlichen Vergnügen. Längst war der Schneesport international im weitestgehenden Sinne des Wortes. Die Angehörigen der gelben und braunen Rasse pflegten ihn ebenso leidenschaftlich und mit gleicher Vollkommenheit wie die Weißen.

      Alle Farben waren hier vertreten, aber auf den ersten Blick war es kaum zu bemerken. Der Gletscherbrand hatte alle diese Gesichter noch einmal gefärbt, hatte ihnen die besondere rötlichbräunliche Tönung gegeben, unter der die ursprüngliche Hautfarbe fast verschwand.

      An kleinen Tischen saßen die Gäste in dem großen Saal. Erfrischungen aller Art wurden gereicht, und die Kapelle übertönte die Unterhaltung der einzelnen Gruppen.

      Wellington Fox fand einen leeren Tisch in einer Ecke. Er begann seine Musterung und fand die Bemerkung des Hoteldirektors bestätigt. Die Sonderung der Farben war heute stärker ausgeprägt als an anderen Tagen. Es fehlten die Gruppen, in denen weiße, gelbe und braune Mitglieder der großen Sportgemeinde früher wohl zusammensaßen.

      Wellington Fox witterte hier, wie er draußen auf der Balustrade gewittert hatte. Von Tisch zu Tisch wanderten die scharf blickenden Augen, und mit der charakteristischen Bewegung sog er die Luft ein. Er hätte darauf wetten mögen, daß die Gelben hier allerlei mehr wußten als er.

      Die Instinkte des Jägers und des Berichterstatters wurden in ihm wach. Zum Teufel … weg mit diesen Gedanken … Die Sorge um Helen Garvin nahm ihn wieder gefangen.

      Wellington Fox erhob sich und schritt durch den Saal. Irgendwie mußte er sich Gewißheit verschaffen. Telefonieren … Rundfragen … Er trat in die Kanzlei und starrte auf die stummen Apparate … Da … ein Ruf eines der hier aufgestellten lautsprechenden Telephone.

      MacGornick sprach: »… großes Unglück … sofort vom Hotel Rettungsexpedition schicken … Lawinenschlag … Begleiterinnen Gräfin Toresani und Helen Garvin verschüttet.«

      Bevor noch der Portier eingreifen konnte, hatte Wellington Fox den Schalthebel gedreht und die Geberstation des Hotels eingeschaltet. Scharf und knapp kamen seine Rückfragen … wo der Unfall geschehen sei … am Ketmansteg … genau unterhalb des Kogartpasses.

      Im nächsten Moment warf Wellington Fox das Mikrophon dem Portier gegen die Brust und stürmte aus der Kanzlei. Im Vorraum stand allerlei Sportgerät. Ohne Besinnen griff er die ersten besten Skier und eilte weiter. In vollem Gesellschaftsanzug war er für eine Skitour nicht eben sehr glücklich gekleidet. An einem Haken sah er den dicken wolligen Pelz eines der eingeborenen kirgisischen Führer hängen und riß ihn mit einem Ruck an sich.

      So stürmte er ins Freie. Der aufgehende Mond beleuchtete unsicher die schneebedeckten Hänge und Flächen. Mit geübten Händen zog er die Bindungen der Skier über seine Lackschuhe. Schon im Gleiten, warf er den Pelz über.

      Eine Minute nach dem Empfang von MacGornicks Notruf schoß Wellington Fox ohne Rücksicht auf die Gefahr in sausender Talfahrt auf den dreihundert Meter tiefer gelegenen Ketmansteg zu.

      Jetzt noch über eine steile Halde hundert Meter hinab … jetzt sah er eine einzelne Gestalt auf der weiten weißen Fläche … war im Augenblick heran … versuchte im letzten Moment durch Abdrehen der windenden Fahrt Herr zu werden … und merkte, daß es nicht mehr ging. Gewaltige, wild und wirr durcheinandergeworfene Schneemassen versperrten ihm den Weg. Mit Aufbietung aller seiner Kraft schnellte er sich in die Höhe, streifte in gewaltigem Sprung MacGornicks Gestalt dort, daß sie der Länge nach in die weißen Flocken hinschlug, und landete dann selbst inmitten der wild aufgetürmten Schneemassen.

      Das Mondlicht reichte eben aus, um die Dinge in der nächsten Umgebung zu erkennen. Eine gewaltige Lawine war halb schräg von der Paßhöhe her zu Tal gegangen. Er konnte ihre Spur die Hänge hinauf bis weit nach Norden erblicken. Hier in der Schlucht des Ketmansteges waren die stürzenden Massen zum größten Teil zur Ruhe gekommen. Nur ein Teil hatte sich noch über die Höhe des südlichen Schluchtrandes hinauf gestaut und war über ihn weiter hinab in das Tal gestürzt.

      Bevor noch MacGornick sich durch die Schneemassen langsam zu ihm hinzuarbeiten begann, strebte er, so schnell es der zu wirren Blöcken zusammengepreßte Schnee gestattete, der Stelle zu, wo die Bruchstücke eines Schneeschuhes aus den eisigen Massen ragten. Das letzte Zeichen der Personen, die hier vom weißen Tod überrascht worden waren.

      Seine Rechte fuhr zur Brusttasche. Jetzt hielt er eine der winzigen Tuben in der Hand, die ihm Georg Isenbrandt in Wierny gegeben hatte. Undenkbar erschien es ihm, daß die geringfügige Menge des unscheinbaren Pulvers gegen die ungeheure, hier in der Schlucht gestaute Schneemasse etwas ausrichten könnte. Aber noch während er den Gedanken dachte, hatte er schon den Verschluß geöffnet. Mit den Fingerspitzen griff er das Pulver und streute die Stäubchen wie kostbare Samenkörner in die Schneewüste, während er den gebrochenen Ski in immer weiter werdenden Spiralen umkreiste.

      »Georg, hilf!« …

      Wie ein Stoßgebet kam es ihm von den Lippen, während er sich durch die Schneemassen seinen Weg bahnte und Körnchen auf Körnchen streute. Jetzt war die Tube leer, und jetzt stieß er auf MacGornick.

      Der Schotte wollte sprechen … wollte fragen, ob die Hilfsexpedition schon unterwegs wäre.

      Mit einem schlecht unterdrückten Fluch wandte Wellington Fox ihm den Rücken … und sah über der ganzen Fläche, die er eben noch im Mondlicht begangen und bestreut hatte, dichte Nebel wallen.

      Eben noch standen sie kaum fußhoch. Jetzt wogten sie schon in Augenhöhe und stiegen in jeder Sekunde höher. Mit einem Schrei stürzte er in der Richtung davon, in der er eben noch die Skitrümmer erblickt hatte. Warme, dunstige Treibhausluft umfing ihn. Aber eisig umflutete ihn Schmelzwasser bis zu den Knien.

      Schon war der eben noch so harte froststarrende Schnee über die ganze Fläche hin eine schmelzende, auseinanderfließende Masse geworden. Jetzt stieß sein linker Ski auf Widerstand. Das mußte der zerbrochene Ski sein.

      Mechanisch faßten seine Hände in die Taschen des fremden Pelzes … und griffen eine der tausendkerzigen elektrischen Fackeln, wie sie Bergführer bei sich zu tragen pflegen.

      Im nächsten Moment flammte die mächtige Leuchte auf. Wie glühendes Eisen ließen ihre Strahlen die Nebelmassen selbst leuchtend werden. Aber auch in die Klüfte und Spalten der schmelzenden Lawine drang das Licht. Mit einem Ruck entledigte sich Wellington Fox der störenden Schneeschuhe und warf sich auf die Knie in den eisigen Schlamm, um einer dunklen Stelle in den schmelzenden Massen näherzukommen. Schob mit den Händen den erweichenden Schnee zurück, bekam ein Stück Stoff zu fassen und zog mit einer kurzen letzten Anstrengung eine menschliche Gestalt zu sich heran.

      Kalt und leblos lag die Gerettete in seinen Armen. Der immer stärker schmelzende Schnee hatte ihre Kleidung vollkommen durchnäßt. Mit Schrecken erkannte Wellington Fox, daß das von ihm angewandte Mittel nicht ungefährlich war. Zwar die Schneemassen selbst schmolz dieses wunderbare Dynotherm in fabelhaft kurzer Zeit zusammen. Aber das abziehende Schneewasser durchtränkte die tieferen Schichten und bedrohte alles, was dort noch etwa verschüttet lag, mit dem Tode des Ertrinkens.

      Beim Scheine der starken Leuchte betrachtete er die Züge der Geretteten. Die, die er vor allem suchte, an die er am meisten dachte, war es nicht. Die Marchesa di Toresani hielt er hier in den Armen. Aber Helen Garvin lag noch irgendwo verschüttet, von den schmelzenden Massen immer stärker bedroht.

      Er ließ die regungslose Gestalt zu Boden gleiten. Sah dabei, daß der Riemen ihrer Umhängetasche gerissen war, und ließ die Tasche mechanisch in seinen Pelz gleiten. Dann begann er mit der Kraft der Verzweiflung von neuem zu suchen. Nur von der Hoffnung aufrecht gehalten, daß die Katastrophe die beiden Frauen dicht beieinander betroffen habe.

      Er suchte und fand. Gerade eben jetzt gaben die schmelzenden und dampfenden Massen den Zipfel eines Gewandes frei. Im Moment stürzte sich Wellington Fox darauf und hielt Helen Garvin in seinen Armen. Ebenso bleich und regungslos wie ihre Gefährtin.

      Jetzt schnell heraus aus den dampfenden und schmelzenden Massen. Nur wenige Minuten waren verstrichen, aber wie hatte sich das Bild in kurzer Zeit verändert. Schon stand er in einer tiefen Mulde,

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