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ließ er sich auf die Knie nieder. Auf den Knien legte er die letzten Schritte bis zum Lager des Kaisers zurück und beugte die Stirn, bis sie den Boden berührte.

      Eine kalte, feuchte Hand fühlte er auf seinem Haupte. Schwach, wie aus weiter Fern« kommend, schlug eine Stimme an sein Ohr.

      »Ich danke dir, Toghon, daß du meinem Ruf schnell gefolgt bist … schnell gefolgt … meine Zeit ist kurz, die Ahnen rufen mich …«

      Regungslos verharrte Toghon-Khan, die Stirn am Boden. Leise und flüsternd kam seine Antwort:

      »Himmlische Weisheit, du wirst das Reich noch lange lenken …«

      »Nein, Toghon … die Ahnen rufen mich. Ich gehe … gehe bald … Aber schwer ist mein Herz … Die Sorge um mein Land und mein Haus …«

      Erschöpft schwieg der Kaiser. Minuten verflossen, bis er neue Kraft fand. Toghon-Khan sprach: »Die Blüte der Lotos ist von der allerhöchsten Weisheit gesegnet …«

      »Nein, Toghon … Mein Sohn ist ein Knabe und spielt mit den Frauen im Palast. Jetzt wollte ich ihn zu mir nehmen … einen Mann aus ihm machen … Die Vorsehung hat es nicht gewollt. Ich liege auf dem Lager, von dem ich nicht wieder aufstehen werde …«

      »Du wirst genesen …«

      Toghon-Khan fühlte, wie die matte Hand auf seinem Haupte zitterte.

      »Nein, Toghon. Ich sterbe … in Sorge um das Reich. Wolken stehen am Himmel. Von Westen drohen sie. Wer wird das Reich führen? … Ich habe sie alle gehört … Die Statthalter des Nordens und des Südens … den Hohen Rat und die Ratskammer … Kleine Köpfe … kleine Mittel … alle … alle. Du bist der letzte! … Wirst du mich auch enttäuschen? … Was hast du zu sagen …«

      »Die Wolken, die dein Herz beschweren, die das Land bedrohen, werden vor der Sonne weichen … Aber wenn sie der Sonne nicht weichen, wird ein Blitzstrahl sie zerreißen. Ein Blitzstrahl des Himmels wird den Himmel wieder klarmachen.«

      »Ein Blitzstrahl des Himmels … des Himmels?«

      Der Kaiser wechselte die Sprache und sprach Mongolisch weiter:

      »Nur denen hilft der Himmel, die sich selber helfen.«

      Langsam erhob Toghon-Khan die Stirn vom Boden. Seine Hände ergriffen die kalte Hand des Kaisers, seine Lippen preßten sich darauf. Langsam hob sich sein Haupt, bis es die Kissen erreichte, bis seine Lippen das Ohr des Kaisers berührten. Flüsternd, auch hier kaum hörbar, drangen die mongolischen Worte in das Ohr des Kaisers.

      Leichte Röte trat in das Antlitz des Kranken. Glanz kehrte in seine erloschenen Augen zurück. Straff wurden seine von langem Leiden matten Züge, während Toghon-Khan flüsternd weitersprach.

      Stärker ging der Atem des Kaisers. Noch höher kam das Haupt Toghon-Khans. Neben dem Haupte des Kaisers lag es jetzt auf dem Kissen.

      Stärker wurde der Glanz in den Augen des Kaisers. Er reckte den rechten Arm und ballte die Hand zur Faust. Noch einmal schienen die schwindende Kraft und das fliehende Leben zurückzukehren. Sein Oberkörper hob sich vom Lager. Seine Arme legten sich um den Hals des Sprechenden. Neben dem Kaiser saß Toghon-Khan aufrecht auf dem Lager, und weiter drang flüsternd seine Rede in des Kaisers Ohr.

      Jetzt schwieg er. Der Kaiser ließ die Hand sinken. Er öffnete die Faust und legte die Rechte über die Augen. Die Rechte, an deren viertem Finger der kaiserliche Ring mit den Zeichen des Dschingis-Khan glänzte und gleißte. Minuten hindurch saß Schitsu, der sterbende Kaiser des Riesenreiches, so in den Armen des Toghon-Khan. Dann kamen Worte von seinen Lippen:

      »Toghon, du Treuester aller Treuen … Auch im Tode verläßt du mich nicht … Du Freund meiner Jugend, meiner Kämpfe … meiner Herrschaft.«

      Von der abgezehrten Rechten streifte der Kaiser den Ring. Mit immer kälter und schwächer werdenden Händen griff er die Linke des Toghon-Khan und schob ihm den Ring auf den vierten Finger.

      »Du bist … du wirst das Reich verwesen, bis mein Sohn …«

      Betäubt und geblendet starrte Toghon-Khan auf den Ring an seiner Linken. Nur ein Gedanke erfüllte sein Herz … Ich bin’s! Ich bin’s …

      Noch einmal kamen dem sterbenden Kaiser Kraft und Sprache zurück.

      »Geh! Geh, Toghon! Du hast den Ring … Ich bin müde … Nein … müde war ich immer und konnte nie schlafen … Jetzt werde ich schlafen … geh …«

      Der Körper des Kaisers sank auf das Lager zurück. Nur noch stoßweise und röchelnd kamen abgerissene Worte von seinen Lippen. Dann wurde er ganz ruhig. Langsam erhob sich Toghon-Khan. Den Körper geneigt, das Gesicht gegen das Lager des Kaisers gewandt, schritt er rückwärts langsam dem Ausgange zu. Von unsichtbaren Händen ergriffen, öffneten sich die faltigen Seidenvorhänge, als er sie erreichte. Noch eine tiefe Verneigung zum Lager des stillen Kaisers. Toghon-Khan wandte sich um und trat in den Vorsaal.

      Lange war er allein bei dem Kaiser gewesen. Lange hatten die im Palast versammelten Würdenträger des Reiches geharrt, daß er vom Lager Schitsus zurückkehren möchte. So schnell wie vorher die Statthalter von Suchau, Yarkand oder Tali. So still und niedergeschlagen wie die Vizekönige von Kanton oder Mugden. Anders kam Toghon-Khan zurück. Starr und unbeweglich waren seine Mienen, als er hinaustrat. In wachsender Ungeduld hatten die Würdenträger im Vorsaal gewartet. Hatten durch die leichten Vorhänge den Anfang der chinesisch geführten Unterredung erhascht. Hatten mongolische Worte aus des Kaisers Mund vernommen. Wenige nur und undeutlich und dann nur noch ein leises und immer leiseres Flüstern.

      Was brachte Toghon-Khan? … Was hatte der Kaiser mit ihm beschlossen? In den Herzen aller brannte die Frage, aber nichts verrieten die steinernen Züge des Toghon-Khan. Bis in die Mitte des Saales schritt er. Blieb dort hochaufgerichtet stehen und ließ den Blick über die Versammlung schweifen, die Arme zusammengeschlagen, die Hände unter den verschränkten Armen verborgen.

      Fünfzig Augenpaare waren auf ihn gerichtet. Suchend flog sein Blick durch den Raum und haftete einen kurzen Moment an einem anderen Augenpaar.

      Ein kurzer Wink. Ein mongolischer General eilte auf ihn zu.

      »Mangu-Khan übernimmt den Befehl über die Palastwache. Geh!«

      Der Angeredete verharrte überrascht und zögernd. Auch auf den Gesichtern der übrigen Anwesenden prägten sich Staunen und Zweifel.

      Wie konnte Toghon-Khan solchen Befehl geben?

      »Geh!«

      Zum zweitenmal fiel das Wort scharf und knapp von den Lippen des Schanti. Die verschränkten Arme öffneten sich. Die Linke wies gebieterisch zur Tür.

      »Niemand betritt oder verläßt den Palast ohne meine Erlaubnis!«

      Es war ein neuer, schwerwiegender Befehl. Doch allen sichtbar glänzte an der ausgestreckten Hand der kaiserliche Ring, und im Augenblick wandelte sich das Bild im Saale. Sie alle, die eben noch einen Gleichberechtigten, einen Mitbewerber erwartet hatten, sehen jetzt den vom Kaiser bestimmten Regenten vor sich stehen. Den, der mit kaiserlicher Macht das Reich zu verwalten hatte, bis er eines Tages den Ring des Dschingis-Khan von seiner Hand ziehen und dem Kaisersohn auf die Rechte stecken würde.

      Tief neigten sich jetzt die Rücken, ehrfurchtsvoll waren die Verbeugungen. Niemand wagte es, dem vom Kaiser selbst ernannten Regenten die schuldige Achtung zu verweigern. Dem Regenten mit dem Ringe des Kaisers an der Hand und mit einer großen Armee hinter sich, die dem alten Mongolengeneral mit Leib und Leben verschworen war. Vorbei an gebeugten Rücken und gesenkten Köpfen schritt der neue Regent des Gelben Reiches durch den Saal.

      Weithin dehnt sich das alte Siebenstromland zwischen dem Balkasch- und dem Issisee. In Wierny, der Hauptstadt des Landes, hatte Georg Isenbrandt sein Standquartier. Von hier aus leitete er die Arbeiten, welche die ihm unterstellten Ingenieure und Schmelzmeister in den südlich und westlich gelegenen Alpen ausführten. Seit Jahren war Wierny die zweite Heimat Isenbrandts geworden.

      Am Frühstückstisch saßen die beiden Freunde sich

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