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eine gewaltige Wolkenwand an dem bisher so klaren Himmel. Eine mächtige Bank brodelnden und wogenden Wasserdampfes.

      Wellington Fox erklärte:

      »Der erste der großen kochenden Seen. Alles Wasser, was von den Alpen in den See strömt, dampft hier auf und wird von den Winden nach Norden mitgenommen.« Er deutete auf Isenbrandt: »Und hier ist der Oberkoch, der die Alpen dampfen und die Seen brodeln läßt.«

      Marias Blicke flogen zu Georg Isenbrandt hinüber. Nachdem sie den Grund seiner Schweigsamkeit vernommen hatte, gewannen diese scharfen und entschlossenen Züge ein besonderes Interesse für sie.

      Ohne daß sie es recht merkte, sprang die ernste und nachdenkliche Stimmung Isenbrandts auf sie selbst über. Sie lachte und scherzte nicht mehr mit Wellington Fox wie zum Beginn der Fahrt. Ruhig hörte sie die Erklärungen des Amerikaners an, aber ihre Gedanken beschäftigten sich mit der Person Isenbrandts.

      Wellington Fox riß sie aus ihren Gedanken. Er fand sich in der Karte nicht zurecht und rief Georg Isenbrandt zu Hilfe.

      »Hallo, Georg, was haben wir denn hier? Ich kann diese Siedlungen auf der Karte nicht finden.«

      Georg Isenbrandt rückte näher heran. Einen kurzen Blick in die Tiefe unter ihnen, und er war im Bilde.

      »Neue Siedlungen … hier brandenburgische … dort hinten westfälische … da vor uns niedersächsische … wir sind über dem Gebiete der neuen deutschen Kolonien. Die Kolonisten werden jetzt nicht mehr willkürlich angesetzt, sondern in größeren Gebieten von etwa tausend Quadratmeilen nach Nation und Sprache zusammen. Es erleichtert und verbilligt die Verwaltung und läßt die Siedler die neue Heimat leichter liebgewinnen.«

      Während der Kreuzer mit unveränderter Geschwindigkeit seinen Kurs verfolgte, traten die Wolkenmassen über dem Aralsee allmählich zurück. Georg Isenbrandt blickte ihnen kurze Zeit nach. Dann wandte er sich an Maria Feodorowna.

      »Wir müßten viel weiter südlich fliegen. Wir müßten dem Hochgebirge folgen. Dann würden Sie unsere Arbeiten sehen können. Dort unten brodelt und braust es auf den Firsten. Da dampft und nebelt es unaufhörlich. Da heben wir die Wassermengen in den Äther, die das Land bis in den hohen Norden warm und fruchtbar machen …«

      »O ja! Ich sah etwas davon in Kaschgar. Da sehen wir es im Westen und im Norden dampfen und nebeln, soweit das Auge den Horizont zu erfassen vermag. Sie können viel, Herr Isenbrandt … Aber den Winden können Sie doch noch nicht gebieten. Auch in den seit Menschengedenken regenlosen Monaten fallen jetzt öfters drüben bei uns schwere Regengüsse.

      Der Wind tut Ihnen nicht immer den Gefallen, nach Norden zu wehen. Bläst er nach Osten, so bekommen wir den ganzen Segen. Auch unsere Flüsse dort fließen stärker, seitdem die Berge im Norden und Westen brennen.«

      Wellington Fox griff den Faden auf.

      »Ja! Sag mal, Georg … Fräulein Witthusen hat recht. Da scheitern deine Künste. Die unerwünschte Windrichtung tritt ja Gott sei Dank nur selten ein. Bedenklich wäre es aber doch, wenn es dem guten Gott der Winde gefiele, ein paar Monate hintereinander auf Abwegen zu wandeln. Das könnte peinlich für die Gelben und katastrophal für die Siedler werden.«

      Georg Isenbrandt preßte die Lippen zusammen. Die leicht hingeworfenen Worte seines Freundes betrafen ein Problem, das ihm schon manche schlaflose Nacht bereitet hatte, an dessen Lösung er im stillen schon seit Jahren arbeitete. Noch nie war die Frage so brennend gewesen wie jetzt. Seit langen Wochen waren die Winde unregelmäßig geworden. Er wußte auch, daß ein Zusammenhang zwischen diesen Abweichungen und den immer größer werdenden Schmelzarbeiten bestehen müsse. Schon waren aus einzelnen Siedlungsgegenden im Norden Berichte gekommen, die über Regenmangel klagten und mehr Wasser forderten.

      Wellington Fox unterbrach sein Grübeln.

      »Sieh hier, Georg! Wieder neue Dörfer … Auf der Karte nicht eingetragen … merkwürdiger Baustil … das sieht ja beinahe amerikanisch aus.«

      Ein leichtes Lächeln spielte um die Lippen Isenbrandts.

      »Es ist auch amerikanisch, Fox! Deutsch-Amerikanisch! Pfälzer aus den Seestaaten, die dort zweihundert Jahre ihre deutsche Sprache bewahrt haben und jetzt nach hierhin übergesiedelt sind. Sie konnten auch in die englischen Kolonien gehen, haben aber die deutschen Siedlungen vorgezogen.«

      Wellington Fox schüttelte den Kopf.

      »Alle Wetter, Georg, ein Kompliment für die Staatskunst von Uncle Sam ist das gerade nicht.«

      »Es hat aber seine Gründe, Fox. Die Deutschen fühlten sich an den amerikanischen Seen nicht mehr wohl. Das schwarze Volk wird ihnen zu aufdringlich.«

      »Die Schwarzen …«

      Georg Isenbrandt hatte das Stichwort zu einem Thema gegeben, das Wellington Fox nur allzusehr am Herzen lag.

      Die Schwarzen in den Vereinigten Staaten! Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt waren sie zahlreicher, gebildeter und mächtiger geworden. Längst waren die Zeiten vorbei, in denen die Regierung sie durch Ausnahmegesetze niederhalten konnte. Überall beanspruchten sie gleiches Recht mit den Weißen, und es war schwer, abzusehen, wie dieser Streit um die Macht einmal enden würde. Seitdem schwarze Regimenter auf amerikanischer Seite gegen Weiße gekämpft hatten, war dem schwarzen Element in den Staaten das Gefühl der eigenen Bedeutung und Macht gekommen.

      Wellington Fox wurde wild, wenn er davon sprach. Von der Kurzsichtigkeit der amerikanischen Regierungen, die dem Wachsen der Gefahr solange tatenlos zugesehen hatten. Er sprang auf und lief in dem Gemach hin und her.

      »Amerika den weißen Amerikanern! … Das schwarze Volk gehört nach Afrika, von wo es hergekommen ist … Sie wollten auch hin … Sie wollten wieder zurück … warum hat unsere Regierung die Bewegung nicht unterstützt. Warum haben wir sie bei uns behalten. Arbeiterfrage natürlich … kurzsichtiger Kapitalismus!«

      Georg Isenbrandt unterbrach den zornigen Amerikaner. Das Schiff stand jetzt über Perowsk und folgte eine größere Strecke dem vielfach gewundenen Lauf des Sir Darja.

      Isenbrandt deutete in die Tiefe, wo der breite, grüne Strom deutlich zu sehen war.

      »Jetzt sind wir am Sir, am alten Iaxartes. Bis hierhin ist der große Alexander auf seinen Eroberungzügen vorgedrungen. Hier mußte er wieder umkehren und hinterließ keine Spur von seinen Taten. Wir sind weitergekommen. Fünfhundert Meilen weiter nach Osten. Wir schmelzen und dampfen bis in das Himmelsgebirge. Wir schaffen Neuland für Hunderte von Millionen Menschen. Unsere Arbeit lohnt sich … Die Hochalpen brennen, aber die Ebene wird fruchtbar …«

      Maria Feodorowna spann seinen Gedankengang weiter:

      »Ein gewaltiges Werk! Doch die Gelben sehen es nicht gern. Ich höre, wie sie bei uns in Kaschgar darüber sprechen. Fremde Teufeleien, die dem Gelben und dem Blauen Fluß das Wasser nehmen. Seitdem die Berge um Kaschgar dampfen, sieht man uns scheel an … Vielleicht müssen wir eines Tages den Ort verlassen, an dem wir seit zwanzig Jahren wohnen.«

      Prüfend ruhte der Blick Georg Isenbrandts auf den Zügen der Sprecherin.

      »Der Tag kann schneller kommen, als Sie denken. Ich werde Sie warnen. Versprechen Sie mir, meiner Warnung zu folgen …«

      Maria Feodorowna streckte dem Reisegefährten die Rechte entgegen. Ihre Blicke trafen sich und hingen sekundenlang aneinander.

      »Ich danke Ihnen, Herr Isenbrandt!«

      Der Kreuzer hatte jetzt den Stromlauf verlassen. Während der Fluß einen weiten Bogen nach dem Süden schlug, verfolgte er den Südostkurs, überflog die Alpen bei Chotkal und stand jetzt schon dicht vor Andischan. Es wurde Zeit, an den Abschied zu denken.

      Auf dem Hangar neben dem Endbahnhof der Strecke Andischan–Osch–Kaschgar landete das Kompagnieschiff.

      Erst die Technik des Dynotherms hatte es ermöglicht, in kurzer Zeit und mit geringen Baukosten den großen Tunnel durch das gewaltige Terekmassiv zu bohren und die neue Linie bis Kaschgar durchzuführen.

      Georg Isenbrandt

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