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und weißen Rasse bringen mußte.

      Er fuhr zum Taotai. Eine Einladung … ja beinahe ein Befehl rief ihn dorthin. Das Blatt knisterte in seiner Tasche. In eben derselben Tasche, auf die er vorher geschlagen hatte, als er zu Theodor Witthusen von den vielen Aufträgen für seine Firma sprach.

      Seine Gedanken flogen zurück. Wie lange schon steckte er in diesem Spiel? Er überzählte die Jahre … acht Jahre … neun Jahre. Vor neun Jahren war es, an einem bösen Wintertage. Da waren die Würfel gefallen, die über sein weiteres Leben entschieden. Da war nach Jahren des Kampfes und der Ungewißheit der große Prozeß zu seinen Ungunsten entschieden, der ihm die Lordschaft Lowdale bringen sollte. Das Urteil wies seine Ansprüche ab und brachte ihm Prozeßkosten in einer ungeheuren Höhe.

      Damals stand er mit sich und der Welt zerfallen auf dem Londoner Pflaster. An jenem Tage … in ruhigen Momenten spürte er es oft … war er auf die schlimme Seite gefallen. Mit Leib und Seele hatte er sich in seiner Verzweiflung den Gelben verschrieben. Um jenes Tropfens gelben Blutes halber, der ihm die Pairie raubte, war er ein Feind der weißen Rasse geworden. Obwohl sein Fühlen und Denken ganz arisch waren, obwohl er das unwürdige Spiel, zu dem er hier die Hände bot, klar durchschaute.

      Das Knistern des Papiers riß ihn aus seinen Gedanken. Er zog es aus der Tasche und entfaltete es. Eine Einladung des Taotai. Mit chinesischen Lettern auf zähes Papier gepinselt. In der blumigen und schwülstigen Sprache des Ostens abgefaßt. Unverfänglich für jeden, der nur den Text las und das unscheinbare Zeichen neben dem Namenszug des Taotai übersah.

      Das Zeichen der Schanti-Partei.

      Als Kubelai-Khan vor zwanzig Jahren mit stürmender Hand vorbrach, das neue Reich schuf und als Kaiser Schitsu den Thron bestieg, war Toghon-Khan sein bester Feldherr. Jahre des Friedens folgten auf die wilden Erobererzeiten. Seit Jahren saß Toghon-Khan als Vizekönig von Kaschgarien in Dobraja. Ebenso wie der Kaiser hatte er einen chinesischen Namen angenommen. Als Schanti herrschte er unter dem Zepter des Schitsu, wie er als Toghon an der Seite des Kubelai in die Schlachten geritten war.

      Viele Augen im Reiche richteten sich auf den klugen und mächtigen Vizekönig, der hier an der westlichen Grenze des Reiches Wache hielt und ein starkes, schlagfertiges Heer unter seinen Fahnen hatte.

      Solange Schitsu herrschte, würde Schanti als treuer Paladin stets an seiner Seite stehen. Aber auch der Kaiser war ein Mensch. Auch seiner Herrschaft konnte der Tod ein Ende bereiten, und Schanti hatte seit langem für sich und seine Herrschaft vorgesorgt. In aller Stille und mit jener Geheimhaltung, die nur der ferne Osten kennt, war die große, auf den Namen des Schanti eingeschworene Organisation entstanden. Ein Staat im Staate. Unsichtbar nach außen. Eine furchtbare Waffe in der Hand des Mannes, dessen Namen sie trug und der sie im rechten Augenblick zu gebrauchen wußte.

      Collin Cameron blickte auf das winzige Zeichen neben der Unterschrift am Fuße der Einladung und wußte, daß nicht der Taotai, der einfache Bürgermeister, ihn erwartete.

      Nun hielt der Wagen vor dem Amtsgebäude. Collin Cameron schritt die Treppe empor. Tief verneigten sich die Diener vor ihm. Lautlos wiesen sie ihm den Weg. Jetzt schob er einen Vorhang zur Seite und sah, daß er recht vermutet hatte. Nicht der Taotai empfing ihn. Er stand vor Wang Ho. Der Generalstabschef der Armee des Schanti war es, der seinen Besuch gefordert hatte.

      Wang Ho, der alle Floskeln und Weitläufigkeiten beiseite ließ und scharf und schnell sofort auf sein Ziel lossteuerte.

      »Das Berliner Unternehmen, zu dem Sie uns veranlaßten, ist mißlungen.«

      Schroffe Abweisung trat auf die Züge des Angeredeten.

      »Nicht meine Schuld, Herr General. Ich hatte in meinem Bericht ausdrücklich betont, daß die Hauptpanzer zu sprengen wären. Die Sprengung ist mit ganz unzulänglichen Mitteln unternommen worden. Ich muß die Verantwortung für die Durchführung dieser Unternehmung ablehnen.«

      »Auch das Orenburger Unternehmen ist mißlungen!«

      Fragend blickte Collin Cameron den Generalstabschef an.

      »Es ist mißlungen, Mr. Cameron! Vor fünf Minuten ist der telephonische Bericht eingegangen. Sie hatten uns gemeldet, daß der Oberingenieur Isenbrandt im fahrplanmäßigen Postschiff fährt. Wir haben das Schiff angreifen lassen. Unser Schiff ist von einem Kompagniekreuzer vernichtet worden. Der Oberingenieur ist nicht in dem Postschiff gefahren. Er hat im Gegenteil das Kompagnieschiff kommandiert. Wie erklären Sie Ihren unzutreffenden Bericht?«

      Collin Cameron fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Sekunden hindurch verharrte er in nachdenklichem Schweigen.

      »Die Meldung kam von einem unserer zuverlässigsten Moskauer Agenten. Der Betreffende hat mit eigenen Augen gesehen, wie der Oberingenieur das Postschiff bestieg, und dann telephoniert …«

      »Wie erklären Sie dann, daß er nicht in dem Schiff war? … Wie erklären Sie das plötzliche Auftauchen des Kompagniekreuzers?«

      »Erklären? … Es gibt nur eine Erklärung. Ich vermute … ich fürchte, hier hat ein Verräter seine Hände im Spiel.«

      »Ein Verräter … dann wird es Ihre Aufgabe sein, ihn zu finden. Ihre Pläne hat er gestört …«

      Noch stärker als zuvor machte sich der abweisende Zug in den Mienen Collin Camerons bemerkbar.

      »Herr General, ich lehne jede Verantwortung für das Mißlingen meiner Pläne ab. Den Verräter zu suchen, ist Ihre Aufgabe. Für mich ist die Sache erledigt … Zu etwas anderem … Bitte, lesen Sie …«

      Cameron griff in die Brusttasche, entfaltete schweigend ein Papier und überreichte es dem General.

      Wang Ho hatte seine Mienen in der Gewalt. Kaum merklich war das Zucken seiner Züge, als er die Schriftzeichen überflog. Unwillkürlich neigte er das Haupt, als er die eigenhändige Unterschrift des Schanti erblickte. Mit unbewegter Miene gab er das Papier zurück.

      »Sie haben recht, Mr. Cameron. Es geht um größere Dinge.«

      Sorgfältig barg Collin Cameron das Papier wieder in der Brieftasche. Ruhig sprach er weiter. Aber die Rollen schienen jetzt vertauscht zu sein. Jetzt war es nicht mehr der General, der inquirierte, sondern Collin Cameron.

      »Sie haben die Pläne des Ilidreiecks erhalten, Herr General?«

      »Sie sind in meiner Hand. Die Toresani hat sie durch einen zuverlässigen Boten von Andischan an mich geschickt.«

      »Die Wichtigkeit wird von Ihnen richtig gewürdigt?«

      »Die Wichtigkeit liegt auf der Hand, Mr. Cameron. Die Kompagnie zeichnet Dämme und Schmelzanlagen auf chinesisches Gebiet ein. Voraussetzung dafür ist, daß sie das Gebiet in ihre Gewalt nimmt.«

      »Sie wird es tun, Herr General! Sie wird es in kürzester Zeit versuchen. Dann ist der Konflikt da. Der europäische Staatenbund wartet nur auf die entscheidende Meldung aus Peking, um vorzugehen.«

      »Der Bund wird uns nicht unvorbereitet finden, Mr. Cameron. Diese Pläne hier geben uns einen guten Grund, unsere Vorbereitungen in großem Maßstabe zu treffen. Wir werden uns jetzt vor jeder Überrumpelung zu schützen wissen.«

      »Was werden Sie mit den Ausländern in den Grenzgebieten machen? In Aksu, in Yarkand, in Khotan, auch hier in Kaschgar sitzen zahlreiche europäische Familien.«

      »Wir werden sie von heute an überwachen. Sowie es losgeht, schieben wir sie in Konzentrationslager nach dem Innern des Landes ab.«

      »Ich habe es nicht anders vermutet. Im bedrohten Grenzgebiet ist die Maßregel berechtigt. Nur in einem besonderen Falle möchte ich selbst den Schutz oder, wenn Sie so wollen, die Aufsicht übernehmen. Meine Firma unterhält freundschaftliche Beziehungen zu dem hiesigen Hause Witthusen. Ich bitte Sie um die nötigen Vollmachten …«

      Wang Ho beugte sich über den Tisch und schrieb. Collin Cameron nahm das beschriebene Blatt, trocknete es sorgfältig ab und steckte es zu den übrigen Dokumenten in seine Brieftasche. Eine Order des Generalsstabschefs. Das unscheinbare Blatt legte das Schicksal zweier Menschen bedingungslos

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