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      Wellington Fox machte ein beleidigtes Gesicht.

      »Keine Anzüglichkeiten, Georg! Die Korrespondenten werden leider zu wenig unterstützt. Darüber werden wir noch zu reden haben. Die Agentur meldet: Peking, den 7. April. Die erleuchtete Güte wandelt auf dem Wege der Genesung. Der wachsende Mond wird Seiner Himmlischen Majestät die volle Kraft zurückbringen …«

      Georg Isenbrandt zuckte mit den Achseln.

      »Lügen haben kurze Beine. Mit allen ihren Lügen können sie das Leben des Kubelai-Khan um keine Minute verlängern. Wenn kein Wunder geschieht, stirbt der Kaiser in wenigen Tagen an der Kugel, die Wang Tschung auf ihn abfeuerte.«

      »Ja, zum Teufel, warum lügen die Kerle so gräßlich? Seit Wochen und Tagen ist’s immer dieselbe Leier mit den Bulletins aus Peking. ›Es geht der Verhüllten Weisheit um einen Grad besser, es geht dem Himmelsgeborenen um zwei Grade besser‹ …«

      Ein sarkastisches Lächeln ging über die Züge Isenbrandts.

      »Fox, du alter Fuchs, du müßtest den Braten doch riechen. Kubelai-Khan, der als Kaiser Schitsu den Thron des Gelben Riesenreiches bestieg, hat nur einen unmündigen Sohn. Die Kugel des Republikaners, die ihn niederwarf, bedroht den Weiterbestand der neuen mongolischen Dynastie. Die ganze Lebensarbeit des Kubelai-Khan ist umsonst gewesen, wenn es nicht gelingt, in Peking eine starke Regentschaft einzusetzen, bevor der Tod des Kaisers öffentlich bekannt wird. Darum glaube ich, Fox, wir werden Bulletins der bisherigen Tonart noch lange zu lesen bekommen.«

      Wellington Fox saß wieder am Tisch und stützte den Kopf in die Hand.

      »Ich glaube, du hast recht, Georg. Das neue Gelbe Reich wurde erst vor zwanzig Jahren von dem kriegerischen Mongolengeneral und seinen Unterfeldherren zusammengeschweißt. Was bedeuten zwanzig Jahre in der viertausendjährigen Geschichte dieses Riesenreiches?«

      »Nichts, Fox! Darum die Furcht, daß die junge Herrschaft wieder in Stücke geht. Nur die mongolische Kriegstüchtigkeit und die japanische Intelligenz halten das Riesenreich zusammen. Entsinken die Zügel der Regierung den Händen des Kubelai-Khan, ohne daß eine andere starke Faust sie ergreift, dann ist es um die Einigkeit des Gelben Reiches und um seine Stoßkraft nach außen geschehen.«

      »Einverstanden, Georg! Die Konferenz in Berlin hat ja auch ihre Kriegspläne davon abhängig gemacht. Kaum glaublich, daß der Name Schitsu-Kubelai-Khan auf ganz Europa wirkt wie ein Habichtsschrei auf den Taubenschwarm. Deine Vollmachten müßten dir in der Tasche brennen bei dem ewigen Gedanken: Wird er leben? Wird er sterben?«

      »Gut, daß ich die Gewißheit darüber habe. Die Vollmachten brennen nicht. Meine Pläne sind fertig.«

      Wellington Fox nahm einen tiefen Zug aus seinem Glase.

      »Weißt du auch, Georg, daß derselbe Mann, der in Berlin sprengte und deine Pläne stahl, heute den Überfall auf das Postschiff inszenieren ließ, in dem man dich vermutete?«

      »Meinst du diesen Collin Cameron? Den Menschen, von dem du mir schon in Berlin erzählt hast?«

      »Den meine ich, Georg! Gerade den! Hüte dich vor Collin Cameron! … Ich möchte wohl wissen, wie Mr. Granson, der dir das Kompagnieschiff schickte, von dem Streich zur rechten Zeit Wind bekommen hat.«

      Ein Sergeant des Kompagniekreuzers trat in den Raum und meldete, daß das Schiff in zehn Minuten abfahrtbereit sei.

      Am Nordufer des Kisil, dort, wo er bei Kaschgar dem Yarkand zuströmt, lag die Villa Witthusen. Auf steinernem Untersatz ein stattliches Holzhaus im Bungalostil. Rings um das ganze Gebäude zog sich, von dem flachen Dach mit überdeckt, eine breite Veranda. Das Innere des Hauses enthielt große und luftige Räume. Die Einrichtung der einzelnen Zimmer zeugte für den Reichtum des Besitzers.

      Hier saß Theodor Witthusen, der Chef des großen Handelshauses Witthusen & Co., im Gespräch mit Mr. Collin Cameron, dem Vertreter der angesehenen amerikanischen Firma Uphart Brothers. Ein beträchtlicher Teil des Handels, der aus dem gelben Osten über Kaschgar nach Westen geht, lag in den Händen dieser beiden Firmen. Das russische Haus Witthusen & Co. importierte Häute und Teppiche, während das Haus Uphart Brothers mit Tee und Seide handelte. Collin Cameron war soeben von seiner Europareise zurückgekommen und hatte die erste Gelegenheit wahrgenommen, den Chef des befreundeten Hauses aufzusuchen.

      Theodor Witthusen strich sich über den langen, leicht ergrauten Vollbart. Seine Züge verrieten Besorgnis.

      »Wir sitzen hier in der Wetterecke, Mr. Cameron. Das politische Barometer ist gefallen und fällt noch weiter. Ich merke es an meinem Hauptbuch. Haben Sie Bestellungen aus dem Westen mitgebracht?«

      Collin Cameron schlug sich auf die rechte Brusttasche.

      »Gewiß, mein lieber Witthusen. Eine ganze Tasche voll! Die Nachfrage war sehr stark. Ich habe Aufträge für ein halbes Jahr mitgebracht.«

      Theodor Witthusen schüttelte den Kopf.

      »Ich habe seit Wochen keine Bestellungen mehr. Meine Lager sind voll bis unter das Dach. Man traut dem Frieden nicht. Die Auftraggeber halten zurück …«

      »Sie sehen unnötig schwarz. Ich komme aus England. Man traut überall … Warum auch nicht … Es gab eine Krise, ich will es zugeben. Kurz nach dem Attentat auf den Kaiser. Die Gefahr ist überwunden. Ich habe zuverlässige Nachrichten. Die Kugel ist entfernt. Das Befinden des Schitsu bessert sich von Tag zu Tag. Wir haben nichts mehr zu fürchten …«

      Theodor Witthusen war der Rede Collin Camerons Wort für Wort mit wachsender Aufmerksamkeit gefolgt.

      »Ich weiß, Sie haben gute Verbindungen. Im Westen und auch hier bei unseren Behörden. Wenn Sie es sagen, glaube ich es. Ich hatte schon den Plan erwogen, Kaschgar zu verlassen und nach Rußland hinüberzugehen. Weg von hier nach Andischan … oder sonst irgendwohin ins Ferghanatal.«

      »Sie weg? … Weg von hier? … Und Ihre Lager? … Millionenwerte … Ihre alte Firma, die Sie in zwanzig Jahren aufgebaut haben … passierte wirklich etwas, käme es zu Verwicklungen, so wäre das alles schutzlos feindlichen Zugriffen preisgegeben. Nein! Das dürfen Sie nicht … Schon Ihrer Tochter wegen nicht, der Sie das Vermögen erhalten müssen …«

      »Gerade meiner Tochter wegen, Mr. Cameron. Ich bin ein alter Mann, und wenn man mich hier totschlägt, so … aber um meine Tochter bin ich in Sorge. Sie ist von Riga nach hierher unterwegs. Ich hätte sie warnen sollen … ich möchte sie heute noch warnen … ihr telephonieren, daß sie auf russischem Gebiete bleibt … ich werde auch telephonieren … Maria Feodorowna soll in Andischan warten, bis ich ihr weitere Nachrichten gebe.«

      Collin Cameron war den Ausführungen seines Geschäftsfreundes mit unbeweglicher Miene gefolgt. Kein Zucken der ebenmäßigen Züge seines Gesichtes verriet, was hinter seiner Stirn vorging.

      »Ich glaube, mein bester Witthusen, Sie sind viel zu ängstlich … so ängstlich geworden, weil Sie hier jahraus, jahrein an dem gleichen Fleck sitzen. Ich komme von England … war auch in Deutschland … Kein Mensch denkt an kriegerische Verwicklungen. Von Ihnen werde ich direkt zum Bürgermeister gehen, ihm meine Aufwartung machen. Wenn der Taotai irgendwelche Befürchtungen hat, wird er es mich wissen lassen. Ich stehe gut mit ihm … seit Jahren. Sie wissen, ich verstehe mich auch darauf, die Glocken etwas früher läuten zu hören als mancher andere.

      Morgen gehe ich über Peking–Jokohama nach Frisko. Glauben Sie mir, es ist in den Staaten jetzt ungemütlicher als hier in Kaschgar. Sollte ich beim Taotai irgend etwas hören, gebe ich Ihnen noch Nachricht. Aber Ihre Besorgnisse sind sicherlich unnötig.«

      Mit einem Händedruck empfahl sich Collin Cameron, um den Bürgermeister aufzusuchen.

      Vor dem Hause wartete sein Kraftwagen auf ihn. Ein kurzer Wink Collin Camerons, und das Fahrzeug setzte sich in Bewegung. Es rollte durch die von alten Platanen eingefaßte Allee am Ufer des Kisil entlang, überschritt den Fluß auf der neuen eisernen Brücke und wand sich durch die engen emporsteigenden Straßen der Stadt, um das hochgelegene Amtsgebäude des Taotai zu erreichen.

      Collin

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