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Doch nur für einen kurzen Augenblick.

      Er fühlte, wie seine Füße plötzlich nach hinten gerissen wurden. Unsanft schlug er zu Boden. Wütend blickte er um sich und sah in eine Reihe von Augen, aus denen drohender Haß blitzte.

      Beim Nahen des kaiserlichen Wagens hatte sich alles Volk, dem alten Brauche folgend, auf die Knie geworfen. Er allein hatte in seiner Erregung nicht darauf geachtet und war stehengeblieben. Zu spät bereute er jetzt seinen Fehler. Der Wagen war vorüber, die Möglichkeit, von dieser Stelle noch etwas zu sehen, nicht mehr vorhanden. Wohl aber erschien es ihm sehr angebracht, sich aus der Nähe dieser Menge zu entfernen, deren Mienen und Blicke wenig Gutes prophezeiten.

      Es glückte ihm, von dem Haufen loszukommen. Auf einem Richtweg zwischen bebauten Feldern und Wiesen strebte er wieder der Stadt zu. Und während er dahinschritt, jagten sich die Gedanken in seinem Gehirn.

      Wie war das möglich? … Wie konnte das sein? … Hatte ihm nicht Isenbrandt auf das bestimmteste versichert, daß die Tage des Kaisers gezählt seien? … Hatte er ihm nicht gesagt, daß ein Sterbender sich auf den seidenen Kissen in Schehol quäle?

      Und was hatte er eben gesehen? … War das Wirklichkeit?

      Unwillkürlich griff er nach seiner Tasche. Das Fehlen seines Perspektivs bewies ihm nur zu deutlich, daß die Szene, die er soeben erlebt hatte, in Wirklichkeit vor sich gegangen war.

      Was hatte er gesehen? … Einen Mann in militärischer Kleidung in der großen Staatskarosse … Der Kaiser? … Der Kaiser!

      War das auch der Kaiser Schitsu? … Ohne Zweifel. Die Bilder des Kaisers, die er in der Erinnerung hatte, konnten ihm die Frage nicht sicher beantworten.

      Und doch … es wäre … er … er mußte es sein. Hier einen anderen an des Kaisers Stelle zu zeigen … Wer hätte den ungeheuerlichen Betrug wagen sollen?

      Verflucht die Hand, die ihn im kritischen Moment zu Falle brachte. Noch eine Sekunde länger, und er hätte Gewißheit gehabt …

      Wie schauten die Augen des Mannes? … So starr … so ernst … so tot … tot?

      Aber hatte er sich nicht bewegt? Hatte das Antlitz nicht leicht genickt? Hatte er die Grüße des ihm huldigenden Volkes nicht deutlich erwidert?

      Die Gedanken von Wellington Fox sprangen zu Isenbrandt zurück. Wie würde das alles auf dessen Pläne wirken? … Wie auf diejenigen der Siedlungsgesellschaft?

      Noch nie in seinem Leben hatte er vor solchem Rätsel gestanden. Vergebens suchte er nach einer Lösung … Er fand sie nicht … Und doch, was Isenbrandt gesagt hatte, mußte richtig sein. Er klammerte sich an die Worte des Freundes.

      Der Weg führte ihn an einer Telegraphenstation vorbei. Einen Augenblick zögerte er. Bericht an die Chikago-Preß geben? … Daß der Kaiser in voller Gesundheit in seiner Residenz eingezogen sei … Nein! … Nichts! … Mögen sie diesmal ihre Berichte aus einer anderen Quelle schöpfen.

      Fest entschlossen schritt er weiter der Stadt zu. Seine Gedanken konzentrierten sich auf die Person, derentwegen er hierhergekommen war. Collin Cameron!

      Ohne große Schwierigkeiten hatte er das Hotel ausfindig gemacht, in dem der Gesuchte wohnte. Auf dem Umwege über die Filiale von Uphart Brothers hatte er das festgestellt. Aber als er heute früh in dies Hotel kam, hatte er gerade noch die Rückseite von Collin Camerons Auto gesehen. Der Einzug des Kaisers hatte ihn vorübergehend vom weiteren Nachspüren abgebracht. Mechanisch verfolgte er jetzt die Straße nach der Stadt.

      Ein Blitzen in der Ferne erinnerte ihn an Isenbrandts Auftrag. Da blinkte über die Felder her in den hellen Strahlen der Maiensonne der Spiegel eines kleinen Weihers. Wellington Fox schlug einen Seitenpfad ein und schritt darauf zu. Die Gelegenheit war günstig. Weit und breit kein Mensch zu sehen. Was Beine hatte, trieb sich an der Straße nach Schehol herum.

      Er rief sich die Vorschrift Isenbrandts ins Gedächtnis. Dann griff er in die Brusttasche. Ein kurzer Ruck, und der Pfropfen war entfernt. In weitem Bogen flog die Tube in das Wasser. Wellington Fox sah sie versinken und spurlos verschwinden. Einen Augenblick zögerte er. Dann wandte er sich um und ging mit schnellen Schritten der Stadt zu. Der plötzliche Kniefall vor einer halben Stunde wirkte noch nach und ließ ihm Vorsicht geboten erscheinen. Mochte Georg Isenbrandt da für die Bewohner Pekings zusammengebraut haben, was er wollte, es war jedenfalls nicht angebracht, daß irgend jemand hier Wellington Fox bei der Ausführung dieses Auftrages beobachtete und in Zusammenhang damit brachte.

      Er gelangte in die Stadt zurück. In einer Teestube, gegenüber dem Hotel, in dem Collin Cameron abgestiegen war, nahm er an einem Fenster Platz. Der, auf dessen Kommen er hier lauerte, saß indessen im Palaste des Regenten dem Schanti gegenüber.

      »Das Wunder, das an dem Sohn des Himmels geschah, war unfaßbar groß … so groß, daß es niemand glauben kann, der es nicht gesehen hat, wie die erleuchtete Weisheit in die alte Kaiserstadt einzog.«

      »Sie sahen den Kaiser?«

      »Nein, Hoheit. Ich wartete hier im Palast.«

      Ein leichtes, kaum merkbares Lächeln glitt während der Antwort über Collin Camerons Züge.

      »Der Kaiser lebt! Weh dem, der … der … seine Hand würde ihn furchtbar treffen …«

      Die Worte, scheinbar so leicht und beziehungslos hingesprochen, ließen Collin Cameron innerlich erbeben.

      »Die Welt wird erzittern, wenn des Kaisers Name wieder ertönt. Europa … dieses altersschwache Land wird seinen Flug nach Osten hemmen. Gelähmt werden seine Flügel herabhängen, wenn ihm der Name der erleuchteten Weisheit in die Ohren dringt. Unsere Feinde werden erbeben. Unsere Freunde in den Vereinigten Staaten werden frohlocken … Zusammen mit den Söhnen des Himmlischen Reiches …«

      Collin Cameron hatte immer lauter und schneller gesprochen, um den Eindruck seiner unvorsichtigen Worte zu übertönen und zu verwischen. Die Stimme des Schanti unterbrach ihn.

      »Sie werden noch heute nach den Vereinigten Staaten fahren!«

      Die Züge Collin Camerons blieben unbewegt, trotzdem ihm der Auftrag höchst unerwünscht kam.

      »Es ist der Wille unseres Herrn, dem die Götter so wunderbar die Gesundheit wiedergeschenkt haben. Am 6. Juli, das heißt an dem Tage nach der Wahl Josua Bordens, sollen die Pläne der höchsten Weisheit zur Ausführung kommen.«

      Collin Cameron sah den Regenten erstaunt an. Wagte dann die Erwiderung: »Und wenn die Wahl nicht am 5. Juli stattfindet?«

      »Auch dann!«

      Mit einem Ruck war Collin Cameron aufgestanden.

      »Auch dann?«

      Der Regent nickte stumm.

      »Ich verstehe nicht, Eure Hoheit … Die Wahl Josua Bordens …«

      »… Braucht nicht am 5. stattzufinden. Der sechste Juli ist der Tag …«

      »Ich verstehe nicht, Hoheit.«

      »Die Wahl soll am fünften stattfinden … Es wäre gut, wenn es geschähe. Doch es könnte sein, daß die Wahl verschoben wird … Das Geheimnis scheint nicht gut gewahrt worden zu sein … Es wäre möglich, daß man einen Strich durch alle Pläne macht, indem man die Gouverneurswahl verschiebt. Ein solcher Aufschub … und ginge es nur um wenige Wochen … würde die Absichten des großen Herrn stören. Ihre Aufgabe ist es, dahin zu wirken, daß die schwarze Bewegung unter allen Umständen am sechsten losbricht!«

      »Hoheit! … Die schwarzen Führer dahin zu bringen, ist unmöglich!«

      »Dann ist es Ihre Aufgabe, die Bewegung auch ohne die Führer zum Ausbruch zu bringen. Das »Wie« ist Ihre Sache. Ihre Vollmachten sind unbegrenzt. Mittel aller Art stehen in jeder Menge zur Verfügung.

      Der Regent hatte geendet. Collin Cameron starrte stumm vor sich hin. Der Schanti sprach weiter: »Sie werden die Aufgabe annehmen … und vollbringen!«

      Noch immer schwieg Collin

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