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greifbar vor ihm lag das Mittel, alles zu verhindern, was er befürchtete. Mußte er es nicht auf jeden Fall anwenden? Ganz abgesehen von dem gewaltigen, mit Sicherheit zu erwartenden Materialschaden – waren nicht auch Hunderte von Menschenleben auf das schwerste bedroht, wenn die Hochwasser des Dammes von Terek Herr wurden?

      Die Verantwortung war fürchterlich schwer. Ruhelos lief er durch den Raum.

      Was tun? Was waren die Menschenleben, und wären es auch Hunderte, gegen die Tausende und aber Tausende, die ihr Leben lassen mußten, wenn er sein Spiel zu früh aufdeckte? Dann war alle Wirkung seiner wohldurchdachten Pläne verloren.

      Das Mittel einmal anwenden, hieß eine vollkommen veränderte Lage schaffen, hieß die besten Waffen vorzeitig schartig werden lassen.

      Einen Ausweg! Das Übel kam von den chinesischen Bergen … Das Unheil an der Quelle verstopfen … Sollte das möglich sein, ohne das Geheimnis preiszugeben?

      Vielleicht! … Fox war der einzige, der außer ihm um das Mittel wußte. Wäre er hier, wäre es leicht auszuführen gewesen. Wen jetzt senden? … Wen einweihen? …

      Der alte Schmelzmeister Franke trat ein. Der hauste jetzt seit einigen Wochen unten am Balkaschsee. Er kam, um sich Instruktionen zu holen. Die gewaltigen Wassermengen, die der Ili seit zwölf Stunden in den See trug, beeinflußten dort die Dampfentwicklung. Der Alte wollte wissen, ob neues Dynotherm in den See gegeben werden solle. Er meldete, daß die Rohrhorste am südlichen Seeufer schon zum Teil überflutet seien, und er fluchte grimmig auf die Gelben. Ebenso fest wie Isenbrandt war er davon überzeugt, daß diese plötzliche Flut nur auf Schmelzungen im chinesischen Iligebiet zurückzuführen sei.

      Schon immer hatte er ihnen einen solchen Streich zugetraut. Es war ja bekannt, daß auch die Gelben über große Dynothermvorräte verfügten, wenn sie auch das neueste Präparat Isenbrandts noch nicht besaßen. Seit langem puderten sie auf ihren Bergkämmen herum. Bisher war das aber immer nur in kleinem Maßstabe geschehen und immer so, daß die erschmolzenen Wassermengen den chinesischen Strömen zugute kamen und die Nachbarn jenseits der Grenze nicht gefährdeten.

      Isenbrandt war noch im Zweifel, ob das Unheil mit Absicht verursacht oder ob es durch einen unglücklichen Zufall, durch eine unvorsichtige Dosierung des Schmelzpulvers hervorgerufen worden sei. Der alte Franke war unerschütterlich davon überzeugt, daß es ein purer Schabernack der Gelben sei.

      Isenbrandt unterbrach den Redefluß des Schmelzmeisters:

      »Ob der Damm noch zu retten sein wird, ist fraglich. Aber die Möglichkeit besteht, den Schrecken zu kürzen, die Zeit der Furcht und der Gefahr zu verkleinern.«

      Verständnislos blickte ihn der Alte an.

      »Wie sollte das möglich sein, Herr Isenbrandt? Die Gelben haben in ihren Bergen gepudert. Das ist mir absolut klar … und da muß es im Laufe der nächsten Stunden und Tage doch immer noch schlimmer werden.«

      Georg Isenbrandt ging zur Tür und schloß sie ab. Dann ging er zu dem Alten und legte ihm die Hände auf die Schultern.

      »Hören Sie, alter Freund! Es gibt ein Mittel, um das Unheil zu bekämpfen. Ich habe es! … Aber ich kann es nicht selbst tun, und ich weiß keinen anderen und besseren als Sie, der sich schon so lange Jahre als treu und zuverlässig im Dienste der Gesellschaft erwiesen hat. Ich weiß keinen besseren als Sie, dem ich das Geheimnis dieses Kampfmittels anvertrauen könnte. Mein Geheimnis ist es! Kein Mensch, auch keiner der Herren von der E. S. C. weiß darum. Ihnen will ich es in dieser Stunde der Not zu treuen Händen geben. Ehe ich Sie aber frage, ob Sie bereit sind, die Tat zu tun, will ich Ihnen sagen, was zu tun ist … welche Gefahren damit verbunden sind. Es muß jemand mit einem Flugschiff, das er selbst steuert, die chinesischen Kämme abfliegen und an allen, wenigstens an den Hauptstellen, wo die Gelben gesalzen haben, das Gegengift streuen.«

      »Gegengift? Gegen unser Dynotherm?«

      »Ja, Franke! Es gibt ein Mittel, und ich habe es. Wird es auf die Puderstellen gestreut, so wird die Wirkung des Dynotherms gebunden … Aber die Sache ist nicht ohne Gefahr. Sie müßten noch jetzt in dieser Nacht mit einem Schiff, von dem alle Kennzeichen der E. S. C. entfernt sind, den Flug unternehmen …

      Sie dürfen keine Lichter führen … Sie müssen sehr tief fliegen … Schon das ist nicht ohne Gefahr … Dazu kommt, daß von gelber Seite … vielleicht auf Sie geschossen werden wird … Überlegen Sie in aller Ruhe …«

      »Da ist nichts zu überlegen, Herr Isenbrandt. Was sollte ich da noch überlegen? Schon das freut mein altes Herz, daß Sie mir so viel Vertrauen schenken, mir Ihr Geheimnis sagen. Und dann noch das Vergnügen, den verdammten Gelben einen Streich zu spielen … Daß ich denen ihr Handwerk legen kann … das macht mir einen Höllenspaß … da kommt’s mir keinen Augenblick darauf an, meine alten Knochen zu riskieren.«

      »Ich wußte, lieber Franke, daß ich mich auf Sie verlassen kann, und danke Ihnen von ganzem Herzen …

      Er schüttelte die Hand des alten Gefährten mit kräftigem Druck.

      »Nehmen Sie meine Maschine! Die Veränderungen, die an dem Flugschiff zu treffen sind, machen Sie am besten selber. Sie werden das am besten einzurichten wissen. Ich mache Ihnen inzwischen den Streutank fertig. Den wollen wir dann zusammen unter die Maschine hängen.«

      Eine knappe halbe Stunde später schoß die schnelle Maschine, von dem alten Schmelzmeister gesteuert, in den dunklen Abendhimmel und verschwand nach Osten zu.

      Georg Isenbrandt hat die Maschine und den Alten nie wiedergesehen. Der blieb von dieser Stunde an verschollen. Es ist auch niemals bekannt geworden, ob der Alte bei der Schleichfahrt durch die dunklen Berge gegen eine Felsschroffe rannte oder ob er mit seiner Maschine das Opfer chinesischer Kugeln wurde. Niemals auch wurden irgendwo irgendwelche Spuren von ihm gefunden. Aber es muß ihm doch gelungen sein, den Auftrag Isenbrandts zum weitaus größten Teile auszuführen. Erst ganz am Ende seiner abenteuerlichen Fahrt muß er zugrunde gegangen sein, denn schon am übernächsten Tage ließ der plötzliche Zustrom aus den chinesischen Bergen nach, und bereits am Ende der Woche herrschten wieder normale Wasserverhältnisse im Ilital.

      In jener ersten Flutnacht ging es freilich desto stürmischer zu.

      Der Staudamm bei Terek bot ein wildromantisches Bild. Brüllend und gurgelnd stauten sich die Wildwasser hinter ihm zu einem Riesensee. Die mächtigen, millionenkerzigen Scheinwerfer der Bauleitung beleuchteten die brodelnde Wasserfläche von den Ufern aus.

      An eine so schnelle und plötzliche Inanspruchnahme jenes großen, eben erst vollendeten Staubeckens hatte niemand gedacht. Noch waren die jetzt schon überfluteten Flächen mit Baugerät, mit Häusern, ja mit ganzen, wenn auch noch unbewohnten Dörfern besetzt.

      Das alles hatten die wilden Wasser aufgewühlt und wirbelten es in gigantischem Spiel durcheinander. Hier trieben abgerissene Schindeldecken … da Prähme … dort Rüstzeug aller Art. Und zu dem, was hier schon gewesen, kam das, was die Fluten unterwegs mitgenommen hatten.

      … Ganze Herden von ertrunkenem Vieh … Teile zertrümmerter Brücken … zerstörte Behausungen … und dazwischen in erschreckender Menge die Leichen von Menschen. Die Wasser mußten schon auf chinesischem Gebiet furchtbar gehaust haben.

      Jetzt stand die Oberfläche dieses höllischen Wirbels kaum noch einen Meter unter der Dammkrone. Stieg das noch weiter, so mußten die Fluten über die Krone hinweg in breitem Schwall zu Tal stürzen … Vorausgesetzt, daß der Damm hielt.

      Hier lag die Gefahr. Der Damm war in den zuletzt gefertigten Teilen noch nicht fest abgebunden. Die Möglichkeit war vorhanden … war nur allzu groß, daß der gesteigerte Druck der aufgestauten Wassermengen diese neuen Teile aus dem Damm herausbrach … und dann …

      Schon auf die ersten Nachrichten von dem bedrohlichen Steigen der Fluten hatte Georg Isenbrandt die Siedler im unteren Ilital telegraphisch warnen lassen. Sobald ihn der alte Schmelzmeister verlassen, bestieg er selbst ein Flugschiff und fuhr nach den Terekanlagen.

      Er kam, sah … und fand seine schlimmsten Befürchtungen übertroffen. Die Dammkrone war menschenleer.

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