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er die Zähne aufeinanderbeißen mußte, um seine Bewegung zu unterdrücken. Er sah den grauen Kopf Garvins über Helens blonde Locken gebeugt, sah, wie dessen Arme sein Kind fest umschlossen, und verließ leise das Zimmer.

      Im Vorraum schritt er ruhelos auf und ab. Tausend Ideen schossen durch sein Hirn. Eine Welt von Feinden wünschte er zu haben, nur um Helen schützen zu können. Knirschend preßten sich seine Zähne auseinander, seine Fäuste ballten sich gegen andere noch unsichtbare Fäuste.

      Alle Strafen des Himmels und der Hölle mögen mich treffen, wenn ich dich, mein Liebling, nicht ehren und schützen werde bis zum letzten Atemzug.

      Und dann ging es ihm plötzlich wie Mr. Garvin. Wie durch einen Schleier sahen seine Augen eine weiße Gestalt auf sich zueilen. Zwei liebevolle Arme umschlossen seinen Hals, und ein tränenüberströmtes Gesichtchen lehnte sich an seine Brust.

      Ein Stammeln … ein Weinen … ein Lachen.

      »Wie glücklich bin ich, Wellington!«

      Nach einer Weile drang die Stimme Garvins in den stillen Raum.

      »Mr. Fox, Sie haben gesiegt. Helens Wille war stärker als der meine … Es fällt einem alten Mann schwer, sein einziges Kind … sein alles wegzugeben … Ich werde alt, ihr müßt Geduld mit mir haben … Der Gedanke quält mich, daß Helen in den veränderten Verhältnissen ihres neuen Lebens doch gar manches Liebgewonnene aus dem Vaterhaus vermissen wird …

      Ich bitte Sie, Mr. Fox, mir zu erlauben, Ihre Stellung in irgendeiner Weise zu verbessern. Der Gedanke ist mir unerträglich, daß … Mr. Fox, Sie dürfen nicht weiter ein einfacher Berichterstatter bleiben … Ich werde Ihnen entsprechende, ich hoffe, Ihnen auch zusagende Vorschläge machen. Sie müssen Ihre Position verbessern.«

      Francis Garvin war bei den letzten Worten auf Wellington Fox zugetreten und drückte ihm die Hände. Wellington Fox hatte seine volle Selbstbeherrschung wiedergewonnen.

      »Daß Sie mir Ihre Helen nicht gern geben, weiß ich … will es Ihnen auch nicht verdenken, obwohl Sie als freier Amerikaner von den Vorurteilen von Rang und Reichtum unabhängiger sein sollten. Meine Position zu verbessern? … Ich habe schon lange daran gedacht … und daran gearbeitet. Ich kenne das alte Wort, daß man bei der Presse alles werden kann, vorausgesetzt, daß man nicht dabei bleibt. Unsere Wünsche begegnen sich also. Doch die Vorschläge für eine Verbesserung überlassen Sie, bitte, mir. Ich habe ein Geschäft im Auge … ein Geschäft? … Nein! … Mein Geschäftssinn ist alle Zeit schwach genug gewesen, Gott sei’s geklagt.

      Ein Werk … Eine große Tat habe ich vor. Zur Ausführung gehört Geld … viel Geld. So viel, wie vielleicht auch Sie nicht haben. Aber das Werk wird gelingen, und das Geld wird hundertfache Zinsen bringen. Wenn die Zeit gekommen ist … bald … sehr bald wird sie kommen … werde ich Ihnen meine Pläne entwickeln, werde Ihnen das Geschäft antragen.«

      Francis Garvin hatte der langen Rede ruhig zugehört. Nun sprach er: »Ihre Hoffnungen nehmen einen kühnen Flug, Mr. Fox. Sie gestatten, daß ich Ihrem Geschäftssinn, den Sie selbst als schwach bezeichneten, sehr skeptisch gegenüberstehe.«

      »Ich nehme es Ihnen nicht übel, Mr. Garvin. Sie haben mich bisher nur als einfachen Journalisten kennengelernt. Sie wissen nichts … weniger als nichts von meinen sonstigen Plänen und … Unternehmungen, Mr. Garvin.«

      »Unternehmungen?«

      Fragend und zweifelnd war das eine Wort von den Lippen Garvins gekommen.

      »Unternehmungen, Mr. Garvin. Sie werden anders von mir denken, wenn einige Wochen ins Land gegangen sind. Ich möchte Sie bitten, Mr. Garvin, meine Verlobung mit Helen nicht vor dem August bekanntzugeben.«

      Verwundert und fragend blickte Francis Garvin auf Fox. Eben erst hatte der mit Gewalt seine Verlobung durchgesetzt, hatte den Widerstand des Vaters gebrochen, und jetzt bat er selbst, diese so mühsam erkämpfte Verlobung bis zum August noch geheimzuhalten.

      »Ich verstehe Sie nicht, Mr. Fox.«

      »In wenigen Wochen werden Sie mich um so besser verstehen. Sie werden dann, das hoffe ich sicher, die Veröffentlichung unserer Verlobung nicht mehr wie jetzt unter Bedenken und Zweifeln, sondern mit willigem Herzen vornehmen. Sie werden an diesem Tage wissen, Mr. Garvin, daß der Verlobte Ihrer Tochter etwas mehr ist als der einfache Berichterstatter, für den Sie ihn jetzt nehmen … für den die Welt ihn vorläufig noch nehmen muß.«

      Georg Isenbrandt befand sich in seiner Station zu Wierny. Seit jener letzten Sitzung des Direktoriums der E. S. C., seitdem die maßgebenden Herren der E. S. C. den Beschluß gefaßt hatten, den Spruch des Schiedsgerichtes abzuwarten, die strittige Ilifrage bis dahin in der Schwebe zu lassen, war er in gedrückter Stimmung.

      Die Ereignisse des heutigen Tages waren in ihrer Gesamtheit nicht geeignet, einen Stimmungsumschwung bei ihm hervorzurufen. Zwar der Vormittag hatte ihm eine große, kaum erwartete Freude gebracht: Ein Telegramm in verabredeter Sprache von Wellington Fox. Georg Isenbrandt hatte es Wort für Wort dechiffriert, hatte tiefaufatmend die gute Nachricht gelesen, daß der treue Fox die Vermißten, Theodor Witthusen und Maria Feodorowna, in Urga entdeckt habe. Das Telegramm war nur kurz. Die erste knappe Nachricht von der glücklichen Entdeckung des Aufenthaltes der Vermißten. Wer aber Wellington Fox und seine Art so genau kannte wie Georg Isenbrandt, der konnte noch mancherlei zwischen den Zeilen herauslesen.

      Nun beschäftigte Isenbrandt eine ganze Reihe von Fragen. In wessen Gewalt waren die Verschleppten? Wie wurden sie gehalten? Würde es Fox gelingen, mit ihnen in Verbindung zu treten? Würde es ihm glücken, sie zu befreien?

      Die wenigen Worte des Telegramms klangen zuversichtlich. Isenbrandt kannte Fox als einen entschlossenen, tatkräftigen Mann, dem in kritischen Lagen auch List und Erfindung in weitgehendem Maße zu Gebote standen. So durfte er wohl hoffen, daß Wellington Fox bald weitere gute Nachrichten senden würde, und jenes Telegramm aus Urga wäre wohl geeignet gewesen, die Stimmung Isenbrandts zu heben.

      Aber andere Nachrichten waren geeignet, sie wieder hinabzudrücken. Seit zwölf Stunden liefen unaufhörlich Hochwassermeldungen aus dem oberen Ilital bei seiner Station ein. Von Stunde zu Stunde stiegen die Zuflüsse des Stroms aus dem chinesischen Gebiete. Das ganze Quellgebiet des Flusses schien in Aufruhr geraten zu sein.

      Die Sonne sank hinter die Berge. Dämmerung schlich durch den Raum, in dem Georg Isenbrandt an seinem Arbeitstische saß. Der Telegraphenapparat zu seiner Rechten begann zu ticken. Neue Meldungen von der Terekstation.

      Die Vermutung, die ihm schon in den Nachmittagstunden durch den Kopf gegangen war, wurde jetzt zur Gewißheit. Das war nicht mehr ein zufälliges Naturereignis. Gewiß war im Frühjahr mit vorübergehendem Hochwasser zu rechnen. Aber die Wassermengen, die hier von allen Seiten des Quellgebietes gemeldet wurden, überstiegen das normal zu Erwartende in einer gewaltigen und unerklärlichen Weise.

      Er verband sich direkt mit der Station von Terek. Dort hatte er den gewaltigen Staudamm anlegen lassen, um plötzlich einbrechende Wassermengen sicher auffangen und speichern zu können. Durch die Unfähigkeit eines Bauleiters hatten die Arbeiten sich stark verzögert. Erst in den letzten Wochen hatte Georg Isenbrandt mit eiserner Hand dazwischengegriffen, hatte die tüchtigsten Ingenieure an diese Stelle gesetzt und die Vollendung des riesigen Betondammes mit allen Mitteln betrieben.

      Erst gestern hatte er die Baustelle besucht. Der Damm war jetzt fertig. Aber die letzten Teile der gewaltigen bergehohen Staumauer waren erst vor 48 Stunden in die Holzformen eingestampft worden. Diese Zeit war viel zu kurz, um den Beton schon erhärten zu lassen. Kamen jetzt plötzlich die schwersten Hochwasser, preßten die gestauten Mengen mit vollem Druck auf den noch frischen Teil der Mauer, so war ein Dammbruch, eine schwere Katastrophe zu gewärtigen.

      Er fragte durch den Apparat und erschrak über die Antwort. Das Wasser schon zwei Meter unter dem frischgestampften Teile. Stieg die Flut in dem bisherigen Tempo weiter, mußte sie in kürzester Zeit die frischen Teile erreichen, und dann begann die schwere Gefahr.

      Georg Isenbrandt sprang auf und lief unruhig im Raume hin und her. Einen Augenblick erwog er den Gedanken, selbst nach der Terekstation zu fahren,

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