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den Dammbruch bringen.

      Schnell gab Isenbrandt seine Befehle. Er ließ alle Sirenen talabwärts aufheulen … er gab nochmaligen dringenden telegraphischen Alarm, den ganzen Ili stromabwärts bis zum Balkaschsee … aber Isenbrandt sah noch weiter. Nur ein Mittel gab es noch, der drohenden Katastrophe zuvorzukommen. So schnell wie möglich mußte man die neuen, noch weichen Teile des Dammes von dem Wasserdruck entlasten, den Stausee absenken.

      Das war nur möglich, wenn man einen Einschnitt von gehöriger Tiefe und Breite in den alten, gesunden Teil der Staumauer einsprengte. Dort mußte es geschehen, denn der neue, noch schwache und schon überlastete Teil der Mauer hätte die Beanspruchung einer Explosion nicht ertragen. Er wäre sicherlich sofort in seiner ganzen Ausdehnung zu Bruche gegangen.

      Nur mit den schärfsten Sprengmitteln und mit großen Mengen davon ließ sich aber die Sprengung in den granitharten Dammassen des alten Teiles bewerkstelligen. Gelang sie, so würden sich freilich sehr gewaltige Wassermengen durch die gesprengte Lücke talabwärts ergießen. Sie würden sicherlich beträchtlichen Schaden anrichten. Aber dieser Schaden und diese Gefahr blieben immerhin in übersehbaren Abmessungen. Und der Spiegel des Stausees mußte sich dann schnell senken. Der Druck auf den schwachen Teil des Dammes mußte sofort nachlassen. Das Schlimmste war dann überwunden, die schwerste Gefahr vermieden.

      Nach den Anordnungen Isenbrandts lief das Sprengkommando Über die Dammkrone nach der anderen Berglehne hinüber. Im mittleren Teil war die frische Stelle. Am Nordufer, im harten alten Teil, sollte die entlastende Scharte ausgesprengt werden.

      Im taghellen Lichte der Scheinwerfer sah man vom Ufer aus die Mannschaft über die Dammkrone eilen. Sie mochte etwa die Mitte erreicht haben, als ein Blitz an dieser Stelle aufzuckte, ein krachender Donner das Toben der Elemente übertönte.

      An der schwachen Stelle des Dammes war eine schwere Sprengladung explodiert. Einen Moment noch stand die Mauer dort zitternd im Strudel. Dann riß sie breit auf, neigte sich zu Tal und brach in Riesenbrocken auseinander. In wütendem, stoßendem Schwall stürzten die entfesselten Fluten wie ein einziger starrer Block zu Tal.

      Verschwunden war an dieser Stelle der Damm … Verschwunden die Leute des Sprengkommandos auf ihm.

      Ein Schrei des Entsetzens aus vielen tausend Kehlen.

      Isenbrandt selbst stand unter der Wucht der Katastrophe wie erstarrt.

      Wie war das möglich gewesen? … Wie konnte das geschehen? … Der Sprengstoff trug noch keine Zündung. Auch wenn einem der Träger eine Kiste entglitt, konnte sie doch nicht explodieren.

      Ein Verbrechen? … Nur ein Verbrechen konnte es sein. Von wem? … Es bedurfte keiner Frage.

      Mit schweren Schritten wandte er sich zum Ufer und begab sich in das Bureau der Werkleitung.

      »War unter dem Sprengkommando ein Gelber?«

      Einer der Ingenieure beantwortete die Frage.

      »Jawohl! Alibeg! Ein kirgisischer Vorarbeiter … Einer, der sich durch besondere Anstelligkeit auszeichnete.«

      Ein Held! dachte Isenbrandt bei sich … sicher ein gelber Ingenieur, der sich hier unter falscher Flagge als Werkmann verdingt hat.

      Dann wandte er sich an den Stationsleiter.

      »Ich kehre nach Wierny zurück. Alle Nachrichten für mich bitte dort hin! Hier ist Menschenhilfe vergeblich. Vertrauen wir auf Gott.«

      Noch einmal warf er einen Blick auf das Tal, in dem das entfesselte Element dahinschoß.

      Wehe alle denen talabwärts, die unsere Warnung nicht befolgten!

      In dieser Nacht flogen die Telegramme zwischen Wierny und Berlin hin und her.

      In Urga, der alten heiligen Hauptstadt der Chalka-Mongolen, hatte Wellington Fox mit Hilfe des getreuen Ahmed die Witthusens ermittelt. Viele Wochen hindurch war Ahmed in der Maske eines sartischen Händlers durch das mongolische Land gezogen. Hatte mit großem Geschick und noch größerem Glück hier gefragt und dort geforscht, bis er endlich die Spur hatte, die nach Urga wies.

      Dann war Wellington Fox zu ihm gestoßen. Der kam als russischer Teehändler mit einer großen Handelskarawane aus dem nahen Kjachta über die russische Grenze. Vorzüglich hatte er es verstanden, sein Äußeres der Rolle, die er hier spielen mußte, anzupassen. Den Mangel seiner russischen Sprachkenntnisse verbarg er geschickt unter einem freilich recht holperigen Chinesisch. Solange aber kein allzu scharfes Auge ihn beobachtete, kein allzu scharfes Ohr ihn hörte, konnte er hier wohl unbehelligt seinen Plänen nachgehen.

      In einer der großen Herbergen der Stadt, in der die Karawane Quartier nahm, hatte er sein Unterkommen gefunden. Daß er hier häufig mit einem sartischen Händler zusammenkam, fiel bei der Mannigfaltigkeit und Unübersichtlichkeit asiatischer Kaufmannsgeschäfte nicht weiter auf.

      Es war um die Zeit der Abenddämmerung. Wellington Fox saß in dem primitiv einfachen Raum, der ihm in der Karawanserei als Unterkunft diente.

      Ein leises Klopfen an der Tür. Die einzelnen Schläge in der verabredeten Folge. Wellington Fox schob den schweren Holzriegel zurück. Der Sarte trat in den Raum.

      »Bist du da, Ahmed? … Wie steht’s?«

      »Gut, Herr! Euer Papier ist in den Händen des alten weißen Herrn.«

      »Will er es tun?«

      »Ja, Herr … er machte das verabredete Zeichen …«

      »So wirst du also um neun Uhr mit den Gefangenen das Haus verlassen. Bist du sicher … ganz sicher, daß der Wärter keinen Verrat übt?«

      »Er hat geschworen … bei den Seelen seiner Ahnen …«

      »Ein Schwur?«

      »Er wird seinen Schwur halten, Herr. Wirst du ihn aber auch im Flugschiff mitnehmen, wie du versprochen? Er fürchtet die Strafe, wenn die Flucht entdeckt ist.«

      »Ich werde ihn mitnehmen … samt seinen fünfhundert Dollar. Er mag sie in Frieden in Kjachta verzehren.

      Der Weg vom Haus bis zum Brunnen ist kurz. Um neun Uhr werde ich dort unter dem Schein einer Notlandung niedergehen.«

      »Wenn du da bist, wird alles gut sein, Herr!«

      Ahmed verließ den Raum. Wellington Fox blieb mit seinen Gedanken allein. Im Geiste sah er das Glück der Geretteten … die Freude Isenbrandts, wenn er mit ihnen in Wierny landen wurde. Noch einmal überlegte er alle Chancen. Es mußte gelingen.

      Es waren ein paar helle, freundliche Räume, in denen die Witthusens die Tage ihrer Gefangenschaft verbrachten. Der alte Herr saß seiner Tochter gegenüber. Ein Schachbrett, das ihnen die endlosen Stunden ihrer Haft kürzte, stand zwischen ihnen. Aber seitdem das Papier des sartischen Händlers durch den bestochenen Wärter in ihren Händen war, standen die Figuren unberührt auf den Feldern.

      Die lange Haft … die Ungewißheit über ihr Schicksal hatten die blühenden Farben Maria Feodorownas gebleicht. Jetzt hatte die Erregung der Erwartung das alte Rot auf ihre Wangen zurückgezaubert. Auch Theodor Witthusen hatte die Lethargie verloren, die bisher auf ihm lag. Es war mehr die Sorge um Maria, sein einziges, so sehr geliebtes Kind, als die um ihn selbst, die ihn niedergedrückt hatte.

      Mit gedämpfter Stimme … fast flüsternd sprachen sie.

      »Die Freunde, Maria, an die ich zuerst gedacht, haben nichts für uns getan … vielleicht nichts tun können … Der Konsul … wie oft war er in unserem Hause … nichts …

      Collin Cameron … am Tage vor unserer Gefangennahme suchte er mich noch zu beruhigen … rühmte sich seiner guten Beziehungen … auch er … nichts …

      Die beiden jungen Deutschen … eine flüchtige Reisebekanntschaft von dir … an die hätte ich zuletzt gedacht … Die Not zeigt, wo die wahren Freunde sitzen. Herr Fox kommt ja zweifellos im Einverständnis … mit Unterstützung seines Freundes Isenbrandt.«

      »Glaubst du, Vater« – das leichte Rot auf Marias Wangen

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