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Köln, 22. September

       Mein lieber Agent!

       Ich schreibe Ihnen, weil ich nicht weiß an wen ich mich in dieser Angelegenheit sonst wenden könnte.

       Ihre offensichtlichen Fähigkeiten und Befugnisse, die bei der Sache hier in und bei Köln im Sommer zutage getreten waren, sowie auch ihr freundliches, aber doch zurückhaltendes Auftreten taten ihr Übriges dazu mich an Sie zu wenden und nicht an jemand anderen.

       Sie werden sicherlich von dem unfreiwilligen Ableben der beiden Unterweltgrößen Francine Bouvois aus Paris und Roberto Borno aus London gehört haben.

       Ich weiß nicht, ob und wenn, in welchem Umfang Sie mit diesen beiden Fällen eventuell bereits beruflich näher konfrontiert sind. Aber ich gehe davon aus, dass Sie wenigstens aus den Medien davon erfahren haben und sich sicherlich, so wie ich Sie einschätze, in irgendeiner Weise damit beschäftigt haben.

       Ich fürchte, dass ich durchaus in der Lage bin, etwas mehr über die Hintergründe dieser beiden Fälle sagen zu können, so denn meine Annahme, die ich hege, der Wahrheit entspricht.

       Ich möchte Sie bitten nach Köln zu kommen, damit ich mit Ihnen persönlich darüber sprechen kann. Der Schriftweg erscheint mir nicht unbedingt als gesichert genug. Von daher muss ich auch darauf bestehen, dass Sie diesen Brief, nachdem Sie ihn gelesen haben, vernichten. Verbrennen sie ihn und achten bitte darauf, dass auch das letzte Stückchen zu Asche geworden ist. Vielen Dank!

       Ich hoffe wir sehen uns bald.

       Ihr ergebener Bruder Magnus.

      Gorham faltete den Brief zusammen, stand auf und verließ sein Abteil. Er ging zur Toilette, schloss die Tür und kramte in seiner Hosentasche nach einem Feuerzeug. Er rauchte zwar nicht, aber ein Feuerzeug hatte er immer bei sich. Wer wusste denn schon, ob man dafür nicht Verwendung hatte, so wie jetzt.

      Er öffnete den Klodeckel und zündete den Brief an einer Ecke an. Er sah zu, wie sich die kleinen Flammen dem anderen Ende näherten, das Papier zerfraßen, die verbrannten Teile schwebend im Klo verschwanden.

      Im letzten Augenblick, bevor ihm die Finger verbrannten, ließ er den Brief auf den Metallrand der Kloschüssel fallen. Auch das letzte Stückchen des Briefes verbrannte zu einem unkenntlichen schwarzen Stückchen Etwas. Dann nahm er sich ein wenig Klopapier, wischte die Schüssel sauber und spülte ab. Der Brief war vernichtet, genau wie es der Bischof gewünscht hatte.

      Zurück in seinem Abteil konnte Gorham sich aber nicht von dem Inhalt abwenden. Er grübelte, was Magnus wohl gemeint haben könnte, fuhr sich durch seine dichten schwarzen Haare.

      Natürlich hatte er von den beiden vermeintlichen Mordfällen gehört, das war sein Job. Mehr, oder weniger. Noch waren die jeweiligen Polizeikräfte vor Ort damit vertraut. Doch aufgrund gewisser Ähnlichkeiten zwischen den Todesfällen begannen die französischen mittlerweile mit den britischen Behörden zusammenzuarbeiten. Also konnte es durchaus auch ein Fall für ihn werden.

      Aber was der Bischof damit zu tun haben sollte, war für Gorham ein Rätsel. Genaues stand nicht in dem Brief. Er musste sich gedulden und das persönliche Gespräch abwarten.

      Aber dennoch fiel es ihm schwer nicht darüber nachzudenken. Was konnte ein Kirchenoberer über Mordfälle, die die tiefsten Kreise der kriminellen Unterwelt betrafen, wissen? Das waren zwei völlig unterschiedliche Welten.

      Allerdings... Man hörte in der Vergangenheit ja immer wieder von Fällen, in denen die Kirche für das gesunde Menschenverständnis das Böse repräsentierte. Genau genommen war die Inquisition alles andere, als human. So gesehen... Und dann war es noch gar nicht so lange her, dass in Deutschland Fälle von Kindesmissbrauch durch Pfarrer und Priester bekannt wurden.

      Gorham ermüdete, ihm fielen die Augen zu. Die letzte Nacht hatte er nicht gut geschlafen, war ständig wach. Das war wohl auch der Grund, warum er am Morgen so lange geschlafen hatte, da er doch irgendwann in die Tiefschlafphase gerutscht war. Und nun, durch das monotone Geratter des Zuges döste er dahin.

      Bis er von dem Schaffner geweckt wurde, der seinen Rundgang machte, um die Fahrkarten zu kontrollieren. Kurz danach kam eine Servicekraft mit Kleinigkeiten zu essen und heißen Getränken. Gorham nahm einen Kaffee, um etwas munterer zu werden, obwohl er den Preis unverschämt hoch fand. Drei Euro zwanzig und dann so heiß, dass man die Bahn eigentlich wegen versuchter Körperverletzung anzeigen müsste.

      Er stellte den Kaffee auf den Abteiltisch am Fenster und holte seinen Laptop aus dem Koffer, schaltete ihn an und surfte durch die Nachrichten des Tages.

      Bei einer Meldung aus Hamburg blieb er hängen. Es hatte einen Mord gegeben. Keinen alltäglichen allerdings.

      Mit zunehmendem Interesse las Gorham den Bericht. Am frühen Montagmorgen wurde in der Weidestraße im Stadtteil Barmbek eine Leiche gefunden. Der genaue Fundort war der Innenhof eines dem Kirchengebäude der St. Sophien angeschlossenen Rundbaus.

      Exakt in der Mitte dieses runden Innenhofes befand sich der gepfählte Kopf des Opfers. Die Gliedmaßen lagen um den Kopf herum verteilt auf dem Boden, jede in eine andere Himmelsrichtung zeigend. Der Torso der Leiche lehnte unterhalb des Pflockes, auf dem der Kopf prangte und anklagend das Kirchengebäude aus den toten Augen anstarrte.

      Bei dem Opfer handelte es sich um den Kiezbaron Martin Spinter. Ihm gehörten die größten Discotheken auf der Reeperbahn. Außerdem unterhielt er fünf Bordelle und kontrollierte beinahe den gesamten Drogenverkehr im berüchtigten Stadtteil St. Pauli.

      Die Polizei tappte noch im Dunkeln was einen möglichen Verdächtigen anging, aber auch was die Tatzeit und den Tathergang betraf. Erste Stimmen wurden bereits laut, dass dieser Mord mit denen in Paris und London zusammenhängen müsse.

      Wieder war der Ort des Verbrechens eine Kirche. Und wieder war das Opfer eine Größe der Unterwelt. Weitere Erkenntnisse lagen jedoch laut den Ermittlern zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor.

      Gorham klappte seinen Laptop zu, schaute nach draußen auf die an ihm vorbei sausenden Landschaften, die wie gelbgrüne Schleier wirkten und dachte nach. Er rief sich den Brief des Bischofs nochmal ins Gedächtnis. Wenn Magnus glaubte etwas zu wissen, dann auch zu dem jüngsten Ereignis in Hamburg.

      Natürlich hatte er, Gorham, sich schon seine Gedanken über die Fälle in Paris und London gemacht, da hatte der Bischof recht. Aber auch erst nachdem der Mordfall aus seiner Heimatstadt bekannt wurde. Doch noch hatte er sich da herausgehalten, hatte noch nicht bei seinen Vorgesetzten nachgehakt, ob das ein Fall für ihn sein könnte, auch wenn er das nicht brauchte. Er suchte sich seine Fälle selber aus, was stets toleriert wurde, weil er bislang immer Erfolge vorzeigen konnte.

      Aber jetzt nach dem dritten Fall dieser Art wurde ihm mehr und mehr bewusst, dass es ihn reizte, sich näher damit zu beschäftigen. Vorher aber würde er das Gespräch mit Bruder Magnus abwarten und schauen, was er ihm zu erzählen hatte.

      Gorham versuchte seine Gedanken zu ordnen. Einfach mal an nichts denken. Sie schweiften tatsächlich ab, zum vergangenen Wochenende und der Hochzeit. Er beneidete die beiden Pärchen für ihre Unbeschwertheit, die sie an diesem Tage gezeigt hatten. Besonders, wenn man bedachte was für Erlebnisse aus der jüngsten Vergangenheit hinter ihnen lagen. Jetzt waren sie irgendwo in der Schweiz auf Hochzeitsreise.

      Gorham erinnerte sich aber auch gerne an den Samstag, als er ein Heimspiel des FC St. Pauli besucht hatte. Er war neugierig gewesen. Man hatte schon so viel von der Atmosphäre gehört, die dort herrschen sollte. Er wurde nicht enttäuscht. Es war obendrein ein spannendes Spiel gewesen, auch wenn es erst nicht danach aussah. Die Heimmannschaft vom Hamburger Kiez ging früh mit 2:0 in Führung musste aber noch vor der Pause den Ausgleich des Nordrivalen aus Osnabrück hinnehmen.

      Gorham fühlte sich an seinen Lieblingsklub FC Liverpool erinnert und der Stimmung, die dort an der Tagesordnung war. Ein Heimspiel des FC St. Pauli war durchaus mit einem des FC Liverpool zu vergleichen. Seine Freunde konnten nicht

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