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„§ 1 Ich nehme Rücksicht auf die Nichtraucher. § 2 Nach jeder Zigarette und nach jedem Pfeifchen lüfte ich kräftig den Raum, in dem geraucht wurde. § 3 Mehr ist nicht zu tun. § 4 Daaaanke !!!

      Roland rief an und fragte, wie es mit den Sammlungen stehe. Meine angeheuerten studentischen Helfer, Andy, Britta und Ingo, hatten gute Arbeit geleistet und bis zur zweiten Januarwoche die Türen und Hauseingänge samt Hinterhöfen in halb Charlottenburg mit unseren Info-Zetteln zugeklebt. Am Donnerstag, dem ersten Einsammeltag, merkten wir, dass die Kleidersammlung in Westberlin wesentlich ergiebiger war als im Rhein-Main-Gebiet, und so konnte ich unserem großen kleinen Vereinsvorsitzenden, er maß zirka 160 Zentimeter, eine enorme Einnahme prognostizieren. Wenn das so weiterging, hatten wir bereits im Januar rund 45.000 DM an Spendengelder zusammen, wenn man die LKW- und Personalkosten abzog.

      Wir fuhren jetzt mit zwei Großlastwagen, Richy und Beppo jeweils am Steuer, und als Einsammelhelfer die drei studentischen „Heinzelmännchen“ wie der ASTA als Jobvermittler seine studentischen Hilfskräfte bezeichnete. Sie waren natürlich sozialversichert und wir bezahlten sehr gut: das Doppelte, was sie als Babysitter, Aushilfsgärtner oder in einer Putzkolonne verdient hätten.

      Die größere Tour fuhren Richy mit Andy und Britta, aus denen schon bald ein Pärchen wurde. Sie wollten, wie sie mir sagten, mit ihren hier verdienten Penunzen in den Semesterferien über Spanien bis nach Marokko trampen. Dort sei es preiswert und es gäbe tolle Hippietreffs und gutes Kraut. Unterwegs würden sie in Torremolinos Halt machen. Ich musste gleich an Wolle und Quiny denken. Von ihr hatte ich gehört, dass sie sich bereits im Kinderladen, wo sie als Kindergärtnerin arbeitete, ab April für sechs Monate hatte beurlauben lassen. „Kein Aprilscherz, Kara, aber am 1. April geht’s ab Richtung Torremolinos!“ Ich freute mich für Quiny.

      Die kleinere Einsammel-Tour fuhren Beppo und Ingo, zwei Pragmatiker, die ihren Verdienst lieber hier vor Ort in Autos und Frauen investierten.

      Tommi, unser angehender Postbeamter und Telefonspezialist, liebte Telefonstreiche. Manchmal war ich unfreiwilliger Mithörer. Manchmal Mitmacher, wie heute. Ich schlug eine x-beliebige Seite im Telefonbuch auf und fuhr blind mit dem Finger über die Namen und Nummern bis Tommi „Stopp!“ rief.

      Dann wählte er. „Hier ist die Störstelle der Deutschen Bundespost. Ihr Telefon hat eine Störung. Können Sie mich verstehen? Nein? Ich kann Sie nur mit Unterbrechungen verstehen. Würden Sie bitte meinen Anweisungen folgen!“

      „Wer ist da?“, fragte eine arglose Frauenstimme.

      „Die Post. Die Entstörungsstelle. Ihr Telefon muss dringend gereinigt werden. Bitte holen Sie zuerst ein Staubtuch. Haben Sie das zur Hand?“

      „Ja, einen Moment“, sagte die Frau am anderen Ende und man hört sie rumkruscheln. „Ich hab’s.“

      Tommi zwinkerte mir zu und sagte: „Dann drehen Sie bitte die Sprechmuschel auf und reinigen Sie den Tonkopf vorsichtig mit dem trockenen Tuch.“

      Zum Schluss bedankte sich Tommi höflich, legte auf und wir lachten uns kaputt. Da waren wir Kindsköpfe zwanzig Jahre alt.

      Die »konkret« &Ulrike Meinhof

      Bisschen kindsköpfig war ich mir auch vorgekommen, als ich mit Neunzehn im Februar 1969 bei meinem allerersten Kontaktversuch in der Hamburger konkret-Redaktion Ulrike Meinhof begegnet war. Sie war mit dem Chefredakteur Röhl verheiratet und führte mich in ihr Büro, da Röhl in München auf CSU-Recherche-Tour war. Er wollte christsoziale Insider treffen, die ihm mehr über die Beziehungen von Franz Josef Strauß zur Rüstungsmafia berichten konnten. Das wollte er keinem anderen überlassen und gerne selbst in die Hand nehmen, weil zu brisant.

      Ulrike Meinhof war für mich bis dahin eine völlig unbekannte Person, nur aus ihren konkret-Kolumnen konnte ich mir ein Bild über sie machen. Noch stand sie ja nicht im Kreuzfeuer des gewaltbereiten Terrors. Wie sie mir so gegenüber saß, sah sie sehr bürgerlich solide aus, halblanges, gepflegtes dunkles Haar, eine leicht bräunlich getönte Brille, ein dunkler Rollkragenpullover, dazu eine dunkle Hose und schwarze halbhohe Schuhe. Sie war zirka Mitte Dreißig, vielleicht ein, zwei Jahre jünger oder älter – sehr schwer zu schätzen für mich, da mir alle über Dreißig schon ziemlich alt erschienen.

      „Wie sieht denn Ihr politischer Lebenslauf aus?“, fragte sie mich. „Sie wissen ja, dass wir eine politische, gesellschaftskritische Kulturzeitschrift sind. Da erwarten wir von unseren Mitarbeitern freilich eine solide Kenntnis der gesellschaftlichen Zusammenhänge.“

      Ich berichtete ihr von meiner frühen Politisierung bei der Jungen Union, von der ich mich ebenso wie von den christlichen Pfadfindern rechtzeitig abnabeln konnte, um mein eigenes Köpfchen zu entwickeln, bevor ich bei den Provos landete. Genau das war der Zeitpunkt, an dem ich mir dann doch sehr kindisch vorkam, als sich die Chefkolumnistin und Ehefrau des Chefredakteurs und Herausgebers für meinen mickrigen politischen Lebenslauf interessierte. Ich lief rot an und bereute noch in diesem Augenblick, ihr von meiner halbherzigen Gammler- und Provo-Zeit etwas vorgeschwärmt zu haben.

      Es schien aber nichts auszumachen, denn sie machte einen interessiert-höflichen Eindruck und sagte abschließend nur noch, ich würde von ihr hören. Das war vor ziemlich genau einem Jahr gewesen. Aber ich hörte von ihr nichts mehr, kein einziges Wort. Wie ich sehr viel später erfuhr, lag sie zu dieser Zeit bereits schwer im Clinch mit ihrem Mann und seinem redaktionellen Marketingkonzept. Der konkret standen bewegte Zeiten bevor.

      Ende des Monats las ich in der Tageszeitung, dass konkret-Chefredakteur Röhl wegen Lästerung der deutschen Flagge von der Kriminalpolizei vernommen worden war. Anlass war ein Lolly lutschender Nackedei mit erdbeerfarbenem Schmollmund auf einem der konkret-Titel. Die Farbe des Lutschers: Schwarz-Rot-Gold.

      Dazu fiel Frankholz bei unserem atheistischen Abendmahl ein Gedicht seines mittelalterlichen Landsmannes Francois Villon ein, das er mit seinem Französischakzent in fast einwandfreiem Deutsch zum Besten gab.

      „Ich bin so wilde nach deinem Erdbeermund,

       ich schrie mir schon das Lungen wund

       nach deinem weißen … äh …“

      „Leib, du Weib!“, ergänzte Richy.

      Unser französischer Freund („Ah ja“) fuhr fort:

      „Im Klee, da hat der Mai eine Bett gemacht,

       da blühte einem schöner Zeitvertreib

       mit deinem Leib die lange Nacht.

       Da wille ich sein im tiefen Tal

       Deine Nachtgebet und auch dein Sterngemahl.“

      Wir klatschten. Jean-Francois stand auf und verbeugte sich tief. „Ich liebe dieses Dichter.“

      „Was ist das, ein Sterngemahl?“, fragte Rosi.

      Tommi räusperte sich.

      „Ach so“, sagte Rosi. „Du bist so was. Aber erst dann, wenn du mich heiratest.“

      Wir diskutierten über den Sinn von Heirat noch eine ganze Stunde lang und kamen zu dem Ergebnis, dass die Heirat ein typischer Kunstharzkleister aus dem Hause des Kapitalismus ist. Das brauchten wir nicht – vielleicht aber auch nur „noch nicht“, wie Karin unter Verweis auf die chinesische Revolutionspraxis und die Haltung des Großen Vorsitzenden einwendete.

      *

      Anfang Februar 1970 kam es zum bisher größten Ost-West-Geschäft zwischen der BRD und der UdSSR, nämlich zur Lieferung von Erdgas gegen Großröhren. Geboren war die politische Maxime „Wandel durch Handel“.

      „Das kann nicht falsch sein“, meinte Richy.

      „Was kann nicht falsch sein? Dass wir jetzt vom Gas der Russen abhängig werden?“, fragte Karin.

      „Wandel durch Annäherung

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