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Wilde Zeiten - 1970 etc.. Stefan Koenig
Читать онлайн.Название Wilde Zeiten - 1970 etc.
Год выпуска 0
isbn 9783742769398
Автор произведения Stefan Koenig
Жанр Языкознание
Серия Band 2
Издательство Bookwire
Als es klingelte, kamen mit einem Schwung drei Freundinnen meiner Mutter. Es waren die Rindswurst-Tante, die Seifen-Maya und Mamas jüdische Freundin, Tante Rosel.
Noch einmal musste ich mir anhören, wie groß und erwachsen ich geworden sei, obwohl nur ein Jahr vergangen war. Immerhin kam nicht mehr die äußerst kritische Frage, ob ich wohl ein Beatle sein wolle, wegen der langen Haare und überhaupt. Inzwischen waren die Beatles und Stones allgemein akzeptiert, waren präsent in Radio und Fernsehen. Nur noch die altbackenen nationalistischen Hardliner sprachen von Affenmusik.
„Mama ist gleich da“, sagte ich. „Darf ich euch schon mal eine Tasse Kaffee anbieten?“
„Neeeiiin danke“, riefen sie fast im Chor. „Wir warten gemeinsam, bis das Geburtstagskind erscheint.“
Und dann erschien Lollo mit knallrot angemalten Lippen und silberblau getöntem Haar, in ihrem cremefarbenen Lieblingskostüm, passenden Pumps und dem zu feierlichen Anlässen immer hoch toupierten Haar. Die Damen sangen ein Geburtstagslied und übergaben ihre Geschenke, Parfüms, Seifen, Make-up und einen seidenen Schal.
Als Maya meiner Mutter ein wunderschön angerichtetes Seifen-Arrangement überreichte, erinnerte mich der Duft sogleich an Tattis und Onnas Drogerie. Da musste ich anschließend unbedingt kurz vorbeischauen, um sie von Günter zu grüßen, um die beiden alten Leutchen zu drücken und um meine vier Fläschchen Sanostol abzuholen. Da war ich süchtig nach. Dieser vitaminhaltige Kindersirup war eine Zeitlang meine einzige Sucht – außer der Schreibsucht, die sich rapide entwickelte.
Ich blieb noch eine Weile beim Damenkränzchen, schenkte Kaffee ein und durfte die stark beworbene Bärenmarke-Dosenmilch aus einem niedlichen Goldrand-Milchkännchen reichen.
„Und was machst du so beruflich?“, wollte Tante Maya wissen. Ich log das Blaue vom Himmel herunter – Mutter zuliebe, wie ich dachte. Aber sie schaute eher etwas irritiert drein, musste sie sich doch all meine Geschichten jetzt merken, wenn sie beim nächsten Damenkränzchen in vier Wochen die Storys noch parat haben wollte.
Aber arg so weit entfernte ich mich nicht von der Wahrheit. Statt nur zwei konkret-Artikeln, die es in den letzten zwölf Monaten waren, produzierte ich laut meiner dämlichen Selbstdarstellung bei den feinen Damen jetzt wöchentlich zwei Artikel und war dort schon fester Mitarbeiter. Nebenbei schrieb ich unentwegt für die Frankfurter Rundschau und die PARDON, obwohl ich denen bislang jeweils nur einen einzigen Artikel aufs Auge drücken konnte. Für die tat aber schrieb ich tatsächlich monatlich einen politischen oder Wirtschafts-Artikel, was ich – immer noch Lollo zuliebe – auf das Doppelte erweiterte. Außerdem behauptete ich, dass mein Redaktionsvolontariat ab Oktober bereits in trockenen Tüchern sei.
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