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die ich öffentlich machen konnte.

      Der Überraschungsangriff der zumeist jungen und neuen Mitglieder der Frankfurter CDU entsprach in der Taktik dem von Strauß und Dregger ausgemachten Kurs, so schrieb ich. „Er dient dem langfristigen Ziel, die nützlichen Idioten von den Sozialausschüssen (so die Jusos), die die Bildung der sozial-liberalen Koalition nicht verhindern konnten, gänzlich aus dem alten CDU-Gefüge hinauszudrängen.“

      Dann berichtete ich noch darüber, wie sich Dregger mit gleichermaßen demagogischen wie nationalistischen Ausfällen im Bunde mit der rechtsradikalen „Aktion Wi­derstand“ und anderen extremistischen Organisationen auf der Vertriebenen-Kundgebung in Bonn gebärdete, um die ihm bereits beim Bethmann-Treffen von seinen wahren Herren diktierten antigewerkschaftlichen Schauermärchen im Vilshofener Stil herunterzuleiern. Wie ich später feststellte, wurden ihm seine guten Dienste gut honoriert. Seine Gönner trimmten ihn auf einen verschärften antisozialen Kurs. Die Maske war gefallen.

      Das also war meine publizistische Osterbotschaft.

      Ostern fiel auf das letzte Märzwochenende; auch in Westberlin fand der traditionelle Ostermarsch gegen Aufrüstung und für eine neue europäische Friedensordnung statt. Ich konnte nicht hin, da ich einen Artikel für „die tat“ fertig kriegen musste. Für den Artikel erhielt ich 55,-- Mark, was in keinem Vergleich zu meinem Verdienst beim Soli-Verband statt. Aber mir ging es auch weniger um die Knete als darum, mit meiner journalistischen Schreibe bekannt zu werden. Immer mehr stieß mir bei meinen Vorstellungsgesprächen dabei die Frage auf, warum ich kein Abitur habe. Es nervte.

      Am Ostermontag sah ich mir im Ersten einen Dokumentarfilm zur Ostermarschbewegung an. Das begann mit einer musikalischen Untermalung, die mich bereits als Schüler auf meiner ersten Ostermarschdemo 1965 berührt hatte:

       We shall overcome/ We shall overcome, some day. / Oh, deep in my heart, / I do believe / We shall overcome, some day. / We'll walk hand in hand, / We'll walk hand in hand, some day. / We shall live in peace, / We shall live in peace, some day. / We are not afraid, / We are not afraid, today / The whole wide world around / The whole wide world around, some day / Oh, deep in my heart, / I do believe / We shall overcome, some day.

      Der Song stammte aus 1963 und wurde mit der hoffnungsvollen Stimme von Joan Baez gesungen.

      Rio Reiser & Ton Steine Scherben

      Heute, sieben Jahre später, studierte Rio Reiser in seinem handgestrickten Studio in der Kreuzberger Oranienstraße 43 eine andere Art von Protestsong ein. Sie nannten sich jetzt bereits Ton Steine Scherben und waren nicht mehr die unbekannten Roten Steine, und Rio spielte mit zwei anderen Kumpels Songs wie „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ oder „Sympathie fort the Devil“.

      Rolf hatte über sein Steuerbüro Kontakt zu der Gruppe, was er einer Druckwerkstatt zu verdanken hatte, die die antiautoritäre, sponti-linke Zeitschrift Agit 883 druckte. So kam Rolf mit Rio und seinem Clan zusammen und wir wussten immer, wann und wo es Auftritte oder Proben gab, bei denen wir dabei sein durften.

      Pünktlich am 1. April starteten Quiny und Wolle ihren Hippie-Trip; wir begleiteten sie mit unseren beiden Kleidersammel-LKW bis zum Kontrollpunkt Drewitz, jeweils drei Personen in der Führerkabine. Wir winkten und hupten dem bunt bemalten Bulli zum Abschied hinterher. Ein Westgrenzer fand das gar nicht witzig und kam mürrisch angerannt. Was uns einfallen würde, so einen Lärm zu machen. Das könnte mal von denen da drüben falsch aufgefasst werden, und dann …

      Und dann? Der dritte Weltkrieg oder was? Der Westgrenzer war in unserem Alter; was für ein mickriger Aufplusterer!

      An einem Freitagabend fragte Rolf in die WG-Runde, wer Lust habe, mit zum Kottbusser Damm 74 zu kommen. Da war der ehemalige Beat-Club von Drafi Deutscher, der spätere Probenraum von Tangerine Dream. Tommi, Rosi, Karin und ich kamen mit. Diese Atmosphäre hätte ich nicht erwartet; etwas zwischen Fabrikhalle, Privatwohnung und mit Musikmaschinen bestücktem Tonstudio. Rio und seine Band probten für ihre erste Single „Wir streiken“. Es war eine Mischung von Rock- und Volksmusik.

      Wir tranken dort in der Runde von zwölf Leuten Flaschenbier, wobei ich mich mit meinem mitgebrachten traditionellen Karamalz begnügte. Das war das Getränk, dem ich meinen Spitznamen, Kara, zu verdanken hatte. Ich vertrug keinen Alkohol.

      Am Kottbusser Damm, in dieser Runde, war es, als wir das erste Mal von Fehmarn erfuhren. Dort auf der Ostseeinsel sollte Anfang September ein großes Open-Air-Festival, das deutsche Woodstock, stattfinden. Hauptstar wäre der »Hey-Joe-Sänger« Jimi Hendrix. Es sollte ein berauschendes Fest der Liebe werden, gesponsert von der modernen Liebesgöttin Beate Uhse.

      „Kara, was hältst du von Fehmarn?“, fragte mich Tommi.

      „Wenn Fehmarn, dann diesmal aber auch Burg Herzberg“, antwortete ich.

      Als wir fünf Clausewitz-WGler mit dem 29er-Bus nach Charlottenburg zurückfuhren, beschlossen wir, zwei Festivals nicht zu versäumen. Das eine wäre Burg Herzberg Anfang Mai. Herzberg hatten wir 1968 gemieden. Mit der Musik von The Petards konnten wir uns damals nicht anfreunden. Wir waren in jenem Jahr noch allesamt in Frankfurt zuhause, gar nicht so weit von der idyllischen Burg im Mittelhessischen entfernt. Einige waren hingefahren, fanden das ins Regen gefallene Festival gar nicht so schlecht und hofften auf einen Nachholtermin im Juli.

      Der kam auch prompt, und viele meiner 68er-Klassenkameraden und Freunde aus dem Club Voltaire waren hingefahren und berichteten, dass es ein freies Fest war, dass es keine prollenden Bullen gab. „Da wurde ungebremst gekifft; hat keinen gestört. Man wurde nicht gefilzt; auch die Autos wurden nicht angehalten oder gar der Inhalt durchsucht. Da lagen wir in der Sonne herum, träumten und der Haschrauch zog über die Wiese. Mit Musik die Welt verändern, das war unser Motto auf Herzberg, einfach Spitze.“

      Das zweite Festival, das wir 1970 auf keinen Fall versäumen wollten, sollte unser Fehmarn-Woodstock sein. Das beschlossen wir, während unser 29er-Bus der Haltestelle Olivaer Platz entgegenfuhr.

      Im Radio hörten wir am nächsten Morgen, dass auf Befehl des US-Präsidenten Richard Nixon seine Truppen von Südvietnam aus in das Nachbarland Kambodscha eingefallen waren.

      „Guck mal, wie schnell ich recht behalten habe“, sagte Rolf zu Karin. „Und schon wieder dürfen wir die altbekannte imperialistische Weltpolizei live erleben.“

      „Wart’ erst mal ab“, antwortete Karin mit zurückgeworfenem Kopf. „Bei den Militärs ist halt Nixons neue Rückzugs-Strategie noch nicht angekommen.“

      Wir lachten. „Als wäre das nicht ein und derselbe Verein!“

      Und dann erschütterte uns eine weitere Radio-Nachricht. In der Direktübertragung einer Pressekonferenz ließ Paul McCartney die Bombe platzen; er teilte der Welt seine Trennung von den „Beatles“ mit. War das denn ein Unglücksjahr, in dem sich alle trennten?

      Mitte April explodierte an Bord von Apollo 13 ein Sauerstofftank. Die Mannschaft rettete sich in die Mondlandefähre. Erst kurz vor Eintritt in die Erdatmosphäre konnten die Astronauten wieder in die Apollo-13-Kapsel steigen und sicher landen. Noch mal Schwein gehabt.

      Auch Karin hatte Glück gehabt, denn auf ihrer Rückfahrt als Mitfahrerin in einem Käfer – vermittelt von der Frankfurter Mitfahrzentrale – wurde lediglich sie, sie allein, von westdeutschen Beamten an der DDR-Grenze gefilzt und nicht die Halterin des Fahrzeugs, die am Steuer saß. Die hatte nämlich unter ihrem Sitz ein Päckchen Hasch versteckt gehabt, was sie erst nach Ankunft in Westberlin Karin mitteilte und ihr ein Gramm anbot.

      „So was nehm‘ ich nicht“, sagte Karin. „Wenn die dich erwischt hätten, wäre ich gewiss auch mit reingezogen worden. Das ist nicht gerade sauber, was du da

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